Funkenschwarz

Zwei Wochen ist es jetzt her, dass ich die allererste Idee für meinen diesjährigen Nanowrimo-Roman (das erste von geplanten zwei Projekten) hatte, und heute will ich erzählen, wie sich die Idee seither entwickelt hat. Ich dachte, da ich zur Zeit ja sehr fleißig blogge, ist das endlich mal eine Gelegenheit, ein Buchprojekt von der ersten Idee bis (hoffentlich) zur Veröffentlichung zu begleiten, und in diesen zwei Wochen hat sich viel an der Geschichte getan. So viel, dass ich bedaure, dass es noch zwei Monate hin ist, bis der Nano anfängt – ich würde am liebsten sofort mit der Geschichte loslegen.

Aber in Wirklichkeit ist es gut, dass ich noch ein bisschen Zeit habe. Zum einen brauche ich die, um »Die vierte Wand«, mein nächstes Kinderbuch, zu schreiben und außerdem »Zornesbraut« endlich fertigzustellen – zum anderen ist doch die Planung das Schönste an einem Nanoroman, man hat allen Spaß mit der Geschichte, aber noch nicht den Stress, das ganze auch schreiben zu müssen. Ich plane meine Romane gerne ausführlich – was nicht gleichbedeutend mit Plotten ist: Tatsächlich gehe ich meistens mit relativ wenig fertig vorbereitetem Plot an den Start. Aber ich will mir die Zeit nehmen, meine Figuren ausgiebig kennenlernen zu können, damit sich dann das eigentliche Schreiben wie von selbst erledigt.

Von zwei Wochen hatte ich genau eine Figur: Tresilean, den Blitzmagier, der in einem Steampunk-Setting elektrischen Strom etablieren möchte. Aber genau dadurch, dass Tre auf einem fünfundzwanzig Jahre alten Rollenspielcharakter basierte, den ich völlig neu konzipieren wollte, hatte ich zu seiner Persönlichkeit, seinen Zielen und Wünschen erst einmal weniger, als wenn er eine völlig neue Figur gewesen wäre, weil ich vor allem wusste, was von seinem alten konzept ich wegwerfen wollte. Ich musste die Figur völlig neu kennenlernen – und Tresilean sperrte sich mir. Da konnte er noch so schön in seinen langen Mantel vor mir herumflanieren, ich bekam keinen Zugang zu ihm.

Also gut, seine Ziele, Wünsche und Ängste schiebe ich erstmal – machen wir weiter mit der Hintergrundschichte. Für die kann/will/darf ich ein bisschen von der alten Figur übernehmen. Warum auch nicht? Ich habe mir die Geschichte 1998 schließlich selbst ausgedacht. Sie entspricht nicht mehr dem, was ich heute schreiben würde – aber ich bin doch im Kern immer noch der Mensch, den ich damals war, ich habe meine Vorliebe für kaputte Charaktere seitdem verfeinert, weg von den ganz extremen Macken zu solchen, die dafür psychologisch ausgereifter sind, aber der alte Sandy Tresilean hatte genug, das der neue brauchen konnte. Und weil er jetzt zu Beginn der Geschichte acht Jahre alt ist, hat er den eigentlich verworfenen Vornamen Sandy wieder zurückbekommen. Ein Achtjähriger heißt noch nicht Tresilean. Das muss er sich erst einmal verdienen.

Eine erste Recherche habe ich zu diesem Zeitpunkt auch schon abgeschlossen. Mir ist nämlich ein Artikel in den Sinn gekommen, den ich vor x Jahren einmal irgendwo im Netz gesehen hatte, über Male auf den Körpern von Leuten, die in die Nähe eines Blitzes gekommen sind. Da Tresilean ein Blitzmagier ist, dachte ich, es ist nur passend, wenn er dabei auch so etwas davonträgt. Diese Male nennen sich »Lichtenberg-Figuren« und entstehen nicht nur in der Haut, sondern auch in allen möglichen nicht-leitenden Oberflächen, wenn sie mit Starkstrom in Berührung kommen (der tödliche Trend des Fractal Wood Burnings geht auch mit Lichtenberg-Figuren einher). In der Haut bilden sich diese fraktalen Muster, wie ein Bluterguss, nach ein paar Tagen zurück. Es sind keine bleibenden Narben, es sei denn, man wird direkt selbst vom Blitz getroffen, und dann hat man ganz andere Probleme. Ich recherchierte also Lichtenberg-Figuren und verstand, dass sie für meine Geschichte eine ganz neue Dimension mitbrachten. Dazu nachher mehr.

