Nachruf auf ein doofes Jahr

Hier ist er dann, der lang angekündigte Rückblick auf 2020. Bestimmt würde man sich auch noch an dieses Jahr erinnern, wenn ich den Rückblick irgendwann im Herbst 2027 veröffentlichen würde – nur, will man das? Ist es nicht schlimm genug, dass ich jetzt, wo 2021 so schön angefangen hat, noch mal an dieses Jahr, von dem man nicht spricht, erinnern muss? Aber ich will trotzdem erzählen, wie es mir gegangen ist. 2020 war ein Jahr, in für mich dem gute und schlechte Dinge passiert sind – und rückblickend denke ich, die guten Dinge haben letztlich überwogen, aber es hat sich über weite Strecken nicht so angefühlt.

Dabei hat es toll angefangen, das Jahr. Ende 2019 hatte ich endlich meine Schlafprobleme in den Griff bekommen, über Wochen ein Leben geführt wie ein normaler Mensch, der morgens aufsteht und sich abends ins Bett legt und dann auch schläft. Ich dachte, es wäre auf einen Wechsel meiner Medikamentenmarke zurückzuführen, und ich hoffte, es wäre von Dauer. Ich tat alles, um das nicht wieder einreißen zu lassen, und verbrachte lieber Silvester allein auf meinem Balkon, um kurz nach Mitternacht ins Bett gehen zu können, statt auf der kleinen Party mit Freunden, auf der mein Mann war.… Weiterlesen

Hashtag #nichttransgenug

Ja, die guten Vorsätze. Jede Woche ein neuer Blogartikel, und schaut nur, hier ist schon der zweite. Ich hatte damit gerechnet, dass es zum ersten einen Nachfolgeartikel geben würde, nur nicht unbedingt, dass es so schnell gehen würde. Aber als ich vor ein paar Tagen den Artikel veröffentlicht hatte, in dem ich bekanntgab, dass ich transgender bin, hatte ich durchaus die Hoffnung, dass der dann als Quelle herangezogen werden könnte, die Kategorie »Frau« aus meinem Wikipedia-Profil zu tilgen.

Fangen wir mal mit dem Grundsätzlichen an: Die Praxis der deutschsprachigen (und nur der deutschsprachigen!) Wikipedia, Personenartikel grundsätzlich den Kategorien »Mann« oder »Frau« zuzuordnen, ist Schwachfug. Lasst es mich auf bibliothekarischer Basis erklären: Die Kategorien dienen der Auffindbarkeit eines Artikels nach inhaltlichen Kriterien. Im Idealfall kann ein Artikel dann unter jedem Begriff, unter dem Leute danach suchen könnten, gefunden werden. Und genau das ist der Knackpunkt: Begriffe, unter denen Leute suchen . »Hey, Wikipedia, zeigt mir mal, welche Promis aus Dortmund kommen!« ist ein valider Suchbegriff. Auch nach Geburtsjahren wird sicher gesucht.

Aber wer geht in die Wikipedia, um Artikel über Männer zu finden? Die Kategorisierung nach »diese Hälfte der Weltbevölkerung« und »jene Hälfte der Weltbevölkerung« ist quatsch, weil niemand so sucht. Natürlich ist diese Verschlagwortung in den meisten Fällen durchaus zutreffend – aber Wikipediaartikel werden auch nicht nach Augenfarbe kategorisiert, obwohl auch die in meinem Personalausweis angegeben ist, oder nach Körpergröße – warum muss dann ein geschlechtsabhängiger Eintrag her?

