Der Romanfriedhof: »Klagende Flamme«

Hier ist sie endlich wieder, die beliebte Rubrik meines Blogs, in der ich Romane vorstelle, die gescheitert sind, und warum. Heute mit einem Fall, der an einer ganz anderen Sache krankte, als ich eigentlich dachte … »Klagende Flamme« ist der letzte Arbeitstitel eines Buches, zwischendurch auch mal »Der Löwenkelch« oder »Das brennende Buch« hieß. Weil es in diesem Buch um einen verkrachten Sonnengott geht, hatte mich ein Zitat aus Heines »Deutschland, ein Wintermärchen« angesprungen, wo es heißt »Sonne, du klagende Flamme«. Mit Deutschland, oder dem Winter, hat das Setting aber nichts zu tun, und das ist das Problem.

Ziemlich genau auf den Tag heute vor 19 Jahren hatte ich die Idee zu dieser Geschichte, nachdem erst einer nach dem anderen die Zwillinge Byron und Jarvis bei mir auftraten und dann ein enigmatischer Mann ohne Mund, der sich als der Lippenlose vorstellte, und dann ging es sehr schnell, und ich steckte mitten in einer neuen Geschichte. Sie folgte dem (Miss)Geschick der Brüder, Söhnen eines Provinzherzogs, wobei »Provinz« diesmal wirklich janz weit draußen bedeutet. Einer Gruppe Ritter, die ihren alten Idealen anhängen wollte und nicht mit dem Rest des Königreichs in die Moderne einziehen wollte, bekam von ihrem König eine entlegene Kolonie überantwortet, wo sie nun unter sengender Sonne fröhlich weiter Ritter spielen können.

Byrons und Jarvis‘ Wege trennen sich, als Jarvis als Kind davonläuft, um ein Meisterdieb zu werden, während Byron bleibt, das Ritterhandwerk erlernt, sich darauf vorbereitet, die Kolonie zu erben und stattdessen durch eine Intrige seines schurkischen Vetters Ehre, Titel und beinahe Leben verliert. Auf seiner Flucht rettet Byron eine bildschöne junge Frau aus dem Kerker, deren fast schwarze Haut noch dunkler ist als die der Einheimischen, die der milchbrötchenweiße Byron kennt, und durch die er erfährt, dass er, zusammen mit seinem Bruder und einem ziemlich unwilligen weiteren Mädchen bestimmt ist, für Frieden zwischen den abgrundtief verstrittenen Göttern Sonne und Mond zu sorgen, der eine Zwilling auserwählt vom einen, der andere vom anderen Gott. Soweit, so trivial.

Vieles hatte ich richtig gemacht. Ich hatte eine echt schöne Mythologie, ausgehend von der Vorstellung, dass in einem heißen, unter furchtbarer Trockenheit leidenden Land der Sonnengott eher keine so positive Figur ist, und darauf aufbauend die ausführlichsten Sagen und Legenden, die ich jemals für eine Geschichte geschrieben hatte. Ich war dabei, eine eigene Sprache zu entwickeln, mit einer bezaubernden eigenständigen Grammatik, in der man seine Liebe ausdrückte mit den Worten A’n teto niata – »Ich liebe dich mit dir« – um zu verdeutlichen, dass Liebe nur dann funktionieren kann, wenn sie auch erwidert wird. Sicher, an mir war kein Tolkien verloren gegangen, aber ich hatte mehrere Sprichwörter, die ich in der Sprache zitieren konnte, und deutlich mehr Grammatik als Vokabeln, und ich war mächtig stolz drauf.

