Der Romanfriedhof: »Museion«

Während mein fruchtbarstes Schreibjahr aller Zeiten auf seinen hoffentlich großen Höhepunkt, den Nanowrimo, zusteuer und ich schon fleißig am Plotten bin, kann ich nicht umhin, zehn Jahre zurückzudenken ins Jahr 2013, als mein Nano so krachend scheiterte, dass es nicht nur einen, sondern gleich zwei Buchprojekte auf den Friedhof verbannen sollte und das Jahr, das einen meiner größten Triumphe enthalten hatte, mit Tränen und Selbstzweifeln endete – und das mit einem Buch, das von den Tränen und Selbstzweifeln eines Autors handeln sollte und von der Muse, die sich in ihn verliebt. Meine Muse verließ mich in jenem Jahr. Sie sollte wieder zurückkommen, neues Jahr, neue Chance. Doch 2013 endete mit einer Niederlage, und mit der Erkenntnis, dass ich brillante Satiren vielleicht doch anderen überlassen sollte.

»Museion« war, neben den »Kindern des Hauses Otrempa«, einer der beiden Romane, die ich in dem Jahr für den Nano auserkoren hatte – aber die Idee war schon zwei Jahre älter. Im frühling 2011 hatte die Odeon Film einen Wettbewerb für ein Fernsehserienkonzept ausgeschrieben und ich mich mit zwei Einsendungen beteiligt – das eine war, unter dem Namen »Zäng!«, ein Uralt-Konzept von mir, die Vampire auf dem kölner Melaten-Friedhof, die mit Biss und Verstand und als echte Experten für Blutspuren Mordfälle aufklären – das andere eine Satire auf den Literaturbetrieb, das den Angehörigen des Musensofortdienstes »Musenruf« folgte. Und damit parodierte ich zuallererst einmal mich selbst, hatte ich doch schon einige Jahre vorher die Idee gehabt, mich mit einer kostenpflichtigen Plotberatung für Autoren, Arbeitstitel Musenruf, selbständig zu machen. Damals hatten mir meine Freunde den Zahn schnell wieder gezogen. Die Domain musenruf.de hatte ich mir trotzdem schon gesichert. Und weil ich meine eigenen Ideen ja bekanntlich gerne ausschlachte, wurde nun also die Grundidee einer Fernsehserie daraus.

Ich finde immer noch, die Idee hat was: Folge für Folge steigt die Musen Vira als literarische Supernanny zusammen mit ihren Kolleginnen in ein gescheitertes Romanprojekt ein, um es wieder auf Spur zu bringen. Dafür gab es eine Rahmenhandlung, die in der wie eine Zeitarbeitsfirma aufgebauten Agentur spielt, und eine Binnenhandlung, für die Vira und Co. mit den fiktiven Figuren interagieren, um eine Lösung für deren Probleme zu finden. Da waren keine Grenzen gesetzt:  »So kann zum Beispiel eine unzureichend ausgearbeitete Fantasywelt nur aus Lagerfeuer, Pappbäumen und großen »Da geht’s lang!«-Pfeilen auf dem Boden bestehen, das Piratenschiff sehr eindrucksvoll auf einem Ozean von Sportplatzgröße segeln oder eine Traumlandschaft komplett mit rosa Wölkchen angefüllt sein«, schrieb ich in meinem Konzeptpapier für den Wettbewerb.

Und wem das jetzt bekannt vorkommt: Ja, sowas hatte ich hier schon einmal. Schon in meinem krachend gescheiterten Roman »Die Welt in der Wühlkiste« hatte ich versucht, hinter die Kulissen eines Romans einzutauchen und war an der Umsetzung gescheitert. Musenruf, oder »Museion«, wie ich das Ganze dann nannte, sollte nun also der zweite Anlauf werden. Ich schäumte nur so über vor Ideen für diese Serie, von der ich ahnte, dass sie für einen Fernseherfolg viel zu nischig aufgestellt war, und schaffte es nur mit Müh und Not, das ganze auf zehn Seiten zusammenzufassen – zu umfangreich die Erklärungen zum Hintergrund, zu den Figuren und ihrer Arbeit, als dass die eigentliche Dialogprobe länger als eine knappe Seite geworden wäre. Da ahnte ich schon, ich würde den Wettbewerb nicht gewinnen, und natürlich passierte auch genau das. Aber he, ich hatte teilgenommen. Und ein Konzept, aus dem man noch mal was machen konnte.

