Der Romanfriedhof: »Die Öbba«

Während ich bei meinem »Gefälschten Land« immer noch mit dem Ende kämpfe – und, versprochen, Fortschritte mache – komme ich hier wieder einmal zurück auf ein Buch, das nie auch nur in die Nähe des magischen Wörtchens »Ende« gekommen ist, sondern auf dem Romanfriedhof gelandet ist. Bei den meisten Büchern, die ich in dieser Kategorie vorstelle, bin ich auf die eine oder andere Weise traurig, dass sie gescheitert sind. Hier nicht. Denn bei diesem Buch ging es um ganz andere Sachen: Um den Weg, um die Entwicklung – und um die Freundschaft.

Im Herbst 1994, nur durch einen sechswöchigen Amerikaaufenthalt von meinem Elternhaus getrennt, begann ich mein neues Leben als Studentin. Hundertfünfzig Kilometer von der Heimat entfernt, die erste eigene Wohnung, auf eigenen Beinen, stolz eingeschrieben an der Kölner Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen (FHBD, das wird nachher noch wichtig). Ich denke gerne zurück an meine Kindheit, aber diese drei Jahre meines Studiums waren unterm Strich die besten drei Jahre meines Lebens.

In der Schule war ich eine Außenseiterin, was eine euphemistische Beschreibung ist für »jahrelanges schweres Mobbing«. Auch wenn ich jenseits der Grundschule nicht mehr jeden Tag auf dem Heimweg verdroschen wurde, auch wenn ich später immerhin Anschluss an eine Clique hatte: wirklich dazugehörig habe ich mich nie gefühlt, ich war immer ein Fremdkörper, und ich habe es jedem, der ein Opfer zum Hänseln suchte, wirklich extrem leicht gemacht, so plakativ und unbelehrbar war ich in meinem Anderssein.… Weiterlesen

Einmal Liebe und zurück

Als Autorin verfüge ich über eine besondere Gabe: Ich bin in der Lage, meinen Roman auch in der allerersten Rohfassung zu lieben. Ich kann mein unfertiges Buch lesen, als wäre es der heißeste Scheiß, und mein Innerer Kritiker lobt das Potenzial der Geschichte und ist ganz begeistert, wie viel man da noch rausholen kann. Wenn es drauf ankommt, bin ich mein größter Fan. Das ist, habe ich gelernt, nichts Selbstverständliches – viele Autoren tun sich schwer, ihre Bücher zu lesen, ohne nur über die Schwächen zu stolpern. Aber ich bin sehr gut darin, meine Bücher von vorn bis hinten zu lieben.

Natürlich, auch ich habe immer wieder Tage, wo ich mein Buch an die Wand klatschen möchte, wo ich mit einer Entwicklung absolut unzufrieden bin oder eine Szene hasse: Dann gehe ich ein bisschen auf Abstand, suche die Stelle, wo ich den Schnitt setzen muss, schmeiße raus, was mir nicht gefällt, und schreibe die entsprechende Szene neu. Das ist normal – auch wenn ich mein Buch unterm Strich liebe, muss ich doch immer imstande sein, die Schwächen darin zu finden. Schließlich will ich, dass es das Beste Buch der Welt wird. Aber mein Innerer Kritiker ist üblicherweise in der Lage, den Finger auf das zu legen, was verbessert werden muss und kann.… Weiterlesen

Sir Terry, die Spanische Inquisition, und ich

Heute vor sechs Jahren starb einer der größten Schriftsteller, die ich jemals die Freude hatte zu lesen, Sir Terry Pratchett – ein Mann, dessen warmherzige Philosophie mich zutiefst berührt hat und dessen Humor mich in einer vollbesetzten S-Bahn vor Lachen fast hat ersticken lassen. Es war bekannt, dass er an Alzheimer erkrankt war, doch sein Tod kam unerwartet und hat mich kalt erwischt.

Es war während der Leipziger Buchmesse, ich saß mit einigen anderen Tintenzirklern beim gemütlichen Abendessen, als die Nachricht reinkam und plötzlich alles ganz still wurde. Seitdem sind viele Leute gestorben, auch viele Autoren, aber es ist Sir Terrys Tod, der mir immer noch am nahesten geht. Terry Pratchett hat mein Leben durch mehr verändert als nur durch seine Bücher, und das hängt zusammen mit der Spanischen Inquisition.

