Hashtag #nichttransgenug

Ja, die guten Vorsätze. Jede Woche ein neuer Blogartikel, und schaut nur, hier ist schon der zweite. Ich hatte damit gerechnet, dass es zum ersten einen Nachfolgeartikel geben würde, nur nicht unbedingt, dass es so schnell gehen würde. Aber als ich vor ein paar Tagen den Artikel veröffentlicht hatte, in dem ich bekanntgab, dass ich transgender bin, hatte ich durchaus die Hoffnung, dass der dann als Quelle herangezogen werden könnte, die Kategorie »Frau« aus meinem Wikipedia-Profil zu tilgen.

Fangen wir mal mit dem Grundsätzlichen an: Die Praxis der deutschsprachigen (und nur der deutschsprachigen!) Wikipedia, Personenartikel grundsätzlich den Kategorien »Mann« oder »Frau« zuzuordnen, ist Schwachfug. Lasst es mich auf bibliothekarischer Basis erklären: Die Kategorien dienen der Auffindbarkeit eines Artikels nach inhaltlichen Kriterien. Im Idealfall kann ein Artikel dann unter jedem Begriff, unter dem Leute danach suchen könnten, gefunden werden. Und genau das ist der Knackpunkt: Begriffe, unter denen Leute suchen . »Hey, Wikipedia, zeigt mir mal, welche Promis aus Dortmund kommen!« ist ein valider Suchbegriff. Auch nach Geburtsjahren wird sicher gesucht.

Aber wer geht in die Wikipedia, um Artikel über Männer zu finden? Die Kategorisierung nach »diese Hälfte der Weltbevölkerung« und »jene Hälfte der Weltbevölkerung« ist quatsch, weil niemand so sucht. Natürlich ist diese Verschlagwortung in den meisten Fällen durchaus zutreffend – aber Wikipediaartikel werden auch nicht nach Augenfarbe kategorisiert, obwohl auch die in meinem Personalausweis angegeben ist, oder nach Körpergröße – warum muss dann ein geschlechtsabhängiger Eintrag her? Als ein Artikel mit einer Liste deutschsprachiger (weiblicher) Science Fiction-Autorinnen angelegt werden sollte, gab es dazu übrigens einen Löschantrag, Begründung: die Geschlechtsangabe ist irrelevant. Was denn nun, Wikipedia?

Soweit also zum Grundsätzlichen: Das System selbst stinkt. Nun zum Detail: Wenn die Kategorie falsch ist, und das gibt es sogar schriftlich, dann ändert man das eben. Ist heute viel einfacher als bei gedruckten Nachschlagewerken oder maschinengeschriebenen Karten für den Schlagwortkatalog, und deswegen musste ich auch nicht lange warten, bis mein Blogartikel wahrgenommen wurde, und meine in der Wikipedia-Community aktive Autorenkollegin Judith Vogt war so lieb, nach Rücksprache mit mir wegen der zu verwendenden Artikel (kann ruhig auf »sie« stehenbleiben) oder geschlechtsneutraler Formulierung (bloß nicht, ich fühle mich dadurch entmenschlicht) meinen Artikel entsprechend anzupassen.

Ich habe mich gefreut, ungefähr fünf Minuten lang. Dann wurde die Änderung rückgängig gemacht, Begründung: »ein eigener Block ist keine zuverlässige Informationsquelle = Sekundärliteratur wird benötigt (außerdem wäre „nichtbinär“ automatisch transgender)«. Damit habe ich es schriftlich. Ich bin keine zuverlässige Quelle für meine EIGENE Identität. Hatte ich nicht im Vorfeld befürchtet, nicht trans genug zu sein? Da bin ich nun. Nicht trans genug für die Wikipedia. Weil, wenn ich das sage, reicht das offenbar nicht aus.

Ja sagt mal, habt ihr Lack gesoffen? Wer soll denn mein Coming Out für mich machen, wenn nicht ich selbst? Soll ich zwei medizinische Gutachten einreichen, wie sie nötig wären, meine Geschlechtsangabe im Personalausweis ändern zu lassen? Oder würdet ihr die Änderung übernehmen, wenn irgendwer anders als ich selbst in die Welt setzen würde, dass ich trans bin, weil es dann nicht von mir selbst kommt? Bittesehr, ich suche gerne den Kommentar aus dem SWR-Youtubekanal raus, wo nach meinem Auftritt im Nachtcafé jemand erklärte, ich wäre ja offensichtlich transgender – das ist dann eine valide Quelle, oder was? Wenn Jonas sagt: »Ich bin schwul«, zählt das nicht, aber wenn Tim aus der 3a brüllt »Der Jonas ist voll schwul!«, dann kommt es so in die Wikipedia?