Und zwei Jahre später, im Nano, war es dann soweit: Ich packte meine Musen aus, um einen Roman aus der Idee zu machen. Bei einem Treffen mit meinen Agenten auf der Frankfurter Buchmesse erzählte ich ihnen begeistert von dem Buch, das eine Mischung aus beißend-humorvoller Mediensatire, frecher Frau, und Lovestory werden sollte und sich doch bestimmt super würde verkaufen lassen – und dann passierte etwas, das mir sonst nie passiert ist: Meine Agenten winkten ab. Eben erst hatte ich »Puppenzimmer« und »Geigenzauber« veröffentlicht und mich damit als brandneue Autorin im düster-romantischen Bereich platziert, jetzt wollte ich auf einmal Humor und Satire machen? Im Genremix? Das wird nix, meinten beide, und Klaus wurde sehr deutlich, dass das nicht zu meiner Marke passen würde.

Ich schmollte ein bisschen: Schließlich kann ich witzig sein, ich weiß es, man muss mich nur lassen! Aber weil ich immer mehrere Eisen im Feuer habe und wir noch genug andere Bücher von mir zum Anbieten hatten, beschloss ich, meine Musen dann stattdessen erst einmal für mich selbst zu schreiben und später weiterzusehen, was mit ihnen geschehen sollte. Trotzdem, es kommt so selten vor, dass Micha und Klaus ein Projekt von mir nicht haben wollen, dass mir das zu Denken hätte geben müssen.

So aber setzte ich mich hin und plottete mein auf Einzelfolgen ausgelegtes Serienkonzept zu einem Roman um. Es fiel mir leicht, schließlich hatte auch das Serienkonzept schon eine Staffelübergreifende Love Story zwischen Muse Vira und ihrem ehemaligen Schützling, dem verkrachten Literaten Ansgar Aaron Moor – so ein großes Talent, dass ihm selbst nach der großen Musenreform von 2002 eine persönliche Muse zugestanden wurde, aber nachdem er seine Feder zerbrochen und geschworen hat, kein Wort mehr zu schreiben, findet sich Vira plötzlich als Agenturmuse für Dutzende von verkappten und oft minderbegabten Schriftstellern zuständig und mit hadert ihrem neuen Los. Muse und Literat kommen nicht voneinander los – und so sollte der Roman in einem zweiten parallelen Handlungsstrang erzählen, wie es Ansgar als Ex-Literat im Callcenter ergeht.

Und so begann der Nano mit Schwung und einer wirklich schönen Szene. Meine Figuren, von denen ich bislang nur ihre Kurzcharakterisierungen und die eine Probeseite Dialog kannte, erwachten zum Leben und schlugen sich gut – das Buch machte mir Spap, es war so witzig, wie ich es gern haben wollte, und meine Einblicke in den Literaturbetrieb waren so messerscharf, wie das nur jemand kann, der vorher schon einmal in allen Bereichen des Buchwesens arbeitslos geworen ist. Ich nahm mich und mein Handwerk nicht allzu ernst, und das wichtigste war: Ich hatte Spaß.

Manche Szenen fielen mir leichter als andere – Ansgar und sein Werdegang vom langzeitarbeitslosen Literaten zum Callcentragenten und von da an zurück zum Schriftsteller fiel mir leicht, hatte viele autobiographische Elemente, die ich mir, selbst lang arbeitslos gewesen, von der Seele schreiben konnte. Und ich mochte meine Musen. Besonders spaßig geriet eine Szene, in der die Agentur alle verfügbaren Kräfte mobilisieren muss, weil in der Menschenwelt der Nanowrimo beginnt und Hunderttausende von Autoren gleichzeitig die Musen anrufen. Aber ausgerechnet die in den Romanen selbst spielenden Szenen, in meinem Serienkonzept noch Dreh- und Angelpunkt der Handlung, fielen mir schwer, gerieten steif und leblos längst nicht so augenzwinkernd witzig, wie ich mir das gedacht hatte.

