Toxic Love

Vor bald vierundzwanzig Jahren begann die Arbeit an den  »Chroniken der Elomaran«. Das erste Buch, »Engelsschatten«, entstand von Februar bis Oktober 2000, und ich habe nie wieder etwas für so eine klar benannte Zielgruppe geschrieben. Meine Zielgruppe waren meine beiden Mitbewohnerinnen. Ich schrieb nahezu jeden Tag an dem Buch, und abends in der WG-Küche erzählte ich, was im Buch passiert war, was ich noch zu schreiben geplant hatte, und holte mir meinerseits Anregung, wie es weitergehen sollte. Meine Mitbewohnerinnen durften Wünsche für den Fortgang der Geschichte äußern, und ich bemühte mich, das dann so umzusetzen, dass es uns allen dreien gefallen sollte. Und ein Wunsch, der sich sehr früh rauskristallisierte, war, dass Halan und Alexander ein Paar werden sollten.

Ich war, was das anging, selbst erst einmal skeptisch. Mein Problem war nicht, dass ich mir nicht vorstellen konnte, schwule Hauptfiguren zu haben – im Gegenteil. Ich wusste damals längst, dass ich bi bin, ich fand, wir brauchen mehr queere Figuren in Büchern, was damals wirklich noch ein rechte Seltenheit war, und ich hatte auch vorher schon ein schwules Liebespaar auftreten lassen. Auch, dass die beiden verwandt sind – Alexander, der jüngere der beiden, ist tatsächlich Halans Onkel – , sah ich nicht als großes Hindernis. Das Problem war Alexander. Schon in seiner allerersten Szene tritt er Halan gegenüber gewalttätig auf, schreit ihn an, schlägt ihn sogar, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass daraus eine gesunde Beziehung erwachsen sollte.

Und es wurde auch keine gesunde Beziehung. Halan und Alexander zusammen waren nicht »süß«, auch wenn sie ein paar sehr zarte momente Miteinander haben – die Liebe, die sich zwischen ihnen entwickelt, war von Anfang an toxisch. Alexander, der über Jahre von seinem dreißig Jahre älteren Halbbruder missbraucht worden ist und selbst glaubt, dass er mit dessen Tod seine große Liebe verloren hat, will geliebt werden und fordert das ein, um jeden Preis, ob Halan will oder nicht. Er greift zu emotionaler Erpressung, er verletzt sich selbst, um Liebe einzuklagen, und weder er, noch Halan sind letztlich in der Beziehung glücklich.

Für die Geschichte war das ein Glücksgriff. Die Reihe ist dramatisch, geht unter die Haut, und ist auf acht Bände ausgelegt – und man kann, oder will, schlecht acht Bände lang nur über eine harmonische Beziehung lesen. Das, was wir da zwischen Halan und Alexander hatten, war toxisch, las sich über weite Teile beklemmend, und war eigentlich nie das, was ich unter romantisch verstehe – aber es erfüllte die Geschichte mit Drama und Leben. Es ging mir unter die Haut, das zu schreiben, aber ich mochte das Ergebnis, die Dynamik zwischen den Beiden, von denen ich froh war, dass sie nur zwei fiktive Figuren waren, beide auf ihre Weise emotional verkrüppelt und vom Schicksal – und mir und meinen Mitbewohnerinnen – zusammengeschmiedet.

Ich wusste schon sehr früh, dass es nicht für immer sein sollte, aber ich wollte den beiden auch nicht ihre Herzen brechen. Ich wusste, nur ein weiterer Schicksalsschlag, nur eine Katastrophe würde die Macht, welche die beiden übereinander hatten, brechen können, und mir graute davor. Als Autor bin ich ziemlich zimperlich. Ich habe keinen Spaß daran, meine Figuren zu quälen. Wenn, quälen sie mich. Aber ich will, dass sie glücklich sind, und für Halan und Alexander will ich das noch immer. Ich habe jetzt drei Bände Zeit, ein Happy End für sie zu finden. Ich weiß nur nicht, ob es an einander Seite sein wird.

