Wo ein Wille ist, da ist auch ein Plot

Im Sommer 2010, noch bevor es dieses Blog gab, begann ich mit der Arbeit am Gefälschten Siegel, damals noch als Einteiler geplant. Ich war verliebt in das Buch und meine Figuren – kein Wunder, hatte ich doch sämtliche männliche Hauptrollen mit Mitgliedern der von mir verehrten bosnischen Band Regina besetzt, hörte deren CDs beim Schreiben rauf und runter und hatte insgesamt mehr das Gefühl, eine Fanfiction zu schreiben, als einen internationalen Bestseller. Aber auch auf meinen Plot war ich stolz, raffiniert, vielschichtig, immer für eine Überraschung gut. Nach einer plotmäßigen Durststrecke und der Erkenntnis, dass ich mit einem Einteiler nicht hinkomme, wurde der erste Band der nun zur Trilogie umgelobten Reihe 2011 fertig, und ich stürzte mich, ohne Plot, aber mit Elan und Liebe, auf den zweiten Band, Das gefälschte Herz – und scheiterte. Nach neun Kapiteln und rund 300 Seiten brach mir der Roman unter den Füßen weg und wurde auf Eis gelegt, und ich wusste noch nicht einmal, wie ich die beiden angefangenen Kapitel zu Ende schreiben sollte.

Die Fälscher waren nicht das erste Buch, das diesen planlosen Tod starb, wohl aber das erste, seitdem ich mich als Profi bezeichnete. Plotten, sollte man meinen, konnte ich. Selbst Die Gauklerinsel ist fertiggeworden, und das war ein Buch, bei dem ich lange Zeit noch nicht mal wusste, wo es hinwill. Aber als stünde ich unter dem Fluch, nie einen Mehrteiler beenden zu können, fehlte mir aller Plot für meine Fälscher, und es blieb nichts als die Hoffnung, dass der früher oder später an meine Tür klopfen sollte. 2011 ging, 2012 folgte, 2013 ebenfalls, und ich schrieb keine Seite an meinen Fälschern, keinen Satz, kein Wort. Mein Plot wurde nicht mehr, sondern weniger, während das bisschen, was ich noch geplant hatte, in Vergessenheit geriet. Ich begann mit den Schattenklingen eine neue Trilogie und war mir sicher, dass die komplett sein würde, ehe auch nur das nächste Fälscher-Kapitel fertig sein würde. Und dann kam 2014, und meine Agentur fragte nach Fantasy.

Es gibt da ein, zwei Verlage, denen würden wir gerne High Fantasy von mir anbieten, die Frankfurter Buchmesse ist ein guter Ort dafür. Ich hatte gerade das erste Buch der Schattenklingen fertiggestellt, war voll im Stoff, verliebt in die Geschichte und freute mich schon auf Band zwei, und es wäre das Einfachste gewesen, der Agentur meine zeitreisenden Zombieelfen in die Hand zu drücken und zu sagen »Macht mal!«. Aber etwas hielt mich zurück. Die Leserkommentare zu den Schattenklingen waren zu gemischt, das Buch in seiner Blutrunst nicht so typisch für mich, als dass ich damit ausgerechnet mein High Fantasy-Debüt hätte geben wollen, und zu sehr kam es mir so vor, als hätte ich haarscharf, aber wirklich haarscharf, an allen Zielgruppen vorbeigeschrieben: Denen, die es kuschlig mögen, ist das Buch zu hart, wer es gerne hart mag, findet das Buch hingegen zu kuschlig. Wir stellen die Schattenklingen zurück. Sie sind ein großartiges Buch und werden ihre Chance bekommen, aber noch nicht jetzt. Sollte ich also Frankfurt ungenützt an mir vorbeiziehen lassen? Wer nichts wagt, der nicht beginnt. Ich habe da diese großartige Trilogie …

