Der Speck muss weg

Bereits im Dezember habe ich angekündigt, dramatisch abnehmen zu wollen, und seither habe ich glorreich ungefähr zwei Kilo verloren. Nicht weltbewegend, wirklich, vor allem, wenn man bedenkt, daß man Nicht-Diät-haltender Freund im Vergleichszeitraum an die sieben Kilos verloren hat. Bei höherem Ausgangsgewicht, aber trotzdem, das wurmt. Aber wer sich nicht bewegt, so wie ich normalerweise, der nimmt auch nicht ab. Und weil meine Gesundheit gefährdet ist, mache ich jetzt Nägel mit Köpfen: Ich habe mich in einem Fitness-Studio angemeldet. Mehr noch: Ich war sogar schon mal da.

Heute wurde ich also auf meine Ausgangssituation untersucht. Da galt es, die Pobacken feste zusammenzukneifen und die harten Wahrheiten zu schlucken – nach zehn, fünfzehn Jahren ohne sportliche Betätigung, wo soll ich da Fitness hernehmen? Der Körper ist eingerostet und unbeweglich, das wußte ich ja, aber das Schlimmste war die Körperfettmessung. So schön konnte ich mir immer einreden, daß das doch bestimmt alles Wassereinlagerungen wären, nur wegen der Medikamente, die sind Schuld… Nein, sind sie nicht. Und das ist kein Wasser. Mit einem Anteil von 46% steht mein Körperfett kurz vor der Regierungsbildung. Zum Vergleich: In meiner Altersgruppe zählt alles über 29% als schlecht. Und diesen Wert übertreffe ich nochmal um die Hälfte. Positiv formuliert: Ich habe eine Menge Potenzial fürs zukünftige Training.… Weiterlesen

Wunder gibt es immer wieder

Gegen Ende der Mittelstufe hatte ich nicht wirklich viele Freunde in meiner Klasse, oder zumindest keine, die im Zweifelsfall zu mir gehalten hätten. Aber das glich ich durch meine zahlreichen Brieffreunde aus, deren Adressen ich über den International Youth Service, ein finnisches Unternehmen, das damals schon Computer zur Partnervermittlung nutzte, bekommen hatte. Angelica und Anna aus Schweden schrieben jeweils nur einmal, Lisbeth in Dänemark habe ich sogar besucht, woraufhin sie sich nie wieder meldete, kaum besser lief es mit Zoe aus England, spannend waren Azhawati aus Malaysia oder Young Yo aus Korea, von der ich inzwischen vermute, daß Young ihr Nachname war… Und dann gab es noch Molly aus Ohio und Julia aus New York.

Vor allem Julia. Sie war eine verwandte Seele, Umweltaktivistin, Dichterin, sehr unamerikanisch auf der einen Seite und doch genau das, was ich mit unter meiner amerikanischen Brieffreundin vorgestellt hatte. Einmal wäre sie mich fast besuchen gekommen, die Eltern hatten schon zugestimmt, aber dann ist doch nichts draus geworden, trotzdem: Die Brieffreundschaft bestand fort. Wir schrieben uns von 1989 bis 1994, eine lange Zeit für so junge Menschen wie uns, und dann passierte das übliche: Wir beendeten die Schule, traten ein in den Uni- oder Collegealltag, das Leben veränderte sich radikal binnen kürzester Zeit, und plötzlich schlief die Brieffreundschaft ein, einfach so.… Weiterlesen

Alles aus einer Hand

Ich fahre zur Zeit nicht besonders gerne Bus. Nachdem ich fast den ganzen Dezember über unter einer Psychose gelitten habe, die mich vor allem im Umgang mit anderen Menschen oder auch nur in ihrer Umgebung sehr aggressiv gemacht hat. Und da gibt es kaum etwas schlimmeres als einen überfüllten Bus voller Leute, die lärmen und müffeln und drängeln und stören. Die Alternative ist, zu Fuß zu gehen, was mir nur gut tut und auch zu meinem Ansinnen paßt, dreißig Kilo zu verlieren, aber bei diesem Wetter… Drei Kilometer durch den Regen, das ist auch kein Vergnügen, und da fahre ich dann doch lieber mit dem Bus. Wenn ich Glück habe, kriege ich einen Platz ganz vorne und muß keine anderen Leute sehen, sonder kann vorne rausgucken, aber der Platz ist natürlich als erster weg.

