»Ich hasse Bücher!« II

»Immer weniger Deutsche lesen Bücher (egal ob gedruckte oder digitale)«, schreibt der dotbooks-Verlag auf seiner Facebookseite, und »Was ist eurer Meinung nach die beste Leseförderung?«. Und da fällt mir natürlich sofort wieder meine Nichte ein, dieses blitzgescheite, phantasievolle kleine Mädchen, das mit Büchern nichts anfangen kann. Nur, dass ich es diesmal, nachdem mein erstes Entsetzen zwei Jahre Zeit zum Sacken hatte, stattdessen an einer Analyse versuche. Und weil mir die zu schade ist, um nur in einem Facebookkommentar unterzugehen, ich sie jetzt noch einmal in mein Blog kopiere:

Ich denke, es ist wichtig zu fragen, warum Leute lesen bzw. nicht lesen. Nachdem wir in unser neues Haus gezogen waren, lebten wir erstmal auf einer Baustelle mit Bibliothek – keine Küche, kein Kleiderschrank, aber die Bücherwand stand schon (zumindest die ersten sechzig Kisten hatten wir sehr schnell ausgeräumt, für die letzten 30 fehlen uns noch die Regale). Meine Nichte, acht oder neun Jahre alt zu dem Zeitpunkt, sah ein Foto davon, schüttelte sich und sagte: »Ich hasse Bücher«. Ich war, verständlicherweise, entsetzt. Also gefragt warum. Sie fand Lesen schlichtweg anstrengend im Vergleich zu leicher zu konsumierenden Medienformen wie Fernsehen – und offenbar konnten ihr die Bücher inhaltlich keinen Mehrwert bieten, der den Aufwand gerechtfertigt hätte. Dazu muss man sagen, es gibt inzwischen sehr gute Sachen im Fernsehen – intelligente Serien, gut aufbearbeitete Dokumentationen, die sich leichter erfassen lassen als ein Buch und den Konsumenten nicht dümmer zurücklassen, als wenn der die Zeit mit Lesen verbracht hätte.

Viele Bücher hingegen sind strunzdoof. Seicht, anspruchlos, vor allem aber rückständig in dem Männer/Frauenbild, das sie vermitteln. Insbesondere im Bereich der komplett durchgegenderten Kinderbücher (verglichen mit der Literatur, mit der ich in den 80ern aufgewachsen bin und die sich an ein gemischstes Publikum richteten, sind Kinderbücher heute nur noch entweder für Mädchen oder für Jungen, und im Erwachsenenbereich ist das kaum besser) haben sich Bücher in den letzten Jahren in vieler Hinsicht zurückentwickelt, während Medien wie Fernsehen und nicht zu verachtend Computerspiele daran vorbeigezogen sind. Die Verlage reagieren darauf tendenziell mit Scheuklappen. Wenn an der Qualität der Bücher geschraubt wird, dann nach unten – sprich, der Anspruch wird runtergekurbelt in der Hoffnung, damit mehr Nichtleser zu erreichen, und damit wird der Mehrwert des Lesens gegenüber dem Konsum anderer Medien nur noch weiter reduziert. Risiken werden vermieden – neue Themen nicht angerührt, Innovation vermieden, weil man keine Vergleichtitel hat, von denen man ableiten könnte, was sich verkauft, und „zu originell“ ist ein echtes Verkaufshindernis, das vor allem von den Lesern selbst ausgeht: Wenn die sich schon die Arbeit machen und lesen, wollen sie schon vorher abschätzen können, was sie bekommen.Verlage, die Innovation wagen, fliegen damit auf die Nase – und das ist ärgerlich für alle.

