Ein Jahr der Superlative

Normalerweise habe ich in diesem Blog Jahresrückblicke aus einem einfachen Grund gepostet: Weil ich entgegen vollmundiger Versprechen aus dem Januar, dieses Jahr endlich wieder mehr zu bloggen, spätestens ab März keine Beiträge mehr verfasst habe und Nachholbedarf hatte. Aber der Rückblick für 2023 ist anders. Er ist für die Leute, die nicht das ganze Jahr über diesem Blog gefolgt sind, damit die sich nicht durch die rund fünfzig Beiträge, die ich dieses Jahr geschrieben habe, arbeiten müssen, um zu wissen, was bei mir Sache war. Und auch wenn das Jahr noch nicht ganz rum ist, kann ich jetzt schon sagen: 2023 war ein Jahr der Superlative.

In den vergangenen Jahren habe ich viele Rückschläge einstecken müssen. Der Abschlussband meiner »Neraval-Sage« ist sang- und klanglos versandet, was schade ist um die Arbeit, die ich in die Trilogie gesteckt habe. Ich bin weit hinter meinen schreiberischen Plänen zurückgeblieben, und die Gesundheit hat auch nicht mitgespielt. Als ich mir daher für 2023 das Ziel gesetzt habe, 500.000 Wörter zu schreiben, war das eher utopisch. Und vor meiner anstehenden Veröffentlichung, meinem ersten Kinderbuch, hatte ich in erster Linie Angst. Ich wusste, noch einen Flop kann ich mir nicht leisten, sonst bin ich weg vom Fenster.

Und die Fallhöhe für »Unten« war gewaltig. Das Buch war groß in der Vorschau angekündigt, mit Vorschlusslorbeeren ausgestattet, vom Verlag für »preisverdächtig« erklärt, und ich dachte, damit kann ich anur verlieren – was ist, wenn das Buch dann doch keine Preise kassiert? Wenn es durchfällt bei der Kritik? Wenn es den Kindern, meiner eigentlichen Zielgruppe, überhaupt nicht gefällt? So erschien »Unten« im Januar 2023, und ich bibberte. Bei meiner Lovelybooks-Leserunde kam das Buch gut an, und ich atmete ein bisschen auf – und dann rollten die Lorbeeren ein. Die FAZ rezensierte das Buch lobend, die Süddeutsche ließ sich mehr Zeit, lobte aber auch. Im Buchhandel war das Buch präsent, wobei insbesondere die kleinen, inhabergeführten Buchhandlunge Werbung machten, mich auf ihren Instagram-Accounts taggten, und alles, was ich an Feedback bekam, war positv.

»Unten« ist jetzt kein Weltbesteller geworden. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Was es werden sollte, war ein Dauerseller, ein Buch, das auch in Jahren noch gelesen wird. Und ob es das tut, werde ich natürlich erst in ein paar Jahren sagen können. Aber wo viele Bücher nach den ersten drei Monaten ihre komplette Präsenz verlieren, ist »Unten« auch nach einem knappen Jahr immer noch da. Ich werde immer noch regelmäßig auf Instagram getaggt, finde immer noch neue Rezensionen dazu, und beim großen A hält sich »Unten« hartnäckig in den Top 10 der Kategorie »Genetik und Bioethik in der Gesellschaft«, was mich doch ein bisschen amüsiert, denn es ist der einzige Roman und das einzige Kinderbuch in dieser sonst von ernsten Sachbüchern dominierten Kategorie.

Und was das »preisverdächtig« angeht – das können wir jetzt getrost durch »preisgekrönt« ersetzen. »Unten« hat erst den ersten Preis bei den Erfurter Schmökerhits abgeräumt, dann den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar, und damit ist bei mir ein großer Traum in Erfüllung gegangen – ein so großer Traum, dass ich das erst mal gar nicht fassen konnte und mir mein Innerer Saboteur in den Wochen vor der Preisverleihung versucht hat, einzureden, dass das überhaupt nicht sein kann, dass sich das Ganze als Irrtum herausstellen wird, dass in Wirklichkeit ein anderes Buch gewonnen hat, nicht meines … Da bin ich schon ziemlich auf dem Zahnfleisch gegangen. Der Moment, als ich dann – völlig durchgeschwitzt wegen einer fehlgeleiteten Festtagskleidungsstrategie – den Phantatikpreis wirklich in Empfang nehmen durfte, war ein Befreiungsschlag für mich, und ein großer Glücksmoment.

