Fisher, Fisher, welche Fahne weht heute?

»Du musst unbedingt Miss Fisher sehen!«, haben meine Freunde gesagt. »Du findest doch die Zwanziger so toll!« Ich nicke dann immer nur weise. Wenn mir jemand ein Buch, einen Film, eine Fernsehserie empfiehlt, ist das eigentlich ein Garant dafür, dass ich dann einen Bogen darum mache – ich fühle mich dann vorbelastet, kann nicht unbefangen an das Thema rangehen, sondern stehe unter Druck, das Empfohlene auch zu mögen, um nicht den Empfehler zu enttäuschen. Und toll finde ich die Zwanzigerjahre auch nicht. Ich halte sie für eine hochinteressante Epoche – eine Zeit der Narben, eine Zeit des Umbruchs, in der die Welt auf den Abgrund zusteuert. Eine Zeit des Aufbäumens und Abstürurzens. Seit inzwischen sechs Jahren habe meinen Zwanzigerjahre-Geisterjäger Percy, habe sehr viel über die Ära recherchiert, und natürlich interessiert mich eine in dieser Zeit spielende Krimiserie dann doch.

Miss Fisher’s Murder Mysteries vereint damit zwei Spezialgebiete von mir: Klassische Krimihandlung mit akribisch recherchiertem historischen Setting, liebevoller Ausstattung, und bezaubernden australischen Akzenten. Und da ich ein Netflix-Abo habe: Was spricht dann dagegen, mir einfach die ganze Serie, alle drei Staffeln, am Stück reinzuziehen? Die Serie selbst spricht dagegen. Sie hat mich einfach nicht überzeugen können. Fünf Folgen habe ich durchgehalten. Danach hatte ich genug. Die Krimiplots sind durchsichtig und fadenscheinig, die Figuren wollen nicht überzeugen – das gilt für viele Krimiserien und sollte mir nicht die Arbeit wert sein, auch noch einen Blogbeitrag darüber zu verfassen. Aber es ist der Umgang mit dem historischen Setting, die schlampige – oder nicht vorhandene – Recherche, die mich wirklich ärgerlich gemacht hat. Denn dahinter steckt die Ansicht, dass Zuschauer zufrieden sind, wenn sie nur viele schöne historische Kostüme und Deko zu sehen bekommen und es schon nicht merken werden, wenn der Inhalt ein paar Jahrzehnte am Setting vorbeischrammt.

Ich nehme meine Recherchen ernst. Als ich an Unterm Laub, dem vierten Percy-Abenteuer, arbeitete, hätte ich beinahe Marjorie Konstantijn im London des Jahres 1925 den Charleston tanzen lassen, obwohl der erst 1926 nach Europa gekommen ist, und obwohl ich diesen Fehler sehr schnell entdeckt habe, war er mir peinlich. Und über den Korrekturfahnen der Spiegel von Kettlewood Hall bedaure ich ein bisschen, dass ich dem Herrenhaus eine Gaslicht-Beleuchtung verpasst habe, die zwar für diese Zeit durchaus typisch ist, aber für ein weit draußen auf dem Land liegendes Anwesen, sechs Kilometer vom nächsten Ort entfernt, schlichtweg unglaubwürdig ist – will man kilometerlange Rohre durchs Nirgendwo legen, um ein einziges Haus zu versorgen? Zu spät, das kann ich jetzt nicht mehr ändern, und der Rest des Buches ist großartig geworden: Aber meine nächsten ländlichen Herrenhäuser müssen mit Kerzen auskommen oder bekommen gleich einen Stromanschluss. Man lernt immer etwas dazu, und zumindest spielt Kettlewood in einer Zeit, in der es Gaslichtbeleuchtung grundsätzlich gab.

