Percy, wir müssen reden!

Eigentlich ist es mir fast schon peinlich. Dieser verteufelte Alkohol! Ich habe mir schon so oft vorgenommen, es nie wieder zu tun, aber was soll ich sagen? Es ist eben doch schon wieder passiert. Eigentlich sollte Felder, der Glücksritter, der sich in der Flöte aus Eis um Kopf, Kragen und Königreich trinkt, der einzige Vertreter seiner Zunft bleiben. Dann kam mit Mowsal aus der Spinnwebstadt ein feines Beispiel für einen alkoholgefährdeten Jugendlichen, und als ich mit den Chroniken der Elomaran anfing, hatte ich mit Jurik auf der einen Seite und Varyn auf der anderen gleich zwei Leute, die mit massiven Alkoholproblemen zu kämpfen haben. Und damit war noch lange nicht Schluss. In der Gauklerinsel ist Roashan derart weit fortgeschritten in seiner Sucht, dass er mit körperlichen Entzugserscheinungen zu kämpfen hat, und sein Freund Shaun ist nur deswegen trocken, weil er als Geist keine andere Wahl mehr hat, und das sollte dann wirklich die Krönung sein und das Ende einer schon viel zu langen Reihe von Alkoholikern in meinen Geschichten, aber dann kam das Gefälschte Siegel mit Kevron, der ohne Alkohol keinen Schlaf findet und sich ohne Aufputschmittel nicht wachhalten kann, und selbst im plotlosen Geistersaat ist Damon Rickard nie ohne Glas in der Hand anzutreffen, und ich stehe da und muss mich fragen, will ich wirklich der Charles Bukowski der Fantasyliteratur werden?

Immerhin, die Helden meiner Jugendbücher sind trocken. Andersherum, wenn ich mich nicht entscheiden kann, ob ein Buch sich jetzt an ein erwachsenes oder ein jugendliches Publikum richtet – beim Puppenzimmer war ich mir ja nicht ganz sicher – muss ich nur schauen: Haben wir einen Alkoholiker dabei? Wenn nein, ist es ein Jugendbuch. Selbst im <empuppenzimmer< em=““> wird Alkohol getrunken, aber nicht auf gewohnheitsmäßiger Basis, ich finde, es passt nicht zu Feen, sich die Kante zu geben. Aber was ist das für eine Perspektive? Will ich nur deswegen Jugendbücher schreiben, um dem Alkohol zu entgehen? Langsam bin ich wirklich bang, was meine Leser von mir denken werden. Ich selbst kenne keinen Autor, der für die Gelage in seinen Geschichten berühmt gewesen wäre, ohne selbst an der Flasche zu hängen. Was hilft es, dass ich betone, dass das auf mich nicht zutrifft – im Zweifelsfall glaubt mir das sowieso keiner? Ich kann sagen, ohne mich schämen zu müssen, dass Alkohol ein Dämon ist, der mich seit langem durch mein Leben begleitet, aber es spielt sich durchgängig auf der theoretischen Ebene ab, indem ich es in meine Geschichten verlagere. Ich habe also in dem Sinne ein Alkoholproblem, aber ich trinke nicht. Verkorkst, aber mit guten Leberwerten, sozusagen.

Jetzt ist es also wieder passiert, mit einer Figur, die sicher nicht als Alkoholiker konzipiert war, und während ich noch gehofft habe, diesmal mit einem blauen Auge davonzukommen, wie schon im Puppenzimmer gesehen, kann eine Figur einmal betrunken sein, ohne gleich ein Alkoholproblem zu haben, aber nachdem eine meiner Betaleserinner den Finger direkt in die Wunde gelegt hat, musste ich mich jetzt doch den Tatsachen stellen. Percy hat es also geschafft. Herzlich willkommen im Kreis der Trinker. Inzwischen habe ich genug solche Figuren, um eine eigene AlAnon-Ortsgruppe aufzumachen. Aber wie war ich auch auf die Idee gekommen, bei meiner Vorgeschichte, dass ein Mann mit schweren Weltkriegstraumata, entwurzelt und ohne Erinnerungen, und das in einer Epoche, in der Alkohol überall deutlich präsenter war als heute, mit einem blauen Auge davonkommen? Schon in den Mohnkindern erleben wir ihn zweimal völlig betrunken, und in der Schattenuhr nimmt das seine logische Fortsetzung. Dabei weiß Percy um die Gefahr, in der er schwebt – und redet sich immer wieder ein, dass er die schlimme Zeit schon hinter sich hat, seit er im Obdachlosenasyl der Heilsarmee Unterschlupf gefunden hat, und dass er nur aufpassen muss, um nicht wieder abzurutschen. Er kann wochenlang ohne Alkohol auskommen, dann ist doch alles in Ordnung? Aber ich weiß es besser, und so habe ich mir den Burschen mal zur Brust genommen.