Aber Halan und Alexander sind nicht das einzige Paar in den »Chroniken der Elomaran«. Und auch wenn ich immer wusste, wie problematisch die Beziehung der beiden ist, war es erst vor ein paar Tagen, dass mir aufgegangen ist, dass auch jede andere Liebesbeziehung zwischen Figuren dieser Reihe schrecklich ist. Das wohl krasseste Beispiel ist Dannen, der sich in Hana verliebt und ein Nein nicht akzeptieren kann. Dass Hana nichts von ihm will, das auch deutlich sagt – geschenkt. Als Hana mit Dannens Bruder Gerrat zusammenkommt, führt Dannen sich auf, als hätte Gerrat ihn persönlich bestohlen, ohne zugeben zu können, dass ihm Hana niemals gehört hat. Nach Gerrats Tod eskaliert die Situation, als Dannen die von Gerrat schwangere Hana heiratet, damit kein Bastard in die engelsgeborene Familie hinein geboren wird, und bald prägt gegenseitiger Hass die Ehe der beiden.

Die immer weiter eskalierende Spirale körperlicher und psychischer Gewalt zwischen den beiden zu schreiben macht mir wirklich keinen Spaß. Ich lese die Szenen mit den beiden noch nicht einmal gerne, und ich denke auch nicht, dass irgendjemand, der oder die das liest, das irgendwie romantisch finden wird – mit Liebe hat das längst nichts mehr zu tun, es ist nur noch ein unangenehmer Machtkampf, und war Dannen anfänglich eine Figur, die ich sehr mochte, hat er längst auch mir gegenüber verschissen, als ich älter wurde und verstand, dass er nicht missverstanden ist, sondern ein gewalttätiges Arschloch. Mit Alexander ist es anders, mit Alexander kann ich immer noch Mitleid haben, aber Dannen, der seine Frau schlägt und es dann so darstellt, als hätte sie ihn dazu getrieben … Im sechsten Band werde ich die beiden voneinander trennen, und das ist das Beste, was ich tun kann, diese Beziehung darf nicht noch länger fortbestehen. Hana selbst wird sich daraus befreien, und ich freue mich darauf.

Aber dann gibt es noch Hana und Varyn. Das ist keine Beziehung im klassischen Sinne. Das leibhaftige Schicksal versucht die beiden zusammezubringen, durch Manipulation, und das Schicksal sitzt am längeren Hebel – aber eigentlich, wenn man sie fragt, wollen beide nichts voneinander, und nachdem ich Hana schon in eine Ehe mit Dannen gezwungen habe, werde ich einen Teufel tun, sie auch noch mit Varyn zusammenzudrängen. Sie will nicht Varyn, sie will ihre Freiheit – und die soll sie auch bekommen, denn ich finde, noch eine toxische Beziehung will ich in diese Reihe nicht hineinschreiben. Es reicht, dass sich im sechsten Band der Abgrund erhebt – da können sich zumindest die Figuren mal am Riemen reißen.

Wen haben wir noch? Jurik und Roveen. Die haben sich gerade erst kennengelernt und sind postwendend miteiander durchgebrannt, und damit haben sie sich erst einmal aus der Handlung entfernt, aber sie werden wieder auftreten, so einfach lasse ich sie nicht ziehen – und ich hoffe einfach, dass es halten wird. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben Gemeinschaft gefunden über der Tatsache, dass beider Leben von Aralee zerstört worden sind, und ich weiß nicht, ob das als Grundlage einer Beziehung langfristig ausreichen wird. Jurik ist zehn Jahre älter als Roveen und Alkoholiker, und ich weiß nicht, ob Roveen mit ihm glücklich wird. Ich bin mal vorsichtig optimistisch, weil Jurik sein Leben auf die Kette kriegen möchte, aber er war zu lange im Rachegeschäft tätig, und ob er es hinkriegt, ein friedliches, bürgerliches Leben zu leben, das muss sich zeigen.

Die vielleicht beste Beziehung in den Büchern haben noch Roveen und Gaell. Auch hier wird die Liebe nicht erwidert – die bisexuelle Roveen liebt ihre Freundin Gaell, die nur an Männern interessiert ist, aber Roveens Gefühle respektiert, sie damit nicht auflaufen lässt, und die Freundschaft nicht darunter leiden lässt. Und als sich Roveen irgendwann ein Herz fasst und Gaell ihre Gefühle gesteht, fängt sie sich einen freundlichen Korb ein, den sie wiederum selbst akzeptiert. Dass es einr lobenden Erwähung bedarf, wenn eine Figur dieser Reihe ein Nein als Nein akzeptiert, sagt leider viel, es ist – wie auch in der wirklichen Welt – keine Selbstverständlichkeit.