Ungefähr bis Mitte 2005 schrieb ich fleißig an dem Buch – so fleißig, wie ich das vor meinem ersten Nanowrimo konnte, und als ich das Manuskript vor die Wand gefahren hatte und nicht weiterkam damit, hatte ich immerhin deutlich über 200 Seiten zu Papier gebracht. Warum es nicht weiterging, kann ich leicht sagen: Da war zum einen ein Zweikampf, den ich mir nicht zu beschreiben zutraute, als auch die Tatsache, dass ich zwar die Geschichten von Byron (bis auf diesen Kampf) und Jarvis im Kasten hatte, aber genausoviel Platz den Geschichten der beiden Frauen, Telya und Lharkan, einräumen wollte, und mit den beiden wurde ich nicht warm. Tatsächlich wurde ich zu dem Zeitpunkt mit überhaupt keinen weiblichen Hauptfiguren warm.

Heute kann ich das ziemlich genau daran festmachen, dass ich damals sehr weit davon entfernt war, mit meiner sexuellen Identität im Reinen zu sein, was dazu führte, dass ich völlig unfähig war, mich auf meine eigenen weiblichen Aspekte einzulassen – männliche Figuren fielen mir leicht, sie waren vielfältig, charakterstark, interessant, während die Frauen alle fade, hölzerne Abziehbilder wurden von dem, wie ich mich selbst sah, und da ich mich selbst gar nicht sehen wollte, dann eben auf der Strecke blieben. Ich erklärte es mir damit, bei den Männern ja mehr Freiheit zu haben, weil sie mir nicht so ähnelten … Blödfug. Als ob irgendeine meiner Figuren Mann oder Frau im Hauptberuf wäre. Aber es ist wirklich erst, seit ich verstanden habe, dass ich selbst nichtbinär bin, dass ich ohne Probleme zwischen männlichen und weiblichen Perspektiven und allem dazwischen hin und her pendeln kann.

Für »Klagende Flamme« bedeutete das jedenfalls erst mal das Ende. Von fünf geplanten Kapiteln in Telyas Perspektive hatte ich anderthalb, von Lharkan nur eine knappe Seite, und damit ging es nicht weiter. Das Buch lag auf der Halde, immer mit dem Plan, daran weiterzuschreiben, wenn ich wusste, wie man einen schönen Zweikampf schreibt oder ich mit meinen Frauensmenschen wärmer geworden wäre. Früher oder später war dann auch klar, dass ich auch die Teile, die ich schon geschrieben hatte, nochmal komplett neu machen würde, weil ich einfach seit 2005 so furchtbar viel dazugelernt hatte, dass diese alten Texte einfach nicht mehr meinem Standard entsprachen – aber erst im vergangenen Jahr, als ich mit meiner Agentin zukünftige Fantasyprojekte und recyclebare alte Baustellen besprach, ging mir auf, was das eigentliche Problem mit »Klagende Flamme war«. Die Geschichte war ein kackbrauner kolonialistisch-rassistischer Scheißhaufen.

Was war ich stolz auf mich! Ich, aufgeklärt, intelligent, linksgrün, Mitte 20, hatte erkannt, dass die Helden in einer Fantasygeschichte nicht nur weiß sein müssen. Yeah! Und dass eine Fantasywelt nicht nur dem mitteleuropäischen Mittelalter nachempfunden sein muss. Yeah! Ich hatte also eine tolle pseudoafrikanische Fantasywelt mit eigener Mythologie, mit den interessanten Kulturen der Aandrayakae, Einyakaeh und Nangeayakae, ich hatte mir Gedanken gemacht, in was für Behausungen ein durch die heiße Savanne ziehendes Nomandenvolk, das nur nachts hervorkommt, wohl die Tage verbringt, ich hatte Geographie, Flora und Fauna, eine coole Hyäne als Tiergefährten, ich war auf so einem guten Weg … Moment, sagtest du »pseudo-afrikanisch«? Da fehlt doch noch was: Weiße Kolonialisten. Yeah! Deren weiße Kolonialistensöhne jetzt die Probleme lösen dürfen, die diese braunen und schwarzen Leute selbst nicht auf die Reihe bekommen. Yeah!