Also habe ich heute einem Mann gegenübersitzen müssen – dachte ich zumindest. Denn ganz schmal und auf den ersten Blick fast zu übersehen, daß neben dem Mann am Fenster noch ein ganz kleiner Junge. Ich würde ihn auf drei Jahre oder so schätzen, und der Vater war so in meinem Alter. In jedem Fall wußte das Kind, was es wollte. »Lies mir eine Geschichte vor!«
Wie schön, ein Kind, das schon in jungen Jahren dem Zauber verfallen ist… Aber der Vater mußte ihn vertrösten.… Weiterlesen

Im neuen Jahr bleibt alles anders

Ich bin gut ins neue Jahr gekommen, aber irgendwie klingt das wie eine Untertreibung. Noch vor ein paar Wochen habe ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen, um keinen Menschen zu sehen aus Angst, ich könnte ihn anspringen und mit dem Kopf so lange gegen die Wand hauen, bis der sich nicht mehr rührt. Und zu Silvester? Habe ich mit meinem Freund und sechs Autoren den ganzen Abend lang und die halbe Nacht gesessen, gelacht, gelesen, diskutiert, und vor allem: Spaß gehabt. Jetzt fühle ich mich stark genug, um am Montag auch wieder zur Arbeit zu gehen, ohne unterwegs jemanden anzugreifen oder unter dem ständigen Stress zu stehen, mich zusammenreißen zu müssen.

Es war eine wunderschöne Silvesterfeier. Ich habe lecker gekocht, wenn auch etwas scharf, und wir haben solche Unmengen an Kaffee und Tee vernichtet, daß am Ende von einem ganzen Kasten Cola nur eine halbe Flasche gefehlt hat und auch der Wein mir im kommenden Jahr noch lange Spaß bereiten wird, aber ich habe noch nie erlebt, daß ein Tintenzirkeltreffen in ein Besäufnis ausgeartet wäre, ungeacht der Tatsache, daß es dort von Autoren nur so wimmelt. Und Gäste. Ich hatte wirklich die besten Gäste der Welt. Lavendel und Grey, die Wölfin und Romy, die nicht Romy Wolf ist, und zum ersten Mal bin ich auch AngelFilia und dem Schreinhüter begegnet, hoffentlich nicht zum letzten!… Weiterlesen

Was der Schmetterling kann, kann die Schnecke schon lange

Machen wir uns nichts vor: Ich bin zu dick. Nicht nur so ein bißchen, daß man sagt, na, ein bißchen moppelig ist die ja schon, sondern ein bißchen mehr. Nicht unglaublich dick, aber eben doch so, daß es mich stört. Ich passe nicht mehr in meine Lieblingshosen und auch nicht mehr gut in meine nicht-ganz-so-lieblings-Hosen, und was noch schlimmer ist, ich passe nicht in das Kleid, in dem ich heiraten Will. Also, ich könnte mich sicher hineinzwängen, irgendwie, aber das Kleid gehört nicht mir, es gehört meiner Mutter. Sie hat es selbst getragen auf ihrer Hochzeitsfeier 1974, und meine Mutter ist eine zarte Elfe – vor allem aber wird sie mir das Kleid nicht geben, wenn sie findet, es sitzt an mir wie eine Wurstpelle. Nun will ich nicht gleich sofort heiraten, aber irgendwann in der kommenden Zeit, folglich müssen die Pfunde purzeln und die Kilos gleich mit.

Außerdem will ich ja ein Buch verkaufen im kommenden Jahr, und dann fragen die Verlage nach einem Autorenfoto, und was soll ich dann sagen? »Ihr kriegt keins, ich mag mein Doppelkinn nicht gedruckt sehen«? Meine Agentur überarbeitet gerade ihre Webseite, und dann wird da auch ein schönes Foto von mir dabei sein – von 2004.… Weiterlesen