Und wie dann die Verhandlungen zwischen Autor, Muse und Figuren ablaufen sollten … Ich wollte mich nicht mit Szenen aufhängen, für die mir noch der Plot fehlte, solange ich jeden Tag mein Nanopensum abzuliefern hatte – und so übersprang ich meine Lücken großzügig und machte mit den Stellen weiter, die ich schon im Kopf hatte. Und so verwandelte sich mein ursprünglich komplett durchgeplotteter Roman in einen Flickenteppich. Teile der Geschichte funktionierten sehr gut. Andere taten es gar nicht. Aber solange ich immer noch eine ungeschriebene Szene im Kopf hatte, ließ ich diese Problematik nicht an mich ran. Löcher stopfen kann ich später immer noch. Irgendwie. Irgenwann –

Zwei Wochen lang schrieb ich jeden Tag fleißig mein Pensum an irgendeinem Teil des Romans – dann passierte etwas, das nie schön ist und im Nano schlichtweg nicht passieren darf. Ich wurde krank. Heute haben wir im Nano goldene Regeln, von denen die erste lautet »Das Leben geht vor«. Wenn man krank ist, dann ist man krank. Shit happens. Aber ich hatte mich so sehr daran geklammert, dass ich den Nano gewinnen musste, doppelt sogar – ich hatte den Nanowrimo 2008 nach wenigen Tagen wegen einer beginnenden Psychose abgebrochen, und diese Niederlage, die sich niemals mehr wiederholen durfte, saß mir noch immer in den Knochen. Und nun, unverschuldet, ein Infekt. Er schaltete mich eine gute Woche lang komplett aus. Ich konnte nicht schreiben, ich konnte nicht einmal plotten. Und als ich wieder auf den Beinen war, war der Zug für mich abgefahren.

Ich hatte einen Rückstand gegenüber meinem Nanowrimo-Ziel, und aus heutiger Sicht betrachtet, wäre der sogar aufholbar gewesen. Vielleicht hätte ich mich für eines meiner beiden Projekte entscheiden müssen, um es durchzuziehen, und das andere fallenlassen – so aber sah ich nur, dass mein Ziel für mich nicht mehr erreichbar war, und gab auf. Ich versuchte es gar nicht erst, den Anschluss zu schaffen. Oder zu sagen, dann schreibe ich jetzt einfach so viel, wie ich kann, und erfreue mich daran, was ich geschrieben habe, auch wenn es vielleicht fürs Siegertreppchen nicht reichen sollte. Ich tat, was Ansgar Aaron Moor nicht besser hinbekommen hätte: Ich versank in Selbstmitleid.

Die Musen, ausgerechnet, die mich durch den Nano hätten tragen sollen, hatten mich verlassen. Ich schrieb noch ein paar halbherzige Seiten, um nicht sofort das Handtuch zu werfen, aber sie beglückten mich nicht mehr. Der Zauber war verflogen. Und noch ehe der November ganz rum war, stellte ich die Arbeit gänzlich ein. In diesem Jahr gewann ich den Nanowrimo nicht, gewann ihn doppelt nicht, und es fühlte sich an wie die bitterste Niederlage überhaupt. Bitterer noch als 2008, und das wollte etwas heißen – 2008 hatte ich aus Vernunft und Rücksicht auf meine psychische Gesundheit die Reißleine gezogen, das war ja noch irgendwie ein heldenhaftes Opfer, aber 2013 hatte ich mich von einem stumpfen grippalen Infekt ausknocken lassen. Es dauerte lange, bis ich mich von der Schmach erholt hatte.