Zurück zum achtjährigen Sandy Tresilean. Der leidet unter seinen gewalttätigen Eltern – zumindest so lange, bis sein Elternhaus von einem Blitz getroffen wird und niederbrennt, was von den Erwachsenen niemand überlebt. Sandy selbst wird ein paar Straßen weiter aufgegriffen, offensichtlich traumatisiert, barfuß, im Schlafanzug, mit wirrem Haar und seltsamen roten Malen auf seinem Körper. Danach beginnt für den Jungen eine Odysee durch verschiedene Pflegestellen. Er wird in der Familie herumgereicht und landet schließlich doch noch im Waisenhaus – auch das wird von einem Blitz getroffen, es gibt Tote und Verletzte, und wieder überlebt Sandy, wieder ist er ein paar Straßen entfernt, wieder hat er rote Blitzmale am Körper, und wieder gibt es nichts, das ihn in Verdacht brächte – ein Blitz aus dem Himmel, der Junge scheint das irgendwie anzuziehen, aber wie soll er daran Schuld sein?

Erst, als auch noch das Arbeitshaus, in dem Sandy als nächstes landet, das gleiche Schicksal erleidet, werden die Behörden wirklich misstrauisch. Drei Blitzeinschläge, das ist kein Zufall mehr. Immer noch gibt es keine Möglichkeit, Sandy irgendeine Beteiligung nachzuweisen, und der Junge redet mit den Offiziellen ebenso wenig wie mit seinem Autor, aber sie finden eine Verwendung für ihn, wo es, wenn er das noch mal machen sollte, die Richtigen trifft, und verkaufen ihn an einen Zirkus. Da ist Sandy zwölf Jahre alt. Und der Zirkus soll sich als ein echter Glücksgriff herausstellen – nicht nur für Sandy, sondern auch, und vor allem, für mich. Im Zirkus findet Sandy nämlich zum ersten Mal Freunde. Und ich meine zweite Hauptfigur.

Yestin ist ein paar Jahre älter als Tresilean und mir gegenüber so offen und kommunikativ, wie Tresilean es nicht ist, und so weiß ich über ihn schnell eine ganze Menge. Angefangen hat seine Geschichte damit, dass ich unbedingt ein Tarotspiel irgendwo in der Geschichte unterbringen wollte. Ich bin weder abergläubisch, noch esotherisch veranlagt, aber Tarotkarten finde ich schön, und ich habe selbst eine kleine Sammlung besonders intersssanter Tarot-Decks (und natürlich auch das ganz klassische Rider-Waite-Blatt). Als dann der Zirkus ins Spiel kam, wusste ich gleich, ich habe es mit einem Wahrsager zu tun. Und so kam Yestin, der den Blinden spielt, aber ganz echt in die Zukunft sehen kann, und der ein gezinktes Tarot-Blatt besitzt, um für seine Kunden genau die Karten ziehen zu können, die zu seinen Visionen passen.

