Die Angst vorm nächsten Band

Es fühlt sich immer noch sehr unwirklich an, dass ich wieder an den Elomaran arbeite – aber nachdem »Zornesbraut« zwölf Jahre auf Eis gelegen hat, bin ich jetzt an der Stelle angekommen, wo ich sagen kann: Noch zwei Kapitel, und das Buch ist fertig. Seit ich die Arbeit wiederaufgenommen habe, hat sich die Länge des Buches verdoppelt, von rund 75.000 auf knapp 150.000 Wörter, und ich steuere auf ein dramatisches Finale zu, dass ich mir vor mehr als einem Dutzend Jahren ausgedacht habe.

Das wirklich erstaunliche ist, dass das Buch tatsächlich noch funktioniert. Die Geschichte erscheint mir immer noch logisch, das Verhalten der Figuren ist plausibel – und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich mir da eine wirklich gute Geschichte ausgedacht habe. Dabei schreibe ich nicht nur einen alten Plot runter – es ist eine Mischung aus den alten Ideen von vor 2011, rekonstruiertem Plot, den ich anhand eines alten Exposés wiedergefunden habe, und neuen Wendungen, die sich nahtlos ins Gefüge einpassen.

Und viel ist passiert in den sieben Kapiteln, die ich in der Zwischenzeit geschrieben habe. Es waren lange Kapitel, zum Teil deutlich zu lang, aber in der Zeit habe ich zwei Figuren getötet, die mich seit dem Jahr 2000 begleitet haben, ich habe einen Engelsschatz gefunden und einen anderen wieder verloren, ich habe einen leibhaftigen Engel auftreten lassen und eine alte Rache vollstreckt, und nur da, wo es darum ging, eine Freundschaft für immer zu zerstören, habe ich zurückgerudert, ein paar Seiten in die Tonne getreten und beschlossen, dass die beiden doch Freunde bleiben. Ehrlich, ich kann Figuren töten, ohne mit der Wimper zu zucken, aber Freunde, die zu Feinden werden, das geht mir zu nahe, als dass ich das schreiben könnte.

Auch wenn »Zornesbraut« das Buch ist, in dem die bis dahin getrennten Handlungszweige von Alexander und Varyn zusammenlaufen, bedeutet das nicht, dass sich auch die Wege der beiden Hauptfiguren schon kreuzen. Die laufen sich erst später über den Weg – aber die Konsequenzen ihres Handelns betreffen sie nun wechselseitig. Und mit der Totenmagd Lyda gibt es seit gestern auch eine Figur, die, nachdem sie erst mit Alexander unterwegs war, jetzt Varyn begegnet ist. Die Fäden werden langsam zusammengeführt, mit Betonung auf langsam.

Jetzt bin ich also runter auf zwei (lange) Kapitel, die ich noch zu schreiben habe, und die, so sind sie zumindest geplant, ganz und gar furchtbar werden. Ich bleibe da bewusst vage, weil ich nicht verraten möchte, wer in diesem Buch alles sterben muss, aber es wird noch einen dritten Todesfall geben, und ich freue mich nicht darauf – und auch unter eine Liebesgeschichte, die im Jahr 2000 ihren Anfang genommen hat, muss ich den Schlussstrich ziehen. Das wird kein »Lovers to Enemies«, aber tragisch wird es trotzdem, sehr, sehr, tragisch.

Dann aber, wenn ich diese beiden Kapitel im Kasten habe, stehe ich vor einem Problem. Dann steht mir der sechste Band ins Haus – und von dem habe ich noch so rein gar keine Ahnung. Ich hatte die »Chroniken der Elomaran« bis zum Ende von »Zornesbraut« durchgeplottet – und danach verließen sie mich. Und auch wenn ich jetzt wirklich viel und wirklich fleißig an der Geschichte geschrieben habe, reicht mein Plot immer noch nur bis zum Ende des fünften Buches. Für den sechsten Band hatte ich zwar ein paar Ideen – die ich aber schon vor Jahren wieder verworfen hatte und die nicht mehr zu dem passen, was ich in der Zwischenzeit geschrieben habe. Bleibt eine einzige Plotidee, und die will ich eigentlich nicht schreiben.

