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Hier bin ich wieder, und ich berichte live von der Planung meines neuen Nanowrimo-Romans »Funkenschwarz«. Diesmal will ich einmal möglichst lückenlos festhalten, wie bei mir ein Buch entsteht, von der ersten Idee bis zur letzten Seite – auch wenn ich jetzt schon weiß, dass ich während des Nanos selbst wegen des hohen Schreibaufkommens nicht so viel zum Bloggen kommen werde. Aber das ist dann ja auch nur der Schreibprozess. Die eigentliche Arbeit kommt vorher und behinhaltet die Planung, das Plotten, das Recherchieren.

Ich habe, das muss ich gestehen, noch nie einen Schreibratgeber komplett gelesen. Ich habe »Save the Cat writes a Novel« hier liegen, ich will das schon seit Ewigkeiten durcharbeiten, aber bis jetzt ist alles, was ich von dem Buch weiß, dass die Hauptfigur am Anfang etwas tun muss, das sie sympathisch macht – eben die Katze retten. Und ich muss ebenfalls gestehen, dass sich selbst daran nur die wenigsten meiner Hauptfiguren halten. Und trotzdem, auch wenn sie nicht die Katze retten, mag ich sie. Auch wenn nicht alle Leser:innen gleichermaßen etwas mit ihnen anfangen können. Es wird noch das Buch kommen, das ich mithilfe von »Save the Cat« plottet. Aber dieses hier ist es nicht.

Was ich jetzt also habe, ist schon ziemlich viel Plot, wo es um die Vorgeschichte geht, bevor sich Tresilean und Yestin, die beiden Hauptfiguren, in der Akademie wiedersehen.… Weiterlesen

Fisher, Fisher, welche Fahne weht heute?

»Du musst unbedingt Miss Fisher sehen!«, haben meine Freunde gesagt. »Du findest doch die Zwanziger so toll!« Ich nicke dann immer nur weise. Wenn mir jemand ein Buch, einen Film, eine Fernsehserie empfiehlt, ist das eigentlich ein Garant dafür, dass ich dann einen Bogen darum mache – ich fühle mich dann vorbelastet, kann nicht unbefangen an das Thema rangehen, sondern stehe unter Druck, das Empfohlene auch zu mögen, um nicht den Empfehler zu enttäuschen. Und toll finde ich die Zwanzigerjahre auch nicht. Ich halte sie für eine hochinteressante Epoche – eine Zeit der Narben, eine Zeit des Umbruchs, in der die Welt auf den Abgrund zusteuert. Eine Zeit des Aufbäumens und Abstürurzens. Seit inzwischen sechs Jahren habe meinen Zwanzigerjahre-Geisterjäger Percy, habe sehr viel über die Ära recherchiert, und natürlich interessiert mich eine in dieser Zeit spielende Krimiserie dann doch.

Miss Fisher’s Murder Mysteries vereint damit zwei Spezialgebiete von mir: Klassische Krimihandlung mit akribisch recherchiertem historischen Setting, liebevoller Ausstattung, und bezaubernden australischen Akzenten. Und da ich ein Netflix-Abo habe: Was spricht dann dagegen, mir einfach die ganze Serie, alle drei Staffeln, am Stück reinzuziehen? Die Serie selbst spricht dagegen. Sie hat mich einfach nicht überzeugen können. Fünf Folgen habe ich durchgehalten. Danach hatte ich genug.… Weiterlesen

Nur ein Name?

Es kommt bei mir sehr selten vor, dass während des Schreib- und Überarbeitungsprozesses eine Figur ihren Namen ändert. Bei kleinen Nebenfiguren, für die ich mir spontan einen Namen aus den Fingern saugen muss, passiert es schon mal, dass mir noch etwas Besseres einfällt, und dann gehe ich mit »Suche und Ersetze« ran, aber grundsätzlich hänge ich an meinen Figuren, und meine Figuren an ihren Namen. Eine Hauptperson einfach umtaufen? Das wäre für mich genauso unvorstellbar, wie einem richtigen lebenden Menschen einfach einen neuen Namen zu verpassen. Lustiger Fakt für zwischendurch: Ich hieß selbst nicht immer Ilisch. Auch wenn ich den Namen nach meiner Hochzeit behalten habe – als kleines Mädchen hieß ich noch Maja Schroer, bevor meine Elter eine Änderung des Namensrechts mitgenommen haben, die es ermöglichte, auch den Namen der Frau als Familiennamen zu führen. Ich musste mich also einmal an einen neuen Namen gewöhnen. Nochmal muss echt nicht sein.