Yestin ist offen, freundlich, und auch ziemlich verkorkst. Wie so viele meiner Figuren hat er ein Alkoholproblem – er trinkt, um seine Visionen wieder zu vergessen, was ihm nur so halb gelingt. Außerdem hat es ihn schon mal fast umgebracht, als er sich mit gepanschtem Fusel eine Methanolvergiftung zugezogen hat. Die hat er zwar überlebt, aber es hat ihn sein Augenlicht gekostet – so lange, bis Lusa, die Bärtige Dame des Zirkus, ihm mit ihrer Heilkunst geholfen hat, wieder zu sehen. Weil aber niemand wissen darf, dass die Bärtige Dame heilende Kräfte hat, spielt Yestin seitdem weiterhin den Blinden, nur seine engsten Freunde wissen, dass er in Wirklichkeit wieder sehen kann. Zu diesen engen Freunden zählt nicht nur Sandy, den Yestin unter seine Fittiche nimmt, sondern auch der Starke Mann Androw, mit dem Yestin zusammen ist.

Yestin, so wie er sich vorgestellt hat.

Für Yestin in der Zirkus ein sicherer Ort. Er muss weder seine Gabe verstecken, noch seine sexuelle Orientierung, und er kann so leben, wie er das gerne will. Für Sandy hingegen sieht es anders aus: Er wird halbnackt in einem Glaskasten zur Schau gestellt als »der Junge, der dreimal vom Blitz getroffen wurde«. Dass seine Lichtenberg-Male längst wieder verblasst sind, ist egal, die werden einfach immer wieder neu aufgemalt. In diesem Zirkus ist nicht alles so, wie es aussieht, und nicht jeder Freak ist auch wirklich einer. Dem Publikum ist es egal, das will einfach nur unterhalten werden. Aber es sind die Freundschaften zu den anderen Schaustellern und Freaks, die Sandy davon abhalten, auch den Zirkus mit einem Blitz in Schutt und Asche zu legen.

Yestin ist der einzige, der Sandys Gabe kennt – das geht damit einher, das Schicksal eines Menschen lesen zu können. Er zieht für den Jungen zwei Karten, den Magier und den Turm – persönliche Perfektion auf der einen, die größte Unglückskarte auf der anderen Seite. Der Turm steht für Zusammenbruch und Untergang, und nicht von ungefähr schlägt nicht nur im Rider Waite-Blatt ein Blitz in ihn ein (im Belgischen Tarot heißt die Karte »La Foudre«, der Blitzschlag). Was Yestin wirklich alles gesehen hat, behält er für sich. Er verrät nie alles, was er gesehen hat; seine Visionen sind ihm selbst oft zu umfangreich, und er weiß schon, warum er versucht, sie sich zu vertrinken. Aber als er eine neue Vision hat, versucht er, Sandy zu warnen und ihm zur Flucht zu verhelfen, selbst wenn es bedeutet, dass sie sich niemals wiedersehen, und er schenkt ihm zum Abschied sein Tarot.

Das darf Sandy auch dann behalten, als der Fluchtplan scheitert: Der Zirkusdirektor verkauft den Jungen, der nicht sein bestes Pferd im Stall ist, an einen unheimlichen Fremden. Und damit kommt Sandy, der jetzt endgültig den Namen Tresilean führt, zu dem Geheimbund, der versucht, in der Steampunkwelt Elektrizität einzuführen. Diesen Geheimbund muss ich noch ausarbeiten. Er hat noch keinen Namen – zumindest keinen, der mir gefiele. Mein Mann hat sie, angelehnt an den Titel »Funkenschwarz«, die »Schwarzen Funken« genannt, und jetzt habe ich einen Kölner Karnevalsverein für Goths vor Augen, die in ihren schwarzen Roben Stippeföttche machen – nicht die beste Voraussetzung für einen ernstzunehmen Geheimbund, von dem man eigentlich möchte, dass sie unheimlich und sinister rüberkommen.

Die Schwarzen Funken, um sie jetzt einmal so zu nennen, waren lange auf der Suche nach dem Jungen, der Blitze rufen kann (die Geschichte hat sich herumgesprochen), und als sie ihn im Zirkus finden, fackeln sie nicht lange und kaufen ihn frei. Jetzt bekommt Tresilean endlich eine Förderung, die seinen Fähigkeiten entspricht, er erhält eine Schulbildung und wird im Umgang mit seiner Gabe geschult, und hier endet dann auch endlich die Vorgeschichte (oder, wie mein Mann, der meint, ich hätte zu viel Plot, mutmaßt, Band Eins). Und wenn wir Tresilean das nächste Mal begegnen, ist er ein erwachsener Mann, der endlich einen langen schwarzen Mantel trägt und sich gerade an der Universität eingeschrieben hat.

