Warum ich keine Bonbons klaue

Die Plagiatsaffäre, über die ich vor einigen Monaten gebloggt habe, ebbt nicht ab, und immer neue Fälle werden bekannt – das scheint echt kein Ende zu nehmen mit den Abschreiberlingen. Immer mehr Autoren beziehen dagegen Stellung, und auch ich wurde jetzt eingeladen, an einem Projekt teilzunehmen, bei dem Autoren erklären, wie wichtig es ihnen ist, beim Schreiben fair zu bleiben. Ich habe zugesagt, weil mir das Thema selbst am Herzen liegt – aber ich muss sagen, beim Schreiben fair zu sein, hat für mich keinerlei Relevanz. »Keine anderen Bücher abschreiben« rangiert bei mir auf einem Level wie »Nicht die ganze Zeit über rückwärts gehen«, »Nicht nackt Fahrradfahren« und »Nicht von der Rheinbrücke springen« – es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, und die Notwendigkeit, zu betonen, dass man das Urheberrecht der Kollegen beachtet, ist beschämend.

Ich will weder beim Einkaufen mit einem Schild um den Hals herumrennen »Ich klaue keine Bonbons«, um in den Laden gelassen zu werden, noch meine Bücher mit einer Plakette schmücken, dass sie auch wirklich nicht abgeschrieben sind. Ist Plagiieren jetzt derart zur Norm geworden, dass man Originalwerke besonders kennzeichnen muss? Selbst Bio- und Fairtradesiegel sind in dem Sinne ein Armutszeugnis, als dass sie überhaupt notwendig sind; dass man eine besondere Auszeichnung bekommt, Umwelt und Mitmenschen nicht wie den letzten Dreck zu behandeln, nur weil es alle anderen tun.

Muss ich, als Schriftstellerin, betonen, dass ich nicht abschreibe? Muss man ein Bewusstsein dafür schaffen, dass geistiger Diebstahl immer noch Diebstahl ist? Dass sich Sätze, Absätze, ganze Seiten und Kapitel nicht mit einem »Upps, jetzt ist mir da was reingefallen« in fremde Bücher verirren und nichts ist, was einem Autor mal passieren kann, sondern dass da faule Säcke und geldgeile Arschlöcher, die mit dem Schreiben nicht hinterherkommen, um ihr gesamtes Selbstvermarktungspotenzial auszuschöpfen, die Arbeit ihrer Kollegen als Selbstbedienungsladen betrachten? Ich halte nichts von Shitstorms und Mordaufrufen gegen Plagiatoren, da damit die Täter wieder selbst zu Opfern gemacht werden, und darum nenne ich in diesem Blog auch keine Namen. Aber ich will, dass die Plagiagoren zur Rechenschaft gezogen werden, auf juristischem Weg, wie jeder andere Diebstahl auch.

Vor allem will ich nicht als Autorin plötzlich unter Generalverdacht stehen. Ich schreibe meine eigenen Geschichten, weil das sonst keiner kann. Die Geschichten anderer Autoren gibt es schon. Ich schreibe meine. Ich schreibe, weil ich es liebe, und weil die Geschichten in meinem Kopf nur Platz für neue machen, wenn ich sie hinauslasse. Dafür lebe ich mit Lektoren, die angebotene Romane als »Zu originell« ablehnen. Ich lebe für einen Stundenlohn, für den ich auch in Bangladesh Hosen nähen könnte. Ich lebe mit Rezensenten, die meinen Schluss doof finden oder meine Sprache oder alles. Damit kann ich leben. Es sind Dinge, die einfach dazugehören, wenn man Autor ist. Aber ich kann nicht damit leben, jetzt auch noch begründen zu müssen, warum ich nicht die Geschichten meiner Kollegen stehlen, und warum ich nicht will, dass sogenannte Kollegen ihrerseits meine stehlen – ich muss ja auch nicht begründen, dass ich in der Straßenbahn keine Rucksäcke klaue und auch gerne meinen eigenen behalten will.

Ehrlich, wo sind wir hier denn?

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