Als ich Die Spiegel von Kettlewood Hall konzipierte, sollte meine Hauptfigur noch Cilla heißen, Cilla Harding, aber das wollte irgendwie nicht passen. Ich baute um, machte Cilla zur (verstorbnenen) Mutter meiner Heldin, und nannte sie selbst Isis. Wirklich, ich liebte diesen Namen. Isis Harding, die geborene Heldin eines Gaslichtromans. Der Vorname war eine von vielen kleinen Anspielungen auf Alice im Wunderland – eine, von der ich wusste, dass niemand sie erkennen würde, der nicht selbst ausgewiesener Carroll-Experte ist: Isis ist nicht nur der Name einer ägyptischen Göttin, sondern auch der Name der Themse bei Oxford, wo 1862 die Kahnpartie stattfand, auf welcher der spätere Lewis Carroll den Töchtern seines Dekans von Alicens Abenteuern unter der Erde erzählte.… Weiterlesen

Was tische ich auf?

Enid Blyton war in ihren Büchern ungeheuer gründlich darin, zu beschreiben, was ihre Protagonisten essen. Wenn sich Dinah eine Dose mit Pfirsiche aufmachte, während sich Lucy am Thunfisch genüglich tat und Jack und Philip die Kekse verkimmelten, erfuhren die Leser jedes Detail, ob sie es wissen wollten oder nicht – in meinem Fall eher nicht. Ich kann mir Spannenderes vorstellen als seitenlange Beschreibungen von Dosenobst und Crackern, vor allem, wenn das Buch ansonsten spannend ist. Aber so habe ich dank Blyton eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was englische Kinder in den Vierzigern/Fünfzigern sich unter einem Festmahl vorstellen. Und wenn ich mal ein Buch in der Zeit ansiedle – was durchaus geplant ist – werde ich die Blyton als Primärquelle heranziehen, natürlich nur, nachdem ich mich vergewissert habe, dass es sich auch wirklich um die echte Blyton handelt und nicht um eine ihrer deutschen Ghostwriterinnen.

Leiden spielen die Spiegel von Kettlewood nicht zu Blytons Zeiten – und ich musste feststellen, dass ich mich wirklich gut mit der viktorianischen Zeit auskenne, wenn es um Politik, Zeitgeschichte, Mode oder Menschenrechte geht – aber über die Cuisine nicht wirklich Bescheid weiß. Ein paar Sachen bekomme ich auf die Reihe, weil sie bei Alice im Wunderland eine Rolle spielen: So kenne ich zum Beispiel Mockturtlesuppe, bei der anstelle von Schildkröten Kalbskopf in den Topf kam, und kann annehmen, dass dann in vornehmeren Haushalten echte Schildkröten auf den Tisch kamen (muss das aber verifizieren, ehe ich es verwende).… Weiterlesen

History-Buff oder History-Bluff?

Ich wollte nie historische Romane schreiben, ehrlich. Zum einen ist es ein Genre, dass ich nicht besonders gern lese, zum anderen hat mich die Bandbreite dessen, was man falsch machen kann, schlichtweg abgeschreckt. Als Schülerin hatte ich einmal angefangen, eine Geschichte zu schreiben, in der ein Mädchen aus den Achtzigern/Neunzigern (also damals zeitgenössisch) merkt, dass sie schon einmal in den Zwanzigern gelebt hat – und scheiterte daran, dass ich mir zu unsicher war, wie Menschen in dieser alten Zeit gesprochen haben sollten. Danach ließ ich von allem, was wie ein historischer Stoff aussah, geflissentlich die Hände. Auch, als meine Eltern beim Ahnenforschen auf eine richtig knackige Räuberpistole stießen, die regelrecht danach schrie, zu einem Roman gemacht zu werden, war ich nicht zu erweichen: So interessant der Stoff aus dem Achtzehnten Jahrhundert auch sein mochte, und so leicht sich ein Buch mit dem Titel Die Tochter des Goldmachers auch verkaufen lassen würde – es war einfach nicht mein Genre. Keine historischen Romane für mich, und keine von mir.