Im März 2001 war Pratchett in Köln, im Rahmen der LitCologne trat er im Gürzenich auf. Die Karten waren fast sofort ausverkauft, und ich habe keine mehr bekommen, aber am Tag vor der Lesung bekam ich einen Anruf von einer Freundin – ich wäre doch ein Pratchett-Fan, ob ich Interesse hätte, auf die Veranstaltung zu gehen? Ihr Bruder hatte eine Karte, war aber verhindert, und für zehn D-Mark könnte ich seine Karte haben.… Weiterlesen

Gut versteckte Puzzleteile

Als ich neulich ein Zeitungsinterview gegeben habe, war eine der Fragen »Wie viele Bücher haben Sie schon geschrieben?«, und ich ganz schön ins Zählen gekommen, wie viele fertige Romane ich eigentlich im Laufe der Jahre zusammengebracht habe. Dafür, dass es wirklich sehr lange gedauert hat, bis ich zum Ende meines Studiums mit meiner »Flöte aus Eis« einen Roman fertiggestellt habe, sind in den Jahren seitdem doch so viele Romane zusammengekommen, dass ich mich völlig verzählt habe und hinterher festgestellt habe, dass es in Wirklichkeit noch drei Bücher mehr waren. Die komplette Liste habe ich hier als Werkeverzeichnis hochgeladen.

Romane fertigschreiben, das ist nicht mehr die riesengroße Herausforderung für mich. Nicht, dass es einfach wäre – dafür habe ich zu große Angst, den Schluss zu versemmeln, und dafür schreibe ich immer noch zu viele Romane vor die Wand, dass sie niemals fertig werden. Aber ich habe inzwischen doch einiges an Erfahrungswerten, wo es darum geht, Romane zu einem Abschluss zu bringen. Eine völlig andere Sache hingegen ist es, einen Mehrteiler abzuschließen. Das tue ich gerade, nach gut und gern elf Jahren geht meine »Neraval-Sage«, aka. Fälscher-Trilogie, zu Ende. Aber so viele Mehrteiler ich über die Jahre auch angefangen habe, dies ist die erste Trilogie, die ich abschließe.… Weiterlesen

Der Romanfriedhof: »Klagende Flamme«

Hier ist sie endlich wieder, die beliebte Rubrik meines Blogs, in der ich Romane vorstelle, die gescheitert sind, und warum. Heute mit einem Fall, der an einer ganz anderen Sache krankte, als ich eigentlich dachte … »Klagende Flamme« ist der letzte Arbeitstitel eines Buches, zwischendurch auch mal »Der Löwenkelch« oder »Das brennende Buch« hieß. Weil es in diesem Buch um einen verkrachten Sonnengott geht, hatte mich ein Zitat aus Heines »Deutschland, ein Wintermärchen« angesprungen, wo es heißt »Sonne, du klagende Flamme«. Mit Deutschland, oder dem Winter, hat das Setting aber nichts zu tun, und das ist das Problem.

Ziemlich genau auf den Tag heute vor 19 Jahren hatte ich die Idee zu dieser Geschichte, nachdem erst einer nach dem anderen die Zwillinge Byron und Jarvis bei mir auftraten und dann ein enigmatischer Mann ohne Mund, der sich als der Lippenlose vorstellte, und dann ging es sehr schnell, und ich steckte mitten in einer neuen Geschichte. Sie folgte dem (Miss)Geschick der Brüder, Söhnen eines Provinzherzogs, wobei »Provinz« diesmal wirklich janz weit draußen bedeutet. Einer Gruppe Ritter, die ihren alten Idealen anhängen wollte und nicht mit dem Rest des Königreichs in die Moderne einziehen wollte, bekam von ihrem König eine entlegene Kolonie überantwortet, wo sie nun unter sengender Sonne fröhlich weiter Ritter spielen können.… Weiterlesen

Das richtige Ende, das falsche Buch

Wenige Wochen, nachdem ich wieder mit dem aktiven Bloggen angefangen und meine Liste der in diesem Jahr hoffentlich fertigzustellender Bücher vorgestellt habe, kann ich jetzt den ersten Erfolg vermelden: Endlich mal wieder ein »Ende« unter dem Manuskript. Nur ist es nicht das Manuskript, auf das Leser, Agentin und Verlag warten. Keine Sorge, ich komme gut voran mit meinem »Gefälschten Land« (abgesehen von einem blöden Plotloch, das sich in den letzten Tagen aufgetan hat), aber fertig sind jetzt trotzdem erst einmal die »Stadtkinder«.