Fräulein Borderline macht Weihnachtseinkäufe

Eigentlich dachte ich, es geht mir schon viel besser. Eigentlich dachte ich, die Tabletten, die mir mein neuer Nervenarzt verpaßt hat, schlagen gut an und ich bin auf dem Weg der Besserung. Doch das war, bevor ich heute in der Stadt war. Nicht für lang, ich wollte keinen langen Weihnachtsbummel machen oder so, aber ich wollte meinen WLAN-Stick abholen, um mit dem Laptop wieder online zu kommen, ich mußte zum Orthopädieschuhmacher für meine Einlagen, und zur Bibliothek, die Krankmeldung abgeben, und das klügste wäre gewesen, dann auf dem schnellsten Weg nach Hause zu gehen. Aber es ist drei Tage vor Weihnachten, der Tee ist alle und ich hatte mich krankheitsbedingt noch kein Stück um Geschenke für meinen Freund gekümmert, also dachte ich mir, einmal Teeladen, Buchhandlung und Saturn, das muß doch noch drin sein, wo ich schon mal wach bin und in der Stadt.

Nehmt nun meinen Rat an: Wenn eure Diagnose Verdacht auf F25.1 lautet, »Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv«, meidet Fußgängerzonen. Meidet Teeläden, Weihnachtsmärkte, Buchhandlungen und Medienmärkte. Meidet alles, wo Menschen sind, oder es ergeht euch wie mir. Alle Heilerfolge der letzten Tage wurden heute weggedrängelt, weggelärmt, weggenervt. Und meine Erfolgsquote liegt bei nur 30 Prozent – den Tee habe ich bekommen, aber alles danach hätte ich mir schenken können, ich habe nichts von dem bekommen, was ich gesucht habne, und am Ende in einer Kurzschlußreaktion, um überhaupt Geschenke zu haben, Dinge gekauft, die mein Freund vielleicht längst hat, ich trau mich nur nicht zu fragen…

Völlig fertig mit den Nerven habe ich mich dann von meinem Freund abholen lassen, fußweh, erschöpft, aggressiv, aber zumindest nicht mehr »gegenwärtig depressiv« – »gegenwärtig mordlüstern« trifft da besser zu.… Weiterlesen

Lassen Sie mich durch, ich bin Autor!

Ich bin krankgeschrieben und kaum aus meinem Bett zu bekommen – der Versuch, bei dem Psychiater, den mir mein Hausarzt empfohlen hat, ist bislang an den Sprechzeiten gescheitert, die leider auf Webseite und Anrufbeantworter nicht übereinstimmen, also bleibt es behandlungsmäßig noch beim Bewährten – aber fürs Fernsehen reicht es immer. Also habe ich die ersten Folgen von Castle gesehen, einer Krimiserie, bei der ein Autor der Polizei hilft, Verbrechen aufzuklären. Krimis liebe ich ja schon lange, und ein Autor bin ich auch, es hätte also genau die Serie für mich sein müssen – ist es aber nicht. Die Figuren sind schablonenhafte Stereotypen, und damit meine ich nicht nur die Nebenrollen, sondern auch die Hauptfiguren – jeder scheint genau eine Charaktereigenschaft zu haben, die dann bis zum Gehtnichtmehr aufgeblasen wird.

Der Autor ist ein selbstverliebter Frauenheld, der bei Autorenlesungen bevorzugt auf dem Dekolleté signiert, die Polizistin die typische toughe-aber-süße Pistolenbraut, die Tochter die rechtschaffen-gute Streberin und die Mutter die billigste alternde Diva, die man sich nur vorstellen kann, ohne darauf einzugehen, daß dieser Typ eigentlich ausgestorben ist, als Heroin das Morphium vom Markt verdrängt hat, und überhaupt ist die einzig wahre TV-Nymphomanin Blanche von den Golden Girls. Es gibt keine Charakterentwicklung – wie auch, ohne Charakter!… Weiterlesen

Kein Platz in dieser Herberge

Wir sind mitten im Advent, es ist eine Zeit der Freude, der Hektik und des Schnees. Eigentlich sollte ich also gut drauf sein, aber das Gegenteil ist der Fall. Seit Wochen bin ich müde und erschöpft, schlafe ununterbrochen, und wenn ich nicht schlafe, würde ich es zumindest gerne. Ich habe eine wache Phase, in der es mir verhältnismäßig gut geht, zwischen 18:00 und 21:00 Uhr und baue danach wieder rapide ab. Vermutlich hängt es mit meinen Depressionen zusammen; ich hatte letzte Woche meinen großen Ab-35-Gesundheitscheck, und der hat nichts ergeben, was organisch zu solcher Erschöpfung führen könnte. Ich bin abgearbeitet und ausgebrannt, und das schlägt mir jetzt auf die Psyche.