Übermorgen beginnt der Nanowrimo, und an den Start geht mein neuer Mystery-Roman. Für Die Spiegel von Kettlewood habe ich das harte Leben der englischen Textilarbeiterinnen im Jahr 1871 recherchiert, unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzeslage zur Kinderarbeit und Fragen der allgemeinen Schulbildung.… Weiterlesen

Falsche Zähne und der Preis des Lebens

Wenn man einen historischen Roman schreibt, muss man anständig recherchieren, und das gilt auch dann, wenn dieser Roman nur ein Fantasy/Horror/Supernatural-Roman in historischem Gewand ist. Nach wie vor drücke ich mich ja davor, Die Tochter des Goldmachers zu schreiben, einen reinen historischen Roman auf Basis einer von meinen Eltern beim Ahnenforschen ausgegrabenen hochinteressanten Räuberpistole aus dem Jahr 1785 – das liegt nicht mal daran, dass mich das Historiengenre wenig reizt, auch nicht als Leser, oder ich zu faul zum Recherchieren bin, sondern dass ich mit einem phantastischen Roman debutieren will und nicht auf Dauer auf ein mir fremdes Genre festgenagelt werden will. Aber für meine geliebten Mohnkinder recherchiere ich, bis mir die Finger bluten. Denn ich bin, wenn auch glücklich arbeitslos, eine Bibliothekarin, und Recherche steckt mir in den Knochen. Auch wenn das heißt, dass es mir mehr Spaß macht, die Literatur aufzutreiben als sie hinterher durcharbeiten zu müssen – aber was ich für meinen 1921er Spukroman brauche, sind keine dicken Wälzer, sondern ganz ganz viele kleine Details.

Weltpolitisch ist die Zeit für mich keine große Herausforderung. In britischer Geschichte bin ich sehr firm, die Zeit zwischen den Weltkriegen habe ich fürs Abitur gepaukt, und hinzu kommt, dass ich nicht über Königskinder oder Premierminister schreibe, sondern über normale Leute, die relativ wenig mit politischen Entscheidungen zu tun haben, dafür aber um so mehr mit Alltäglichkeiten.… Weiterlesen

Im Zeichen des Mohns

Vor knapp einem Jahr in einem Artikel am Volkstrauertag bin ich schon einmal auf ihn eingegangen: Den Armistice Day, der am 11. November in allen Weltkriegsländern außer Deutschland gefeiert wird und der an den Waffenstillstand erinnert, der 1918 das Ende des Ersten Weltkriegs eingeläutet hat. In England trägt man an diesem Tag zum Gedenken der Gefallenen, deren Massengräber in Flandern von Mohblumen überwuchert werden, eine – in Anbetracht der Jahreszeit künstliche – Mohnblume am Revers. Das spielt auch eine Rolle in der Literatur, zum Beispiel in Dorothy Sayers Ärger im Bellona-Club – und jetzt, Percy sei Dank, betrifft es auch mich. Denn nachdem ich mit diesem gutgelaunten Charakter in Klausur gegangen bin, stellte sich heraus, dass er in der Nachkriegszeit lebt, und auch wenn ich kurzfristig zur Zeit nach 1945 tendiert habe – eine Ära, über die ich ein sehr erfolgreiches mündliches Geschichts-Abitur geschrieben habe, bin ich dann doch etwas tiefer in die Vergangenheit eingetaucht und habe die Geschichte im England des Jahres 1921 angesiedelt.

Und plötzlich wuppte dann alles. Als die ersten Mohnblumen auftauchten, nahm der Plot Gestalt an. Und plötzlich ging es überhaupt nicht mehr um bespukte Waisenhäuser oder verschwundene Internatsschülerinnen. Wie schon das Haus der Puppen Gestalt annahm, als ich den Vorgarten mit Malven bepflanzte und dem Haus den Namen Hollyhock gab, wurden aus dem Percy-Buch die Kinder des Mohns.… Weiterlesen