Und so versprach ich meiner Agentur die Fälscher. Konkret: Ich versprach ein überarbeitetes Siegel, eine präsentable Baustelle vom Herz und einen ausgefeilten Plot für das dritte Buch, Das gefälschte Land. Zu dem Zeitpunkt bestand der Plot für letzteres aus dem Satz »Mit einer raffinierten List erobern sie das Land von den Dämonen zurück«, ohne jemals konkret werden zu können, und ich wusste genau, kein Lektor wird eine Trilogie in die engere Wahl ziehen, bei der die Autorin keinen Plan hat, wie es ausgehen wird. Aber ich wusste auch, wenn ich mich nicht auf meine vier Buchstaben setze und mich aktiv mit dem Buch beschäftige, wird es nie einen Plot bekommen. Und wenn es noch länger liegt, kommt irgendwann der Punkt, wo ich mich zu gut für die ganze Geschichte fühle und lieber etwas ganz Neues anfange, als meine alte Baustelle zu beackern, und dann ist dieses wunderbare Buch wirklich gestorben. Ziemlich großspurig erklärte ich der Agentur also, das bis Anfang/Mitte September ganz sicher in den Griff zu bekommen. Sind ja nur ein paar Fragen, die ich seit drei Jahren nicht beantworten kann …

Und dann geschah das Wunder. Vor zwei Tagen noch telefonierte ich mit der wunderbaren Sprotte aus dem Tintenzirkel, klagte ihr mein Leid, bejammerte meine fehlende »raffinierte List« und dass ich wohl der Agentur eingestehen müsste, dass ich es doch nicht schaffte. Sprotte schlug etwas vor, von dem ich sofort merkte, es passt nicht zu meinem Buch, ich bedankte mich und erklärte, warum ich diese Wendung leider nicht benutzen könnte … Und in der Nacht begann es in mir zu brodeln. Am Tag drauf dachte ich, dass ich den Plot fürs dritte Buch hätte, Sprottes Vorschlag nicht direkt umgesetzt, aber als Finte – wozu hat meine Heldengruppe einen Fälscher und einen Meuchler als Handlungsträger? Nur, damit es am Abend wieder zu brodeln begann, und ich begriff, dass dies zwar meine dramatische Finalschlacht darstellte, aber das Buch in Wirklichkeit auf einen ganz anderen Konflikt hinauslief, dessen Lösung sich mir auch gleich präsentierte, instantan ungeliebt, aber genau richtig – und jetzt sitze ich hier und kann mich vor Plot kaum noch retten und frage mich, wie ich das alles in ein einziges Exposee quetschen soll und ob es den Lektoren auch recht ist, wenn das Exposee etwas länger ausfällt.

Ich bin erst am Beginn meiner Arbeit. Vom Siegel ist erst die Hälfte überarbeitet, und die beiden angefangenen Kapitel vom Herz muss ich auch noch fertigschreiben, und das Exposee wird eine echte Herausforderung, weil ich einen extrem verzwickten und verzwirbelten Plot in einfachen Worten zusammenfassen muss. Ich bin völlig aufgewühlt, weil ich jetzt schon weiß, dass und wie das Ende mir wehtun wird, und hoffentlich auch allen Lesern. Ich renne durch die Wohnung, gackere wie ein aufgescheuchtes Huhn und kenne kein anderes Thema mehr, als wie sehr ich meine Fälscher liebe. Ich höre die Musik der Grupa Regina und trinke Rotwein, weil Kevron doch ein Weintrinker ist, und ich liebe das Leben und das Schreiben mehr, als ich mir jemals in diesem Jahr hätte vorstellen können. Wer nichts wagt, der nicht gewinnt. Und ganz egal, wie das jetzt in Frankfurt ausgehen wird: Ich weiß jetzt schon, dass ich gewonnen habe. Wer eine vermeintliche Niederlage in einen Triumph verwandeln kann, dem kann im Leben nichts mehr passieren.

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