Ich habe Erfahrung mit Alkoholikern, nicht in meiner Familie, von einem längst verstorbenen Großonkel abgesehen, oder meinem Freundeskreis, aber beruflich – ich hatte zweimal Alkoholiker zum Chef, und ich habe damals alles getan, um denen den Rücken freizuhalten, es war nicht an mir, ihnen Vorwürfe zu machen, und auf der anderen Seite war da ein stummes Verständnis zwischen uns, dass sie auch auf mich Rücksicht nahmen, wenn mir meine Depressionen das Leben schwer machten und meine Leistungsfähigkeit einschränkten. Meine Chefin las damals die Flöte aus Eis und die Spinnwebstadt und meinte, ich hätte ein sehr gutes Verständnis für das Wesen der Sucht – und sie musste es wissen. Ich habe in der Zwischenzeit mehr Bücher über Alkohol, Drogen und Abhängigkeit gelesen als über die meisten anderen Sachthemen, und ich denke, ich kenne mich wirklich gut mit dem Thema aus. Eigentlich kann ich Percy also selbst einschätzen und muss sagen, meine Buchpatin hat sicherlich recht, wenn sie bei ihm von einem Alkoholproblem spricht – aber wo genau er jetzt steht und wie groß das Risiko ist, dafür gibt es im Internet praktische, anonyme Selbsttests. Ich muss nur die Fragen als Percy beantworten, das ist alles, auch wenn es manchmal schwer ist, die Umstände zu übertragen – 1921 brauchte man keinen Führerschein, und rechtlichen Folgen einer Motorradfahrt unter Vollrausch, die glimpflich ausgeht, muss man nicht befürchten. Heutzutage wird auch sicher im Büro weniger Alkohol ausgeschenkt als damals.

Fünf Tests später weiß ich mehr. Die meisten von ihnen sind sehr freundlich, meinen, dass ich (also Percy) mir dringend Hilfe suchen soll, dass ich in Gefahr schwebe, mich oder andere zu verletzen, und dass ich das bitte ernst nehmen soll, es ist fünf vor zwölf. Ein von einem Psychologen entwickelter Test bestätigt mir, dass ich mich gleich in fünf Stadien des Alkoholismus auf einmal befinde, ein englischsprachiger Test endet mit den harten Worten »You are an alcoholic!« – nur ein Test ist mit mir gnädig und meint, ich wäre doch immer noch stärker als Alkohol, alles in Ordnung. Das kritische ist – ausgerechnet dieser Test richtet sich an Jugendliche. Dabei habe ich geantwortet, dass ich auch schon mal bis zum Filmriss trinke und auch in betrunkenem Zustand am motorisierten Straßenverkehr teilnehme – aber solange ich Fragen wie »Ich weiß, wieviel ich vertrage« oder »Wenn ich trinke, bin ich darüber im Klaren, dass zu viel Alkohol schlecht für meine Gesundheit ist« mit »Stimmt« beantworte, ist alles in Ordnung. Wenn man weiß, dass es nicht okay ist, darf man also auch mal mit besoffenem Kopf auf dem Motorrad durch die Gegend fahren…

Percy hat jetzt eingesehen, dass er ein Problem hat, und versprochen, auf sich aufzupassen. Er ist noch nicht so krank wie Roashan, dass er morgens ohne Gin nicht aus dem Bett käme, und kann noch mit dem Trinken aufhören, ohne an den Entzugserscheinungen zu sterben – die Tests haben mir zugestimmt, dass er gegenwärtig als Konflikttrinker vor allem eine psychische Abhängigkeit hat. Nicht, dass die dann besonders leicht zu überwinden wäre, aber ich kann ihn jetzt bis auf weiteres einen Bogen um alle Alkoholika machen lassen, ohne dass er mir daran eingeht. Schließlich soll er mich noch ein paar Bücher lang begleiten, und diese Bücher sollen nicht nur davon handeln, dass er drei Tage lang verschwindet und am Ende aus der Ausnüchterungszelle befreit werden muss. Er weiß um die Gefahr, dass sein Doppelleben auffliegt, wenn er sich im Suff verplappert, und da er nicht scharf ist auf einen mehrjährigen Zuchthausaufenthalt, den ihm das einbringen kann, ist seine Motivation, sich am Riemen zu reißen, gerade ziemlich hoch. Varyn hat es geschafft, anderthalb Bücher lang trocken zu bleiben – wollen wir mal hoffen, dass es Percy gelingt, diesen Rekord zu brechen. Ich halte ihm jedenfalls alle Daumen. Nur mich an seiner Stelle betrinken, das werde ich sicher nicht tun – da mag ich doch die Rollenverteilung, wie sie jetzt ist.

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