Quellen wollt ihr also. Versteh ich. Ich habe Bibliothekswesen studiert. Quellen sind was feines. Nur, warum setzt ihr dann willkürlich Kategorien ohne jedwede Quelle oder Grundlage? Wie kommt es, dass ihr mich, ohne irgendeinen Beleg dafür, überhaupt in die Kategorie »Frau« gepackt habt? Als mein Wikipedia-Artikel veröffentlicht wurde, wusste ich bereits selbst seit langem, dass ich trans bin, ich hatte es nur noch nicht öffentlich gemacht – aber dass ich in die Kategorie »Frau« gehöre, das habt ihr einfach mal angenommen. Weil ich einen weiblichen Vornamen habe. Weil ich kein Problem damit habe, mich mit weiblichen Artikeln bezeichnen zu lassen. Aber sind das fundierte Quellen? Es sind Annahmen, mehr nicht. Und spätestens, wenn man euch dann sagt, dass diese beleglosen Annahmen falsch sind – dann korrigiert sie.

Niemals hat jemand von euch meine Geburtsurkunde eingesehen, meinen Personalausweis, oder meine Genitalien. Es wurde einfach eine Annahme getätigt. Eine Annahme, die falsch ist. Dass ich 1975 geboren bin, habe übrigens auch nur ich selbst in die Welt gesetzt. Die Aussage, dass ich aus Dortmund stamme, habt ihr mir ebenfalls problemlos abgekauft, auch dafür gibt es jenseits meiner selbstformulierten Autorenbiographie keinerlei Quellen. Und dass ich Deutsche bin, habt ihr einfach mal angenommen – ich könnte eine ganz andere Staatsangehörigkeit haben, wenn meine Eltern, über die ihr keinelei Informationen habt, selbst keine Deutschen wären. Einfach mal eintragen, wird schon passen. Aber wenn ich euch sage, schwarz auf weiß, dass ich transgender bin – dann hat das auf einmal nicht zu genügen?

Gestern schrieb ich noch einem/er anderen Twitter-User*in, dass es kein »nicht trans genug« oder »nicht queer genug« gibt, dass die eigene Identität keine Castingshow ist, bei der unter allen Teilnehmern der queerste oder transeste gekürt wird – dass nur wir selbst die Deutungshoheit darüber haben, wer wir sind. Ich lag, offensichtlich, falsch. Die Entscheidung, ob ich als transgender zähle, obliegt der Wikipedia-Community, die jetzt in einer Diskussion und per Mehrheitsentscheid darüber abstimmen können. Texten Sie CIS oder TRANS an die 0190XXX, um über Majas sexuelle Identität zu entscheiden!

Ein Gutes hat es. Wenn ich vor ein paar Tagen noch unsicher war, ob ich mir wirklich das Recht rausnehmen dürfte, mich als transgender zu outen, bin ich jetzt so sicher wie nur irgendwas. Es ist meine Identität. Und die lasse ich mir nicht wegnehmen. Auch nicht von der Wikipedia-Community. Und erst recht nicht von Leuten, die Blog mit CK schreiben und nicht wissen, dass »transsexuelle Person« und »nichtbinäre Person« zwei separate, realexistierende Kategorien der deutschsprachigen Wikipedia sind. Wohlfühlen würde ich mich übrigens mit Beidem. Nur unter Frau, da stehe ich falsch.

Nachtrag, 19. Januar

Die Diskussion der Wikipedia-Community verlief schnell und schmerzlos, und der Tenor war: Ja, soll die denn die Lokalpresse anrufen, um sich als transgender zu outen? Das ergibt doch keinen Sinn. Wie prominent muss ein Mensch sein, damit ein Coming Out zählt? Das Blog ist der richtige Ort dafür, und der Artikel die richtige Quelle. Und schon war der Wikipedia-Artikel entsprechend angepasst. Na also, geht doch! Und Danke an meine Unterstützer bei der Wikipedia, dass ihr euch so reingekniet habt!

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