Unterm Strich habe ich nie für ein Buch derart viel, derart positives Feedback bekommen, und das von Kindern wie Erwachsenen. Ich zehre immer noch davon, im Mai in einem Kasseler Gymnasium mit einem sechsten Schuljahr, das mein Buch als Lektüre durchgenommen hatte, über »Unten« zu diskutieren und daraus vorzulesen, und als bestes Geschenk überhaupt einen Sammelband mit von den Kindern geschriebenen Fortsetzungen zu bekommen – das war ja mein erklärter Wunsch: Dass die Leser:innen die Geschichte selbst weiterdenken. Eine Fortsetzung ist nach wie vor nicht geplant.

Wohl aber ein Nachfolger: Mein neues, philosophisch-gruseliges Kinderbuch, Arbeitstitel »Die vierte Wand«, ist gerade fertig geworden, geht jetzt ins Lektorat und erscheint voraussichtlich im Herbst 2024 bei Oetinger. Und natürlich, manche Dinge ändern sich nie: Ich blicke der Veröffentlichung mit einem Zittern entgegen, diesmal wegen der Frage, wie ich es schaffen will, nochmal so ein Buch wie »Unten« hinzulegen. Dabei ist es etwas ganz anderes geworden, etwas ganz eigenes, und ich hoffe, es muss am Ende den Vergleich mit seinem Vorgänger nicht scheuen.

Aber ich habe 2023 nicht nur »Die vierte Wand« geschrieben. Erwähnte ich nicht eben ein gewagtes Ziel von 500.000 Wörtern? Das habe ich erreicht. Mehr noch, das habe ich übertroffen. Stand heute, während ich an diesem Rückblick tippe, stehe ich bei über 690.000 Wörtern – verteilt auf neun Romane und diverse Einzeltexte. An fertigen Romanen habe ich dieses Jahr vier Stück vorzuweisen: Neben der erwähnten »Vierten Wand« sind das der erste Band meiner »Neunten Träne«, mit dem ich vor zwei Jahren das PAN-Stipendium gewonnen habe; »Owls End«, mein neuer Gaslicht-Roman, der – wahrscheinlich allerdings erst Anfang 2025 – bei dotbooks erscheinen wird, und, gerade eben erst, »Zornesbraut«, der fünfte Band meiner »Chroniken der Elomaran«.

Die waren für mich DIE Wiederentdeckung des Jahres. Von 2000 bis 2011 hatte ich fleißig an dieser epischen Fantasyreihe geschrieben, meine Agentur darüber gefunden – und dann, nachdem es 2011 mit der Verlagssuche nicht geklappt hatte, die Arbeit dran eingestellt, mitten im Buch, mitten in einer Szene, und dass ich zumindest den letzten Satz noch zu Ende geschrieben hatte, war auch schon alles. Ich verdanke es einem Anstoß meiner Mutter, die ersten vier Bücher der Reihe im Sommer dieses Jahres dann alle nochmal gelesen zu haben, und da war sie wieder, die Liebe zu meinem Opus Magnum, und mit ihr neue Ideen. Ein halbes Jahr später ist jetzt also das Buch, das zwölf Jahre auf Eis gelegen hat (und davor schon fünf Jahre lang in Arbeit war) fertig, und ich bin da angekommen, wo ich denke, wenn ich »Zornesbraut« fertigschreiben konnte, dann kann ich das auch mit jedem anderen Buch, das ich auf Eis liegen habe.