Nichtleser finden, der Markt ist voller Einheitsbrei und hat ihnen nichts zu bieten. Autoren geben die Schuld daran den Verlagen, die ihre originellen Werke nicht haben wollen. Die Verlage wiederum sehen die Schuld beim Leser, der diese Bücher nicht annimmt. Wo dieser Kreis zu durchbrechen ist, ist schwer zu sagen. Gute Bücher zu machen kostet Geld. Die Leser müssen es ranschaffen, daher liegt es auf der Hand, das zu machen, was auch gekauft wird. Und je weniger gelesen wird, desto schmaler wird die Bandbreite der verfügbaren Themen. Wie macht man Lesen attraktiver? Vielleicht, indem man nicht krampfhaft genau das versucht. Indem man nicht das Niveau immer wieter senkt, sondern die Latte anhebt. Indem man Bücher macht, die fordern und drücken und den Leser treffen wie ein Tritt in die Magengrube und einem zu denken und fühlen geben über den reinen Leseprozess hinaus. Wenn Lesen nicht wehtut, kann ich genausogut fernsehen. Wenn ich nur eine Geschichte erleben will, tauche ich in en Computerspiel ein. Aber wenn ich etwas will, dass mir das Innerste nach Außen kehrt und umgekerht – dann lese ich. Ich will Mehrwert. Nicht weniger.

Das soll mitnichten ein Plädoyer gegen das Lesen aus Spaß, Zerstreuung oder zur Unterhaltung sein. Leser, die einfach gern lesen, gibt es immer noch und wird es auch immer geben (ich habe einen Mann, der, während ich mir drei Staffeln Doctor Who am Stück reinziehe, in der Zeit lieber zum xten mal das komplette „Wheel of Time“ liest). Aber für solche Leser ist gesorgt, und sie finden auf dem aktuellen Buchmarkt eine Menge Lesefutter. Bleiben die Nichtleser. Bei denen müssen wir uns fragen: Warum wollen wir unbedingt, dass die lesen sollen? Bangen wir um ihr Seelenheil? Oder wollen wir bloß unsere Bücher verkaufen und sehen unseren Markt wegbrechen? (Natürlich will ich meine Bücher verkaufen. Was für eine Frage! Trotzdem hängt davon einiges ab). Wenn das Argument ist, die Kinder sollen lesen, um nicht zu verblöden, dann hilft es nichts, die Bücher selbst immer und immer blöder zu machen. Meine Nicht liest nicht, auch zwei Jahre nach unserem Umzug. Sie ist ein kluges Kind, gerade aufs Gymnasium gekommen. Sie weiß eine Menge. Sie sieht gerne fern. Sie hat einfach keinen Spaß am Lesen. Da hilft es ihr auch nicht, wenn ich sage „Du musst mehr lesen, das ist gut für dich“ – Lesen allein ist erstmal nicht besser oder schlechter als irgendein anderer Medienkonsum. Wenn sie mehr liest, ist das gut für *mich*, aber das steht auf einem anderenBlatt. Nur das Lesen pauschal hochjubeln ist nicht weniger falsch, als es die Verteuflung des Romanlesens Ende des 19. Jahrhundert war.

Ein Mensch mit einem erfüllten Tag, einem Leben ohne Langeweile und einem Wissenshunger, der mit dem gestillt wird, was er über den Tag aufschnappt, und der ohne Bücher glücklich ist, den muss man nicht zum Lese zwingen. Wenn eine Sache Lesen verleidet, dann Zwang. Mit hat es nachhaltig das Lesen vermiest, in meiner Zeit als Buchhändlerin einen Haufen Bücher zwangszulesen, sei es für die Prüfung vor der IHK oder um die besser verkaufen zu können – und seitdem lese ich wirklich viel weniger als früher. Viel, viel weniger. Ich war bei drei Büchern am Tag. Jetzt bin ich runter auf vielleicht zehn pro Jahr. Ich gleiche das aus, indem ich unverändert viele Bücher kaufe – die Autoren können ja nichts dafür, dass ich nicht mehr so gern lese wie früher. Und meine Liebe zum Medium Buch ist ungebrochen. Aber Unterhaltungsliteratur unterhält mich nicht mehr wie früher. Ich brauche ein intensiveres Erlebnis, einen Kick, und den gibt mir heute das Schreiben mehr als das Lesen. Manchmal bekomme ich aber ein Buch in die Finger, das haut mich aus den Socken. Für solche Momente lebe (und lese) ich.

Daher ein Plädoyer für mehr Intelligenz, mehr Risiko, mehr Wagemut. Nicht anstelle des bisherigen Buchprogramms, sondern zusätzlich. Vielleicht gibt es ja doch einige, die nur darauf warten.

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