In der vierten Folge von Miss Fisher stirbt ein Anarchist in den Armen der Protagonistin. Woran merkt man, dass er ein Anarchist ist? Er redet seine Gefährten mit »Genosse« an und kämpft gegen den Kapitalismus. Klar, sowas macht ein Anarchist nicht. Das tun Marxisten, Sozialistin, Kommunisten. Hat nichts mit Anarchismus zu tun. Aber er hat ein Tattoo auf der Brust! Ein A in einem Kreis! Er ist ein Anarchist! Nur, dass das eingekreiste A zu diesem Zeitpunkt – die Folge muss um 1927 herum spielen – überhaupt noch nicht als anarchistisches Symbol verwendet wurde. Dieses ursprünglich von den Freimaurern gebrauchte Zeichen wurde erst ab dem spanischen Bürgerkrieg, ca. 1936/37, als Symbol für den Anarchismus verwendet. Fünf Minuten Recherche bringen das zutage, fünf Minuten, die ich für die Miss Fisher-Autoren für durchaus zumutbar halte. Darüber hinaus sind die »Anarchisten« allesamt Letten, sprechen aber russisch (Lettland ist zu diesem Zeitpunkt ein souveräner Staat, in dem das nicht mit dem russischen verwandte Lettisch gesprochen wird). Und Jolka ist nicht ein lettischer Männername, sondern das russische Wort für den Weihnachtsbaum.

Und damit ging diese Serie dann mit der vierten Folge für mich über den Hai. Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm verkauft nach dem Motto »Das merkt der Zuschauer doch nie!« oder »Das interessiert doch keinen!«. Man hat als Autor viel Spielraum, wo es um Handlung geht, um die Charakterisierung von Figuren, aber was ich als historisch verkaufe, muss auch historisch sein und nicht wild zusammengewürfelt. Dass Miss Fisher ihre Beine rasiert, zwanzig Jahre bevor Frauen damit angefangen haben; dass alle Figuren kerzengerade, blitzweiße Zähne haben in einer Zeit, in der sie froh sein konnten, überhaupt ein vollständiges Gebiss zu haben, ist nur eine von vielen Kleinigkeiten, vielleicht um Rücksicht auf das ästhetische Empfinden von Zuschauern zu nehmen, die in Ohnmacht fallen angesichts der Vorstellung, dass es Zeiten gab, in denen eine Körperbehaarung als natürlich akzeptiert wurde. Und für das, was mich an Miss Fisher stört, sind Haare und Beine nur ein Symptom von vielen. Das eigentliche Problem ist: Miss Fisher ist keine Frau der Zwanzigerjahre.

Die Zwanziger waren eine große Zeit der Frauenbewegung. Frauen, die sie nicht mit ihrem zugedachten Rollenbild abfinden wollten, rebellierten gegen Vorgaben und Klischees – aber in der Serie ist die aufmüpfige Privatdetektivin ist nichts als ein Kind des 21. Jahrhunderts, dem man eine Louise-Brooks-Frisur verpasst und das man in fransenbewehrte Flabbermode gekleidet hat. Angesichts der Aussicht, dass zwei Männer, die beim Sex erwischt wurden, dafür ins Zuchthaus kommen können, oder dass eine schwarze Frau keinen weißen Mann heiraten darf, reagiert sie so entsetzt, als hätte sie noch nie davon gehört, nur um sich dann in ihre verbale Regenbogenflagge zu hüllen und zu erklären, dass jeder doch die Person, die er/sie liebt, heiraten dürfen sollte – eine Mentalität, die so weit an der historischen Zeit vorbeigeht, dass das, wofür in den zwanzigern wirklich gekämpft wurde, das, was damals bahnbrechend und revolutionär war, verraten wird. Bis wir bei der Ehe für Alle ankommen konnten, auch nur bei der Vorstellung davon, war es ein weiter, langer, wichtiger Weg. Man wird nicht modern davon, dass man den halben Weg ignoriert.

Für mich als Autorin historischer Stoffe ist die Herausforderung, Figuren zu erschaffen, die Kinder ihrer Zeit sind, mit der Moral, Weltanschauung und Vorstellungskraft ihrer Zeit. Sie dürfen streiten, zweifeln, kämpfen, sie müssen nicht alles hinnehmen, was von ihnen verlangt wird – aber glaubwürdig bleiben sie nur dann, wenn man als Autor akzeptiert, wo ihre Horizonte sind. Vielleicht werden moderne Leserinnen Iris, die Kettlewood-Protagonistin, unerträglich frömmlerisch finden, wenn Iris Gebissenqualen erleidet, weil sie Sonntags den Gottesdienst verpasst, aber ich möchte die Zeit, in der ich meine Geschichte ansiedle, und ihre Menschen ernstnehmen, und dazu gehört zu akzeptieren, dass sich nicht nur die Mode geändert hat, sondern auch die Gedankenwelt. Und dass Ansichten, die 1886 oder 1925 revolutionär waren, heute als selbstverständlich vorausgesetzt werden, ist ein Sieg, den wir feiern sollten, nicht negieren.