Für 2024 habe ich mir also nicht nur nochmal ein Jahresziel von 500.000 Wörtern gesteckt, sondern auch die Absicht, ein paar eingefrorene Projekte wiederzubeleben – aber der Ausblick auf 2024, meine großen Pläne, das kommt noch. Erst einmal soll es hier beim Rückblick auf ein großes Jahr bleiben. Das Jahr, in dem ich erreicht habe, was ich mir vorgenommen habe, zumindest da, wo es ums Schreiben geht. Das Jahr, in dem ich eisern an jedem einzelnen Tag mein Pensum abgliefert habe, Werktags, Sonntags, Feiertags, Zuhause wie auf Conventions, selbst mit Covid, zum Glück einem milden Verlauf, habe ich noch jeden Tag geschrieben, und ich blicke stolz auf meinen Lauf und will den mit ins neue Jahr nehmen, wenn das irgendwie geht.

Was habe ich noch geschrieben? Ich habe mich in »Wie Haut so kalt« ein bisschen verrannt, habe am »Sturmtrinker«, der seit dem Nano 2021 brachgelegen hatte, ein ganzes Stück weitergeschrieben, ich habe an der Altlast »Lichtland«, woran ich seit dem Nano 2007 arbeite, großflächige Umschreibmaßnahmen vollzogen und musste dann doch feststellen, dass mir neue Ideen für dieses Projekt gerade fehlen, und in diesem Nanowrimo habe ich die »Tränenjäger«-Fortsetzung und den Steampunk-Dark Academia-Roman »Funkenschwarz« angefangen – viele Bücher, viele Seiten, viele Wörter, mit denen ich sehr glücklich bin. Noch nie, nie in meinem ganzen Leben, habe ich in einem einzelnen Jahr derart fleißig, derart viel geschrieben.

Wo es nicht ums Schreiben ging, war ich, zugegeben, 2023 weniger erfolgreich. Meine Probleme, das Haus zu verlassen, haben sich wie ein roter Faden durch das Jahr gezogen und mir viele andere gute Vorsätze erschwert – ich wollte wieder mehr Sport machen, habe ich aber nicht, und öfter spazierengehen, aber auch dafür hätte ich das Haus verlassen müssen. Immerhin habe ich es wieder öfter zu meinem Gesangsunterricht geschafft und zum Aquarellmalkurs, und ich bin wirklich froh, da zwei kreative Hobbys zu haben zum Ausgleich dazu, dass ich das Schreiben zum Beruf gemacht habe. Im Schnitt verlasse ich das Haus jetzt an drei Tagen in der Woche – zum Singen, Malen und zu unserer neuen Rollenspielrunde, und auch wenn das alles nicht jede Woche klappt, mache ich immerhin Fortschritte.

Psychisch trete ich auf der Stelle, aber auf einem insgesamt besseren Niveau als 2022, wo ich über weite Strecken nicht mehr leben wollte. Dieses Jahr habe ich so viel Kraft aus dem Schreiben geschöpft, dass ich dem alles andere unterordnen konnte –  meine Verzweiflung über den Zustand der Welt habe ich in diesem Jahr besser ausklammern können, und auch wenn es klingt, als stecke ich den Kopf in den Sand, wo es um Klimawandel, Kriege, Terrorismus geht, habe ich an der Stelle gerade kaum eine Wahl, solange ich leben will, und 2023 war ein Jahr, in dem es mit dem Lebenwollen besser geklappt hat. Deswegen bleibt dies ein ganz persönlicher Jahresrückblick, in dem ich das Weltgeschehen ausklammern möchte – ich verzweifle an meiner Hilf- und Kraftlosigkeit, aber wenn es mir gelingt, mit meinen Büchern andere Menschen zu stärken, war ich vielleicht doch nicht ganz so vergebens auf der Welt.

So gibt es wirklich nur wenig, das nichts mit dem Schreiben zu tun hat, in diesem Rückblick. Ich habe das ganze Jahr über geschrieben, das ist gut, ich habe alle meine Deadlines eingehalten, aber alles, was nicht auf die eine oder andere Weise mit dem Schreiben zu tun hat, einfach verdrängt. Es ist nicht wie 2020, wo ich mich an mehrere Monate überhaupt nicht erinnern kann – ich weiß noch genau, was ich wann geschrieben habe, und habe die Excel-Tabellen, um alles tageweise nachzuvollziehen, und kann mich daran entlanghangeln. Vielleicht hätte ich das auch mit den anderen Sachen machen sollen, aber ich glaube, in meinem Leben ist einfach dieses Jahr sehr wenig passiert, was nichts mit dem Schreiben zu tun hatte – meinem, und dem von über einhundert Debutautor:innen.