So wirbt Hauptmann Mendrion um die Königstochter Leota, die wirklich keinerlei Interesse an ihm hat, und gibt einfach nicht auf, sehr zum Leidwesen der zunehmend genervten Leota, aber befeuert durch deren Bruder Dannen, der als selbsterklärtes Familienoberhaupt mit Leotas Hand vor Mendrions Nase herumwedelt, als wäre das eine Wurst und der Hauptmann ein Hund – wobei auch Mendrion nicht in Leota verliebt ist und sich durch die Verbindung Einfluss verspricht. Eine Ehe ist nun mal eine politische Sache, die mit Liebe nur wenig zu tun hat.

Das bekommt in »Zornesbraut« ausgerechnet Alexander am eigenen Leib zu spüren. Alexander, dessen einzige Motivation, um seine Krone zu kämpfen, darin besteht, dass er dann ein Gesetz erlassen könnte, das ihm ermöglichen soll, Halan zu heiraten, wird gezwungen, sich mit Maelien zu verloben, Tochter des Botschafters Laibrin, der Alexander auf der einen Seite Asyl gewährt und politischen Beistand verspricht, ihn auf der anderen Seite erpresst, alles mit dem Ziel, selbst königlicher Schwiegervater zu werden und sich damit entsprechend zu verbessern.

Alexander will Maelien nicht. Er will gar keine Frau, auch nicht aus politischen oder dynastischen Gründen. Und Maelien will ihrerseits Alexander nicht. Ob sie selbst an Frauen interessiert ist oder asexuell ist, bleibt offen, aber sie hat keine Wahl, sie muss sich ihrem Vater fügen, das Verlöbnis wird eingefädelt, und Alexander behandelt seine Braut fortan wie Luft. Er findet, das ist das Beste, was sie von ihm erwarten kann, doch als die vereinsamte Maelien sich mit Halan anfreundet, drehte Alexander aus Eifersucht durch und beschwört die Katastrophe herauf – all das nur, weil Laibrin sein politischer Einfluss größer war als das Glück seiner eigenen Tochter.

Und auch Alexanders Mutter Aralee wird als junges Mädchen an einen alten Mann verschachtert. Der ist König, muss auf seine alten Tage noch einen Sohn zeugen und braucht dafür eine möglichst kluge Frau, damit in das Haus des Engels der Weisheit keine Dummköpfe geboren werden, doch er hat für seine Braut nur kalte Verachtung übrig und lässt sie das auch spüren. Aralee tut ihre Pflicht, wird schwanger und muss, da das Kind, das sie zur Welt bringt, ein Sohn ist, immerhin nie wieder mit ihrem Ehemann schlafen, doch auch nach seinem Tod bleibt sie, ohne Macht oder Einfluss, an den Hof gefesselt. Sie wird zur Intrigantin, wählt ihre Liebschaften mit Bedacht und geht dabei über Leichen, und muss sich doch nur einreihen in eine lange Liste ungesunder Beziehungen.

Und da ist es bezeichnend, dass das glücklichste Paar es wohl am Ende nicht vom Reißbrett in die Geschichte schafft. Das sind die Erben Hermianders, des Engels der Liebe, eine uralte Frau und ihr ebensoalter Mann, die auf eine lange, innige Verbindung zurückblicken. Zu dem Zeitpunkt, als die Reihe noch als Sammelquest geplant war, waren diese beiden namenlosen Liebenden die Hüter von Hermianders Mantel, und Alexander sollte sie im Zorn erschlagen, weil sie ihm ihren Engelsschatz nicht abgeben wollten – das alles ist gestrichen, Alexander wird auf anderem Weg zum Mörder, und ich habe sehr viel an geplantem Plot verworfen, weil er einfach nicht in die Geschichte, so wie sie sich entwickelt hat, gepasst hat.

Vielleicht lasse ich die beiden Alten noch auftreten, vielleicht sind sie schon längt kinderlos gestorben und Hermianders Haus mit ihnen: Diese Welt sieht mir nicht so aus, als ob dort ein Engel der Liebe noch einen Platz darin hätte, oder einen großen Einfluss. Nur in Varyn lebt Hermianders Linie weiter. Davon merkt man bisher nicht viel. Aber vielleicht reißt er es ja noch herum, findet die Wahre Liebe, und erweist sich ihrer würdig. Gönnen würde ich es ihm. Nur, passt ein Happy End in diese Reihe? So recht kann ich nicht daran glauben.

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