Von Zweihörnern und Amazonen

Inzwischen ist es Montagabend, ich bin von der Convention zurück und pflege einen noch ziemlich sanften Husten – aber wie ist es gelaufen mit dem Coming-Out?

Meinen Plan, am Samstag im Hauptkonzert mein Coming-Out zu haben, konnte ich leider nicht so umsetzen. Ich stand schon auf der Bühne, wurde verkabelt, als bei mir die Technik streikte und ich den Sperrbildschirm meines Ipads nicht wegbekam, also auch nicht an das Programm mit den Texten und Akkorden kam. Ich hatte ein besonderes Lied für den Moment vorbereitet, und den Text konnte ich auswendig, aber nicht die Gitarrenakkorde. Weil das Hauptkonzert ohnehin unter Zeitdruck steht und ich nicht alles aufhalten wollte, machte ich unter Tränen einen Rückzieher und überließ die Bühne anderen.

Aber die Orga ermöglichte mir, es am anderen Tag noch mal zu versuchen. Dafür bekam ich einen Slot im Wunschkonzert eingeräumt. Weil das auch einen knappen Zeitplan hat, sprach ich mit der wunderbaren Bine von der Orga ab, dass ich zu meinem Lied ein bisschen was erzählen wollte, und sie erlaubte mir das auch, vorausgesetzt, dass ich versuchte, mich kurzzufassen. Ich kam als erste dran, bevor die eigentlichen gewünschten Titel drankamen, und diesmal spielte auch die Technik mit.

»Dies ist das Wunschkonzert«, sagte ich, »und ich stehe heute hier, weil ich mir etwas wünsche. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr in Zukunft männliche Pronomen für mich verwenden könntet. Ich befinde mich gerade auf einem langen Weg und kann noch nicht genau sagen, wo er mich hinführen wird – im Moment fühle ich mich noch wie ein nichtbinäres Einhorn mit zwei Hörnern« – das letzte war dann die Überleitung zu dem Lied, das ich singen wollte, schließlich stand ich nicht nur zum Reden auf der Bühne. Aber ich kam noch nicht zum Singen, weil der ganze Saal zu klatschen anfing.

Das dauerte dann noch mal so lange wie meine Ansprache, und als ich dann endlich ans Singen kam, zitterte ich noch vor Anspannung und zugleich Freunde. Ich hatte einen Schritt getan, den ich nicht mehr ungetan machen konnte, und jetzt fehlte noch die Auflösung. Mein Lied »Unicorn?« habe ich bereits 2002 geschrieben und kürzlich, als ich meine Lieder für die Ipad-Software bearbeitet habe, wiederentdeckt, und mich darin wiedergefunden. Es geht um ein Zweihorn, das erst darunter leidet, nicht wie die anderen Einhörner zu sein, dann aber versteht, dass sein zweites Horn das Wahre ist und das, was es zu es selbst macht: »For I am, what I am, myself, at least.«

Und es war genau die richtige Wahl für diesen Moment. Es erzählte besser als eine lange Rede, was in mir vorgeht. Und die Resonanz war überwältigend. So viele Filker erzählten mir, wie sehr sie sich für mich freuten, wie stolz auf sie mich wären, und eine sagte einfach nur »Na endlich!«, als ob sie schon seit Jahren darauf gewartet hätte. Ich hatte angeboten, Fragen zu beantworten, nach dem Konzert, wenn mehr Zeit ist, aber niemand musste mich mehr fragen, was ich damit meinte – sie wollten nur alle wissen, ob ich meinen Namen behalte oder sie sich einen neuen für mich merken müssten. Und ich versicherte ihnen, dass ich auf jeden Fall bei Thesi bleiben möchte. Es ist der erste Spitzname, den ich jemals hatte, und ich identifiziere mich damit – nur werde ich ihn vielleicht nicht mehr ausgerechnet von der Amazonenkönigin herleiten, sondern vom griechischen Helden Theseus.

Die Convention war zu dem Zeitpunkt so gut wie vorbei, so dass nicht mehr viel Zeit blieb, meine neuen Pronomen in der Praxis auszuprobieren, aber ein paarmal ist es schon passiert, und es hat mich glücklich gemacht. Nicht mal die männlichen Pronomen selbst – die fühlen sich, zugegeben, noch ein bisschen fremd und ungewohnt an – aber dass Menschen sich für mich die Mühe geben, umzulernen, sich selbst zu korrigieren, wenn sie noch die weibliche Form verwendet haben, und es ging mit so viel Liebe und Wärme einher, dass ich mich ganz geborgen gefühlt habe.

Wie sich die männlichen Pronomen für mich bewähren, weiß ich noch nicht. Erst einmal ist der Filk meine Spielwiese, wo ich mich selbst ausprobieren kann. Wenn ich in einem Jahr merke, dass ich mich damit doch nicht angesprochen fühle oder nicht damit identifizieren kann, kann ich, ohne dass mir ein Zacken aus der Krone bricht, das erklären und wieder zur alten Form zurückkehren oder zu einer geschlechtsneutralen Variante. Aber erst einmal will ich es wagen, der Thesi zu sein. Ich habe es nicht eilig. Ich bin achtundvierzig Jahre alt, und ich habe den Luxus, mir die Zeit zu nehmen, meine Identität wirklich zu finden.

Es ist ein Jahr hin bis zur nächsten FilkContinental. Schon im Mai findet die Con DFDF (»Das Frühlingsfest der Filksmusik«) statt, wobei noch nicht klar ist, ob ich dann da sein werde. Und dann gibt es noch die Option auf ein Chorwochenende, das auch noch nicht ganz klar gesetzt ist, weil es sich mit der von mir ebenfalls sehr geliebten Leipziger Buchmesse überschneidet und ich noch nicht ganz sicher bin, wo ich am Ende hinfahre. Aber ich lasse es langsam angehen. Für den Moment reicht es mir aus, wenn die Filker mich als Mann anreden. Ich will nichts überstürzen, nicht Menschen überrumpeln, denen es schwerfällt, sich umzustellen oder mich zu akzeptieren, wenn ich vielleicht doch wieder zu einem anderen Pronomen wechseln möchte. Ich muss das erst einmal sacken lassen.

Das war es also, mein erstes offizielles Coming Out von Angesicht zu Angesicht. Ich hatte eine Bühne dafür zur Verfügung, ein Mikrophon, und eine Gitarre, um mich daran festzuhalten. Und es hat sich gut angefühlt und richtig. Auch wenn ich es mit einem Tag Verspätung gemacht habe – im Wunschkonzert war der richtige Zeitpunkt. Und ehe ich mich auch nur wie ein Hochstapler fühlen musste, schließlich war ich nicht auf regulärem Weg ins Wunschkonzert gewandert, stellte sich heraus, dass sich jemand genau das Zweihorn-Lied, das ich gesungen habe, selbst gewünscht hatte. Es hatte also alles seine Richtigkeit.

Und jetzt schreibe ich ein neues Lied, oder habe das zumindest vor – ein Abschiedslied für die Amazonenkönigin, die mir vierundzwanzig Jahre lang ihren Namen geliehen hat. Ich brauche sie nicht mehr. Die zweite Hälfte meines Filkerlebens will ich als Thesi beschreiten. Und wenn ich merke, das reicht mir nicht mehr aus – dann folgt, Schritt für Schritt, der Rest der Welt.

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