In der vergangenen Woche, am Donnerstag, hatte ich einen Termin bei meiner Nervenärztin, und sie hatte mir angeboten, mich für eine Woche krankzuschreiben, was ich abgelehnt habe – schon weil auf der Arbeit eine Kollegin krankheitsbedingt seit ein paar Wochen ausgefallen ist und ich vertretungsweise ihre Arbeit mache, so gut ich kann, allerdings begleitet von Angstzuständen was passiert, wenn sie wiederkommt und sieht, was ich aus ihren Daten gemacht habe. Ich dachte auch, über das Wochenende – das für mich mit einem freien Freitag anfängt – könnte ich mich hinreichend erholen.… Weiterlesen

Sankt Martin, bist ein guter Mann

Gerade zieht an unserem Haus der Martinszug vorbei, mit Blaskapelle, vielen Kindern mit Laternen und gefühlt noch zweimal so vielen Eltern. Da bekomme ich ein leichtes Déjà-vu-Gefühl, denn letzte Woche ist auch schon so ein Zug am Haus vorbeigelaufen, auch mit Blaskapelle, aber vielleicht machen die das hier im Frankenberger Viertel ja nicht ohne Generalprobe? Vielleicht ist heute nicht der beste Tag für so etwas, immerhin ist heute Volkstrauertag, und von mir aus hätte man den Zug auch direkt an St. Martin machen können – aber vielleicht ist das ja auch Absicht mit Hintergedanken, denn am Martinstag begehen alle Weltkriegsbeteiligten außer den Deutschen den Armistice Day (auch Veterans‘ Day, Poppy Day), den Tag des Waffenstillstands, der den Ersten Weltkrieg beende, und während sich in Deutschland die Jecken ihre roten Pappnasen aufsetzen, stecken sich anderswo die Veteranen eine rote Mohnblume ans Revers. Der Volkstrauertag ist in Deutschland der Ersatz dafür, und so passt es vielleicht ganz gut, den Martinszug auf diesen Tag zu verschieben.

Zum Volkstrauertag passt auch, dass von den Kindern da draußen keines gesungen hat. Die Blaskapelle spielt »Ich gehe mit meiner Laterne«, und der restliche Zug hüllt sich in andächtiges Schweigen. Ich war kurz davor, ein Fenster aufzureißen und lauten Gesang anzustimmen, aber ich habe es dann doch gelassen.… Weiterlesen

Pisa-Schock

Er saß heute mit mir im Zug, leibhaftig: Der Pisa-Schock. Und dies tat er in Gestalt von Britta und Jutta, zwei jungen Frauen, die ich mangels Alternativen als Studentinnen bezeichnen muß.
Es war früh am Morgen, Baumbergebahn von Billerbeck nach Münster, und ich hoffte auf eine geruhsame Fahrt. Doch Britta hatte bereits auf Jutta gewartet und dirigierte sie ebenso lautstark wie wortreich zu dem Vierersitz auf der anderen Gangseite, um wenn schon nicht den ganzen Zug, dann doch zumindest mich zur Zeugin ihrer geballten Ignoranz zu machen. Denn Jutta hatte offenbar ein Problem gehabt bei der Bewältigung ihrer Chemie-Hausaufgaben. Und Britta konnte ihr da nur zustimmen. Es ging um: Die Dichte von Wasser. Und um: Die Dichte von Studentinnen.

»Ich kenne die Dichte von Wasser nicht«, sagte Jutta. »Ich weiß nicht, wo wir die hernehmen sollten.«
Britta pflichtete ihr bei. »Die Dichte von Wasserstoff«, sagte sie. »Die habe ich gefunden.«
»Ja«, sagter Jutta. »Aber Wasser, das ist doch immer H2O. Da ist dann noch Sauerstoff mit dabei.«
Britta nickte. »Damit müssen die die Luftbläschen im Wasser meinen.«

Minuten später. Eine andere Aufgabe. Oder immer noch die gleiche? Offenbar muß berechnet werden, wieviel Energie nötig ist, um 500 Gramm Wasser von 0°C auf 100°C zu erhitzen (stimmt, dafür muß man die Dichte kennen).… Weiterlesen