Ich war, das muss ich so offen sagen, erschüttert. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich für einen Rassisten zu halten, und doch hatte ich da, in der Vorstellung, so ungeheuer inklusiv und progressiv zu sein, einen Haufen rassistischer Kackscheiße produziert, für den ich mich nur schämen kann und das auch tue. Dass ich das selbst nicht verstanden habe, dass mir über so viele Jahre nicht aufgefallen ist, wie hochproblematisch so ein Narrativ ist – dass ich es als gegeben voraussetze, dass kein vermeintlich exotisches Land ohne weiße Kolonialisten auskommt, dass ich die, immerhin der Ritterlichkeit verschriebene Ritter, auch noch positiv dargestellt habe …

Ich finde hier keinen Sack, der groß genug ist, um mich drin zu verkriechen. Und gehe, auch wenn mir diese Geschichte wirklich peinlich ist, damit heute an die Öffentlichkeit: Weil wir alle, egal für wie aufgeklärt wir uns auch halten mögen, trotzdem das, was wir machen, mal hinterfragen sollten und auf toxische Denkmuster untersuchen. Nichts gegen die Geschichte von Byron und Jarvis – in einem mitteleuropäischen Setting. Aber musste der schurkische Vetter dann zu allem Überfluss auch noch selbst eine Person of Colour sein, Bastard des Onkels mit einer Aandrayakesh? Als hätte ich eine Bingo-Karte für rassistische Tropes zum Abhaken bekommen …

Und doch. Es gibt Teile von »Klagende Flamme«, zu denen stehe ich noch immer. Die Mythologie, die Legende, wie Erde die Menschen erschafft und Sonne sie in seinem Ofen backt, bis sie zum Leben erwachen. Die verschiedenen Kulturen. Und auch, so große Probleme ich damals mit den beiden hatte, Lharkan und Telya. »Klagende Flamme« ist nicht tot, auch wenn so ziemlich alles, was ich dafür zu Papier gebracht hatte, in einem Bleisarg, eingegossen in Beton, nicht für Leseraugen bestimmt ist. Aber ich schmeiße meine Kolonialisten raus, rückwirkend. Ich streiche meine männlichen Hauptfiguren, ersatzlos. Und dann schreibe ich ein Buch, in dem Telya und Lharkan, begleitet von Yiya der Hyäne, ihr Land vom Streit der Götter erlösen und Sonne und Mond wieder miteinander versöhnen.

Und es wird ein gutes Buch werden. Keine Schwarze Fantasy, weil ich selbst nicht schwarz bin. Einfach nur Fantasy. Aber die hoffentlich gut.

2 Kommentare zu “Der Romanfriedhof: »Klagende Flamme«

  1. Ich wäre bei dieser Schilderung nie auf die Idee gekommen, dich als Rassistin zu betrachten. Solche Wertungen nehme ich nur vor, wenn ich sie beim Umgang mit Menschen einer anderen Rasse beobachte. In so fern besteht kein Bedürfnis für einen Verkriechsack.

    Für mich sieht das einfach so aus, dass eine junge Autorin von einem Stereotypbild, das sie nicht als solches erkannte, erdrückt wurde. Das passiert immer wieder. Ich selber habe mehrere Anläufe gebraucht, um mich von dem Mittelalterbild eines Mittelalters, das es so nie gab, abnabeln konnte. Entsprechend fällt bei mir eine solche Schwäche nicht in die Moralkiste, sondern in die des erweiterten Schreibhandwerks.

    1. Ich denke, das ist einer von diesen Fällen, die man zusammenfassen kann mit »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.« Ich wollte ja alles neu und besser machen, aber ich war dabei zu geblendet von meiner eigenen inklusiven Brillanz, dass ich weder mich noch die Geschichte selbst hinterfragt habe. Das hätte ich, auch mit 27, besser machen können – aber jetzt, mit 45, muss es spätestens passieren.

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