Und das ist insofern gut, als dass dieses Buch schon im Sommer 2019 so gut wie fertig war und dann noch mal anderthalb Jahre gelegen hat, weil ich nicht wusste, wie ich den Schluss gestalten sollte. Kein neues Phänomen bei mir: Das hatte ich schon bei »Geisterlied«, das war so beim »Glasaugenhaus« – wenn ich den Luxus habe, dass niemand auf ein Buch wartet und keine Deadline dran hängt, ist mir wichtiger, dass der Schluss rundum gelungen ist, als das Buch um jeden Preis fertigzubekommen. Nur ohne den Druck, dass jemand auf das Buch wartet, fehlt mir dann auch oft die Motivation, mich überhaupt wieder damit auseinanderzusetzen …

»Stadtkinder«, ein Buch, das im Nanowrimo 2017 begonnen wurde, ist ein dystopisches bzw.… Weiterlesen

Wat kütt? Dat kütt! VI

Diese Übersicht wollte ich eigentlich jedes Jahr erstellen. Weil ich sie aber öfter vergessen habe als dran gedacht, bin ich jetzt, fünfzehn Jahre nach Beginn meiner Bloggerkarriere, erst bei Zählernummer 6 angekommen. Aber da ich so lange nicht gebloggt habe und es praktisch zu keinem meiner aktuellen Projekte eigene Blogbeiträge gibt, kommt hier zumindest schon mal die Übersicht.

Meine großen Pläne für 2021 sehen nämlich vor, ganz viele angefangene Werke endlich fertigzuschreiben – und »angefangen« heißt in diesem Zusammenhang mindestens einen gewonnenenen Nanowrimo, in vielen Fällen sogar »eigentlich fehlen nur noch ein, zwei Szenen« – ich bin berüchtigt dafür, so gut wie fertige Bücher jahrelang liegenzulassen, weil ich Angst habe, den Schluss zu ruinieren oder schlichtweg noch keine Idee dafür habe. Ehe ich also freudestrahlend hier im Blog verkünde, dass dieses oder jenes Projekt fertig ist, hier zumindest eine schnelle Vorstellung der weitgehend unbekannten Kandidaten:


Works in Progress

Diese Liste ist voller alter Bekannter – darunter sechs Bücher, die 2021 wirklich langsam mal fertig werden sollen. Schließlich will ich Schluss machen und mich endlich wieder ohne Schuldgefühle in neue Geschichten verlieben.

Das gefälschte Land
Genre: High Fantasy
Die Neraval-Sage, Drittes Buch. Zwei gewonnene Nanos haben dieses Buch vorangetrieben, eine schwere Depression hat es ausgebremst.… Weiterlesen

Nachruf auf ein doofes Jahr

Hier ist er dann, der lang angekündigte Rückblick auf 2020. Bestimmt würde man sich auch noch an dieses Jahr erinnern, wenn ich den Rückblick irgendwann im Herbst 2027 veröffentlichen würde – nur, will man das? Ist es nicht schlimm genug, dass ich jetzt, wo 2021 so schön angefangen hat, noch mal an dieses Jahr, von dem man nicht spricht, erinnern muss? Aber ich will trotzdem erzählen, wie es mir gegangen ist. 2020 war ein Jahr, in für mich dem gute und schlechte Dinge passiert sind – und rückblickend denke ich, die guten Dinge haben letztlich überwogen, aber es hat sich über weite Strecken nicht so angefühlt.