Tresilean hat eigentlich noch wildere Haare. Aber zumindest stimmt die Lichtenberg-Figur!

Universität? Genau. Ich schmeiße hier mit Versatzstücken um mich, als gäbe es kein Morgen. Ein Zirkus und Steampunk passen schon perfekt zueinander (man stelle sich nur diese riesige Dampforgel vor, die zu den Aufführungen spielt!). Aber noch etwas verträgt sich perfekt mit einem Steampunk-Setting, und das ist Dark Academia – so perfekt, dass ich ein neues Wort dafür gefunden habe: Dark Acasteamia nenne ich das. Im Herzen dieser noch namenlosen Stadt gibt es eine ausgesprochen finster anmutende Universität, an der Hier-noch-Plot-einfügen erforscht wird. Hier wird Tresilean eingeschleust, um Hier-noch-Plot-einfügen zu sabotieren und dem gloreichen Funken zum Triumph zu verhelfen – und hier trifft er dann auch Yestin wieder.

Da habe ich mich erst einmal gewunden. Laufen sie sich ausgerechnet da rein zufällig über den Weg? Ich hasse solche Zufälle! Und warum ist Yestin nicht mehr beim Zirkus? Und dann kam alles zusammen. Yestin ist nicht mehr beim Zirkus, weil der für ihn nach dem Verkauf Tresileans kein sicherer Ort mehr war, und weil er sich von Androw getrennt hat. Und natürlich weiß er, dass Tresilean jetzt in die Akademie kommt, weil er das in der Zukunft gesehen hat. Er muss nur den richtigen Zeitpunkt abwarten und ihn dort abpassen. Viele Fragen sind natürlich noch offen: Ob Yestin Tre nur wiedersehen will, oder ihm helfen, oder ihn aufhalten, das weiß ich noch nicht. Bleiben die beiden Freunde? Werden sie Feinde? Werden sie Liebhaber? Auch das wird sich zeigen.

Im Moment habe ich viele Ideen, ein bisschen Plot, und ganz viel Blah, das ich noch ausarbeiten muss. Zwei Monate vor Beginn des Nanos muss ich mir noch keine Sorgen machen, dass ich zu wenig Plot habe – im Gegenteil, ich bin gut dabei, und auch wenn vieles noch schwammig ist (was sind das für Behörden, die einen offensichtlich übernatürlich begabten kleinen Jungen an den Zirkus verkaufen, statt Experimente mit ihm zu veranstalten, wie jede normal tickende Behörde das würde? Stecken wirklich die Behörden dahinter, oder versucht jemand gezielt, Sandy zu verstecken? Aber ist es wirklich ein Versteck, wenn er da jeden Tag ausgestellt wird?) – und bis ich das Buch schreibe, kann sich noch ganz viel ändern. Muss es wahrscheinlich auch. Es ist noch nicht alles so logisch, wie ich das gerne hätte.

Aber das ist der Stand der Dinge. Ich habe zwei Hauptfiguren, von denen einer nicht mit mir redet und mir der andere eine Frikadelle ans Ohr labert – und bei beiden weiß ich noch nicht, was ihre Ziele sind. Ich habe eine Akademie und einen Zirkus. Ich habe Steampunk und Blitze. Und ich habe mich verliebt in eine Idee, aus der ich ein wundervolles Buch machen möchte. Bleibt dran. Spätestens Anfang November melde ich mich, wie es mit »Funkenschwarz« weitergeht. Und bis dahin gibt es noch zu viel zu tun, als dass es hier langweilig würde.

 

Die Bilder wurden erstellt mit dem RPG Character Maker.

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