Es ist erstaunlich, dass ich bei manchen Plotwendungen dermaßen zimperlich bin. Blutvergießen? Kein Problem. Figuren, die sich wie die letzten Arschlöcher verhalten? Alles schon dagewesen. Aber die Bibliothek von Koristan, in der ein Exemplar von jedem Buch der Welt steht, vom Abgrund verschlingen lassen? Da wird mir schon bei der Vorstellung ganz anders. Bücher zerstören, Wissen vernichten, das macht mich fertig. Ich habe seinerzeit die Lektüre von »Tintenherz« abgebrochen, als dort eine Bibliothek verwüstet wird. Aber ich denke, wo es um die Elomaran geht, werde ich über meinen Schatten springen müssen. Ich habe beschlossen, dass der Abgrund wirklich ist, dass ein Bote des Abgrund, ein umgekrempelter Engelsgeborener, unterwegs ist, um Unheil über die Welt zu bringen – dann ist es auch nötig, dass schreckliche Dinge passieren. Ich kann nicht immer nur schreiben »Der Abgrund erhebt sich«, und dann bleibt alles beim Alten.

Als ich die »Neraval-Sage« veröffentlicht habe, kam in vielen Rezensionen das Argument auf, dass zu wenig passiert, dass die dämonische Bedrohung nicht wirklich greifbar wird – und sie hatten Recht. Da hatte ich schlichtweg Angst vor meiner eigenen Courage, und Angst, meine schöne, rudimentär ausgearbeitete Welt, kaputtzumachen. Den Fehler möchte ich nicht noch einmal wiederholen. Und gerade, weil ich für die Elomaran so viel mehr Weltenbau betrieben habe als für Neraval, kann ich hier meinen Hebel ansetzen und die Welt buchstäblich ins Chaos stürzen. Was hält mich davon ab, dass sich überall Spalte im Boden auftun, dass der Abgrund buchstäblich beginnt, die Welt zu verschlingen? Und mit der Bibliothek von Koristan anfängt, um zu verhindern, dass Halan und Varyn dort das geheime Wissen über den Abgrund finden?

Es läuft also drauf hinaus, dass ich es wirklich tue, dass ich wirklich die Bibliothek in den Abgrund stürzen lasse und der königliche Palast in sich zusammenbricht. Und sich dann Halan auf den Weg macht, den Stillen Kodex zu entschlüsseln, weil der das letzte »Buch« (in Anführungsstrichen deswegen, weil er nicht in Papierform vorliegt) der Welt ist, das noch nicht an den Abgrund geraten ist. Damit hätte ich zumindest für Halan für dieses Buch etwas zu tun. Bleiben noch meine anderen Hauptfiguren – also diejenigen, die »Zornesbraut« überlebt haben, heißt das. Wenn ich für jeden von denen auch nur einen Satz sagen kann, was sie im sechsten Band tun, habe ich wahrscheinlich das Buch schon halb fertig.

Aber es ist gut, dass ich die Idee, dieses Buch im Nanowrimo zu schreiben, wieder verworfen habe. Bis dahin bin ich nämlich noch nicht so weit, es zu schreiben. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass »Zornesbraut« noch im September fertig wird, muss ich noch viel planen und plotten, ehe ich mich an den sechsten Band mache. Da bin ich noch nicht einmal wegen des Arbeitstitels sicher. Meine Notizen sagen, das Buch heißt »Himmelsgrund«. Und das ist, anders als »Seelenblut« und »Seelenschuld«, was die verworfenen Arbeitstitel für das fünfte Buch waren, bevor ich dran geschrieben habe, ein echt guter Titel, den ich auch auf jeden Fall noch für ein Elomaran-Buch verwenden will. Aber ausgerechnet für das sechste? Das weiß ich eben noch nicht.

In einem alten Blogartikel von 2006 war ich in Panik, dass die Arbeit an den Chroniken noch bis 2026 dauern könnte. Heute hoffe ich, dass ich wirklich bis dahin fertig bin – wenn ich mich echt ranhalte. Und jetzt jedes Jahr einen Band schreibe. Und ich wirklich mit acht Büchern genau hinkomme. Aber das sind alles noch ungelegte Eier. Erst einmal mache ich einen Schritt nach dem anderen. Und schreibe »Zornesbraut« zu Ende. Und was dann das sechste Buch angeht – 2024 kommt bestimmt. Und ich will, dass es genauso erfolgreich produktiv wird wie 2023. Für mich. Und die Elomaran.

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