Den Nanowrimo zu gewinnen, das hatte ich schon in meinem ersten Jahr der Teilnahme gelernt, und es war gar nicht so schwer, wie es den Anschein hatte. Aber den Nano verlieren, das sollte sich als viel, viel schwerer herausstellen. Da brauchte ich drei Anläufe, bis es mir gelang, trotz verlorenen Nanos nicht in eine völlige Sinnkrise zu stürzen. Das dritte Mal war 2015 – auch da gelang es mir nicht, einen mehrtägigen Rückstand wieder aufzuholen, da kam erschwerend hinzu, dass ich meinen aktuellen Nanoroman versehentlich an einen Verlag verkauft hatte und plötzlich unter dem Druck stand, dass der gut werden musste, und ich schaffte den Nano nicht und machte meinen Frieden mit mir. Oder auch nicht. Denn seitdem, seit 2016, habe ich eisern daran gearbeitet, ihn jedes Jahr zu gewinnen, zumindest mit meinem Hauptaccount, und ein Ende dieser Siegesserie würde mich auch jetzt noch ganz gewaltig treffen. Vielleicht habe ich verlieren immer noch nicht gelernt. Vielleicht lerne ich es nie.

Für Musenruf, jedenfalls, bedeutete das Ende des Nanowrimos 2013 das Ende des Buches. So viel hatte ich zwei Wochen lang daran geschrieben, nur um nie wieder auch nur einen Satz dafür zu verfassen. Und wo mich sonst meine unfertigen Geschichten immer wieder heimsuchen kommen, bis ich doch an ihnen weiterarbeite, ließen mich meine Musen gänzlich kalt. Noch nicht mal gelesen habe ich das, was ich in jenem November geschrieben habe, seitdem. Und in meiner Erinnerung ist es kein besonders gutes Buch. Eine unausgegorene Genremischung, eine Gratwanderung zwischen witzig und bitter, die dann doch eher auf der bitteren Seite auskam, unfertig, löchrig, mit einer eher unangenehm zu lesenden Liebesgeschichte, die im Kern nicht gut gealtert ist … Ich habe meine Musen aufgegeben, und es war die richtige Entscheidung. Nicht, weil das Werk meine Marke verwässert hätte. Aber weil die Geschichte einfach nicht so funktioniert hat, wie ich mir das gedacht hatte. Manchmal passiert das.

Aber auch wenn ich nie wieder an der Geschichte geschrieben habe – die Domain musenruf.de besitze ich bis heute. Ich habe da nie eine Webseite zu gebaut. Aber vielleicht mache ich das doch noch irgendwann. Einen Plotsofortdienst für Autor:innen. Damit die ihre Ideen nicht aus dem Fundus einer KI zusammenschruben müssen. Ich denke immer noch, ich würde eine durchaus passable Muse abgeben. Zumindest für andere. Und Geld würde ich heute damit auch nicht mehr verdienen müssen.

Und von noch einer Begegnung mit den Musenruf-Musen möchte ich berichten. Das muss gut zwei Jahre nach diesem Nano gewesen sein, als ich eine langwierige Schreibblockade hatte. Da kam in der Post ein Carepaket von der Agentur Musenruf. Schokolade, ein Notizbuch, Alkohol, alles, was ich brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Absender: Eine Adresse auf dem Parnass, dem Heim der klassischen Musen. Gezeichnet: Agenturmitarbeiterin Alice Halmkapan. Ich habe jahrelang herumgerätselt, wer diese mysteriöse Muse war, die mich da aus dem Tief gerettet hat. Und habe es nicht selbst herausfinden können, sondern Hilfestellung gebraucht, um zu erfahren, dass »Alice Halmkapan« ein Anagramm ist von »Malinche Alpaka«. Darum an dieser Stelle noch mal ein Dankeschön an die beste Malinche der Welt.

Musen kommen dann, wenn man sie am dringensten braucht. Aber erzwingen kann man sie nicht. Daran ist »Museion« gescheitert. Aber ich, und meine Autorenkarriere, langfristig nicht. Und wo das Buch, zumindest in der Planung, damit endete, dass Ansgar Aaron Moor zum zweiten Male seine Feder zerbrach, schreibe ich heute immer noch. Und habe nicht vor, so schnell noch mal das Handtuch zu werfen.

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