Miss Fisher weiß alles und kann alles. Sie hat Geld wie Heu und ein Herz für die Schwachen und Unterdrückten. Sie hat den Pilotenschein und spricht Chinesisch. Sie ist der Polizei immer einen Schritt voraus. Sie hat Sex, wenn sie es will, und sie will immer. Sie hat keine Schwächen, keine Ecken, sie ist langweilig wie nur was und als Perspektivträger schlichtweg ungeeignet, weil uninteressant. Dafür müssen dann Nebenfiguren herhalten – die aber so blass bleiben und als rückständig charakterisiert werden müssen, damit Miss Fishers Modernität um so mehr strahlt. Wer der Heldin da das Wasser abgraben könnte, wie die kodderschnäuzige, hosentragende Ärztin, die ein wirklich interessanter Charakter hätte werden können, verschwinden in der Versenkung: In der Welt von Miss Fisher gibt es nur schwarz und weiß.

Aber die Ausstattung! Die schönen Kleider! Die Art-Deco-Tapeten! Das ist, zugegeben, erstmal eine Augenweide. Die Kostümbildner haben ganze Arbeit geleistet, die Optik tut alles, den Geist der 20er einzufangen. Aber manches ist dann doch zu viel oder nicht durchdacht. Das eine ist, dass einfach überall Jugendstil herrscht. Als hätten die Menschen all ihren Besitz und Hausrat aus den Zehnerjahren weggeworfen, befinden wir uns in Welt wie aus dem Ikeakatalog, in der alles neu ist. Nie kommt Miss Fisher in ein Haus, dessen Mobiliar auch nur zehn Jahre alt zu sein scheint. Und nur weil etwas aus einer Zeit stammt, passt es noch lange nicht zusammen – so haben die Ausstatter in die Vollen gegriffen und Miss Fishers bezaubernde Art-Deco-Villa mit expressionistischen und kubistischen Bildern dekoriert, hier ein Matisse, dort ein Klimt, nebenan Picassos »Demoiselles d’Avignon« – so dass es wirkt, als hätte diese schweinereiche Frau anstelle standesgemäßer Originale ihre Wände mit drittklassigen Kunstdrucken dekoriert.

Eigentlich wollte ich Miss Fisher’s Murder Mysteries toll finden. Die Serie ist ein Erfolg, rückt die Zwanziger wieder ins Bewusstsein des Publikums, und wer Miss Fisher mag, wird doch sicherlich auch die Romane über einen Londoner Geisterfotographen kaufen, dessen gute Freundin die gleiche Frisur trägt wie die schlitzberockte Detektivin. Aber unterm Strich hat mich einfach zu viel geärgert. Ich möchte Miss Fisher nicht als Vergleichswerk heransziehen, weil ich mich nicht mit etwas vergleichen möchte, das mir nicht gefallen hat, das ich für schlampig recherchiert halte und dem ich unterstelle, sein Publikum für dumm zu verkaufen. Wer gerne Krimis mag und die Zwanzigerjahre spannend findet, die Mode mag oder den Zeitgeist, dem empfehle ich Margery Allinghams Reihe um den Detektiv Albert Campion (als Serie großartig verfilmt mit Ex-Doctor Who Peter Davidson), Dorothy Sayers Lord Peter Whimsey (ebenfalls mit liebevoller Ausstattung verfilmt, und das schon zweimal) oder auch Agatha Christies nicht totzukriegenden Hercule Poirot (als TV-Serie eher in den Dreißigern angesetzt, aber ebenfalls sehr empfehlenswert). Tragt einen Bubikopf, tanzt Tango und Charleston – und schaut, wenn ihr mögt, Miss Fisher, solange ihr nicht glaubt, dass sie die Zeit irgendwie treffend oder auch nur sauber recherchiert wiedergibt.

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