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Links, rechts, cis, trans, Mann, Frau, Mensch

Guter Vorsatz fürs neue Jahr: Endlich wieder bloggen. Ist ja nicht so, als ob ich nichts zu sagen hätte, und seit ich ein veröffentlichter Autor bin, gibt es auch tatsächlich Leute, die mir mal zuhören … Ich hatte das Übliche geplant, einen Rückblick auf das Jahr 2020, das auch für mich alles andere als positiv verlaufen war, und dann einen optimistischerer Ausblick auf 2021 … Stattdessen sitze ich jetzt hier und schreibe einen Artikel, der nicht so zeitkritisch ist wie ein Jahresrückblick, den ich im Kopf schon seit einigen Jahren immer wieder formuliert und doch nie geschrieben habe, und der mir gerade wichtiger ist als Rückblicke oder Ausblicke. Ich will das Jahr damit beginnen, mit mir selbst ins Reine zu kommen, und offen aussprechen, was ich schon ziemlich lange weiß. Ich bin transgender.

Ich war acht, neun Jahre alt, als ich zu meiner Mutter ging und ihr sagte, dass ich ein Junge sein wollte. Und sie schaute mich an und sagte: »Warum denn? Alles, was ein Junge kann, kannst du auch als Mädchen, und lass dir von niemandem sagen, dass du ein Junge sein müsstest, um so zu sein, wie du bist.« Und damit hatte sie natürlich recht. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem ich ich sein durfte und in meinen verschlissenen Latzhosen auf Bäume klettern und mit meinen Playmobilseeräubern spielen, ohne jemals »Ein Mädchen tut sowas nicht« zu hören zu bekommen.

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Tag Zwei: Männlein gegen Weiblein

Es ist langsam mal wieder an der Zeit, dass ich mich den dreißig Fragen zuwende, vor allem, da ich erst eine davon beantwortet habe. Nachdem ich mich entschieden habe, Das Haus der Puppen mit einer unkonventionellen Liebe zu beenden, passt es sehr schön, dass die zweite Frage des berüchtigten Stöckchens lauten:
2. Wie viele Figuren hast du? Bevorzugst du Männer oder Frauen?

Ich hoffe, niemand erwartet ernsthaft von mir, meine Figuren zu zählen. Ich habe zwar tendenziell gar nicht so viele Figuren in meinen Geschichten, arbeite lieber mit wenigen Charakteren, als dass ich ganze Heerscharen aufmarschieren lasse – was mich als Autorin epischer Fantasy sicher disqualifiziert. So treten zwar in den Chroniken der Elomaran siebenundfünfzig Figuren, kleinste Nebenrollen mitgerechnet, aber auf vier nicht immer dünne Bände verteilt ist das nicht wirklich viel. Und beim Haus der Puppen komme ich mit acht Figuren aus. Natürlich ist das nicht viel. Aber über die Jahre ist doch einiges zusammengekommen, ich habe in den letzten fünfundzwanzig Jahren mehr Personen aufmarschieren lassen, als ich jetzt noch aufzählen könnte. Daher kann ich die Frage nur beantworten mit: Viele.

Was den zweiten Teil der Frage angeht: Tendenziell sind meine Hauptfiguren eher männlich als weiblich, und bis vor ein paar Jahren hatte ich große Probleme, mit weiblichen Hauptfiguren zu arbeiten, weil sie mir immer zu ähnlich wurden, um von mir noch als individuell wahrgenommen werden zu können, und das machte sie hölzern und leblos – anders als die Männer, die per se anders waren als ich und dann auch schnell autonom agieren konnten.… Weiterlesen

Ganz schön schön II

Da habe ich mich neulich noch lang und breit darüber ausgelassen, wie gründlich die Bild-Zeitung darin ist, nahezu jede Frau mit dem nichtssagenden Attribut schön zu belegen, und daß sie das nicht mit Männern machen – und als läsen die Bildr-Redakteure dieses Blog, gibt es heute schon ein Gegenbeispiel: Einen schönen Mann. Besser noch: Einen schönen Fußballer.