Dabei hat es toll angefangen, das Jahr. Ende 2019 hatte ich endlich meine Schlafprobleme in den Griff bekommen, über Wochen ein Leben geführt wie ein normaler Mensch, der morgens aufsteht und sich abends ins Bett legt und dann auch schläft. Ich dachte, es wäre auf einen Wechsel meiner Medikamentenmarke zurückzuführen, und ich hoffte, es wäre von Dauer. Ich tat alles, um das nicht wieder einreißen zu lassen, und verbrachte lieber Silvester allein auf meinem Balkon, um kurz nach Mitternacht ins Bett gehen zu können, statt auf der kleinen Party mit Freunden, auf der mein Mann war.… Weiterlesen

Alles eine Frage der erzähl:perspektive

Autoren, die sich eine Agentur suchen wollen und im Vorfeld nach Erfahrungsberichten googeln, finden sehr häufig: nichts. Zu den schwarzen Schafen der Branche findet man einiges, insbesondere nachdrückliche Warnungen, aber Autoren, die mit ihren Agenten zufrieden sind, genießen schweigend. Nein, das stimmt auch wieder nicht: Wenn man Google Books nach Danke + Agenturname durchsucht, findet viele liebevolle Worte, mit denen erfolgreich vermittelte Autoren ihre Agenten in der Danksagung bedenken, und auch ich habe mich da zu solchen Begeisterungsstürmen hinreißen lassen, dass mein Lektor, sicherlich mit hochgezogener Augenbraue, zurückschrieb, er habe noch nie eine so lange Danksagung gelesen (okay, das war nicht alles nur für meine Agenten, aber trotzdem). Bloß, kaum jemand kommt auf die Idee, Danksagungen zu durchsuchen, und in regulären Googleergebnissen tauchen die nicht auf. Deswegen kommt hier, anlässlich des zehnten Jahrestags unseres Erstkontakts, meine Erfahrungen mit der Agentur erzähl:perspektive, Klaus und Michaela Gröner, München.

Anfang Dezember 2008 arbeitete ich als Bibliothekarin in der Aachener Unibibliothek, und als ich dort in der Teepause am Nachmittag (heimlich) meine privaten Mail abrief, fand ich da eine mit dem Betreff »Agenturanfrage«. Ich brauchte einen Moment, um sie als das, was sie war, zu verstehen: Ja, da fragte eine Agentur per Mail mich, die Autorin, an, ob sie mich vertreten dürfte.… Weiterlesen

Zwei Päckchen nach Stuttgart

Genau neunzehn Jahre ist es her. Am 27. November 1999 stand ich in der alten Post im Kölner Hauptbahnhof, dort wo heute die Buchhandlung Ludwig ihren Laden hat, früh am Morgen, noch ehe meine Arbeit als Buchhandelsauszubildende anfing, und schickte hämmernden Herzens ein Paket nach Stuttgart. Der Inhalt: ein Packen Papier, eine halbe Patrone Druckertinte und all meine Hoffnungen. Die Fantasy-Lektorin bei Klett-Cotta hatte nach Lektüre von Exposée und Leseprobe meines Debütromans »Eine Flöte aus Eis« das Gesamtmanuskript angefordert, und das weniger als eine Woche nach Einsendung. Dass das ganz unerhört großartig war, das wusste ich.

Wie selten es wirklich vorkommt, dass Lektoren nach so einer unverlangten Einsendung überhaupt das Manuskript anfordern, konnte ich noch nicht erfassen, das kam erst nach und nach, viele kommentarlose Ablehnungen später, aber damals, im November 1999, hatte ich gerade meine allererste Verlagsbewerbung überhaupt abgeschickt, an den einen Verlag, bei dem ich unbedingt veröffentlicht werden wollte. Im Nachhinein kann schwer nachvollziehen, was die Lektorin in meiner Leseprobe gesehen hat. Oder in dem Exposée. Wirklich, das Exposee war graußlich! Und das Buch, so sehr ich es auch liebte, so gut auch wieder nicht. Ehrlich, ich würde in der gleichen Situation wahrscheinlich eine kommentarlose Absage rausschicken, aber die gute Frau forderte das Manuskript an, und auch wenn sie es ein halbes Jahr später dann doch ablehnte, konnte ich noch Jahre später davon zehren.… Weiterlesen