Ich bin nämlich, ganz kurzfristig, in die Jury des PAN-Stipendiums hineingerutscht, in der Kategorie Debut, und auch wenn ich vielleicht hätte fragen sollen, wie viel Arbeit da auf mich zukommt, hatte ich gewaltigen Spaß dabei. Die kritische Auseinandersetzung mit über hundert Leseproben und den dazugehörigen Exposés hat mich auch selbst sehr weitergebracht – es hat mich daran erinnert, wo ich selbst herkomme, und vielleicht hätte ich nie meine uralten Elomaran wieder rausgekramt, wenn ich nicht verstanden hätte, wie gut manche dieser Debütmanuskripte waren. Natürlich, nicht alles hat mich gleichermaßen überzeugen können, aber bis auf ganz wenige Ausnahmen habe ich alles zu Ende gelesen und hatte meinen Spaß daran.

In diesem Jahr habe ich geschafft, was mir in den Jahren davor nicht gelungen ist: Ich war über weite Strecken glücklich. Natürlich, ich hatte auch einen depressiven Durchhänger im Frühsommer, aber ich bin wieder auf die Beine gekommen, und es hat mir geholfen, auch während dieser Durststrecke täglich zu schreiben – selbst wenn das in der Zeit in erster Linie das Umschreiben der alten Teile von »Lichtland« war, nicht besonders anspruchsvoll oder kreativ. Selbst in der Zeit hatte ich meine Laufliste, um mich daran festzuhalten, und als ich dann wieder voll dabei war, war auch mein Selbstverständnis wieder da.

Was ich gelernt habe, ist, dass ich arbeiten kann. Aber während das Jahr voranschritt, mehrten sich die besorgten Stimmen um mich herum – liebe Menschen, die Angst hatten, ich würde mich übernehmen, wenn ich nicht irgendwann mal eine Pause einlege. Wenn das Schreiben mein Beruf ist, muss ich es dann nicht wie meinen Beruf behandeln und freie Wochenenden einlegen? Auch mal Urlaub machen? Aber da war ich, und ich habe geschrieben und geschrieben und geschrieben, als hätte ich vergessen, wie man durchatmet. Was mir Selbstbewusstsein und Stärke verliehen hat, hat auf der anderen Seite an meinen Kräften gezehrt, das muss ich zugeben.

Und als es auf Ende des Nanowrimos zuging, habe ich das auch deutlich gespürt. Nach einem Jahr ohne Pausen plötzlich das gleiche mit doppeltem Pensum zu machen, war vielleicht nicht die weiseste Idee. Aber als der Nano rum war und ich ein paar Nächte lang wieder durchgeschlafen hatte, war ich wieder frisch und munter und habe gemerkt, dass ich unterm Strich mit einem Kräfteplus rausgekommen bin, selbst aus dem Nano. Und wenn ich das wiederholen kann, dann werde ich das auch tun – nicht unbedingt im Nanowrimo, da werde ich 2024 wohl einen Gang runterschalten, wenn ich bis dahin wieder so einen Lauf haben sollte – aber ich werde auch im kommenden Jahr versuchen, jeden Tag zu schreiben.

Ich werde Wochenenden einlegen – wo ich dann die Lektorate und Überarbeitungen und das ganze anstrengende Zeug nicht anrühre und nur Sachen schreibe, auf die ich gerade einfach Lust habe – aber ich werde jeden Tag schreiben, weil es das ist, was mich glücklich macht, und das, woraus ich meine Kraft schöpfe. Noch so ein Jahr wie 2023 werde ich wahrscheinlich so schnell nicht nochmal erleben. Aber ich hoffe, die kommenden Jahre werden genauso glücklich.

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