Der Artikel ist genauso aufgebaut wie diejenigen, die ich beim letzten Mal herangezogen habe, mit einem Unterschied: Die Geschlechter sind vertauscht. Shakira ist sie selbst, muß nicht erklärt werden – sie ist nicht »die schöne Kolumbianerin« oder »die schöne Popsängerin«, noch nicht mal das Wort sexy fällt – dafür ist Gerard Piqué nicht nur der Fußballer, sondern »der schöne Fußballer« – und das ist kein Versehen, denn eine Zeile apäter ist er »der schöne spanische FC-Barcelona-Star«. Natürlich, so ein Star ist er dann doch wohl nicht, wenn es so viele Zusatzattribute braucht, aber ausgerechnet schön… Für einen Mann… Mein Weltbild ist aus den Fugen!

Aber warum ausgerechnet der? Da sind andere Männer aber viel, viel schöner…… Weiterlesen

Ganz schön schön

Frauen sind ja das zarte, schwache, schöne Geschlecht. Heute natürlich nicht mehr, klar. Heute sind Frauen nur ein Geschlecht. Oder Gender. Ist das nicht schade, wo wir doch zumindest immer noch so schön sind? Das jedenfalls muß sich die Bild-Zeitung gedacht haben, denn wann immer sie über eine Frau berichtet, dann ist die schön. Immer. Weil sie eine Frau ist. Und das muß erwähnt werden, schon beim ersten Auftritt und noch vor dem Namen, als Adjektivattribut. Mit dem sensationsgeil ausgestreckten Zeigefinger – Ecce Femina! – werden sie uns präsentiert: Diese schönen Frauen. Und das gilt für alle, jede, ausgenommen nur Angela Merkel, vielleicht, weil die Bundeskanzlerin ist und schon über fünfzig ist und damit nicht mehr ganz so sehr Frau.

Eine Steigerungsform tritt dann auf, wenn die Frau schon einmal erwähnt wurde und am besten auch noch Deutsche ist: Dann heißt es nicht mehr »diese schöne«, sondern gleich »unsere schöne« – und das Recht auf Selbstbestimmung ist genauso perdu wie der Wunsch, als Frau nicht mehr andauernd auf sein Aussehen reduziert zu werden. Formulierungen wie »diese/unsere schlaue« oder »diese/unsere starke« vermißt man hingegen, wie zu erwarten war.

Wir kennen das ja ein bißchen schon aus Köln, wo man eine Frau, die man nach dem Weg fragen möchte oder an deren Einkaufswagen man im Supermarkt vorbei möchte, mit »Junge Frau« anredet.… Weiterlesen

Rosa Rosa Romantasy

Wir schreiben das Jahr 2010, noch. Ein kleines Mädchen wird gemobbt, weil sie stolz ihre Star-Wars-Trinkflasche zur Schule mitgebracht hat. Ein Junge wird gehänselt, weil er Mein Kleines Pony liebt. Die vierjährige Tochter einer Schauspielerin trägt Hosen und kurze Haare, und die Medien mutmaßen, ob ihre Mutter aus Eifersucht die Schönheit des Kindes unterdrückt oder ob das Mädchen vielleicht transsexuell ist. Familienministerin Schröder läßt sich darüber aus, daß Feminismus heute nicht mehr nötig, ja sogar schädlich ist. Und was hat das mit mir zu tun? Eine Menge, nicht nur, weil ich kurze Haare getragen habe und viele Jahre lang als Berufswunsch ‚Seeräuber‘ angegeben habe. Im Moment beschäftigt mich dieses Thema schon allein wegen Geigenzauber.

Worum geht es? Um den Schluß, natürlich, denn zum Glück kann ich sagen, daß viel mehr als der Schluß auch nicht mehr zu plotten ist. Aber ich trage mich schwer mit der Form des Happyends, zu dem ich ob eines ungeschriebenen Gesetzes verpflichtet scheine: Ein Happyend, das Mia in den Armen eines süßen Jungen platziert. Nein, sie wird Branwell nicht bekommen. Branwell hat sie nur ausgenutzt, für Branwell war sie nur ein Werkzeug, um in seine verbotene Heimat zurückzukehren. Er sieht schnuckelig aus, aber ganz ehrlich, so einen will man nicht, wirklich.… Weiterlesen