Alles nur geklaut

Ich darf das gar nicht laut sagen, aber Schattenklingen, das im Tintenzirkel alle für seine Originalität loben, ist ein einziges Sammelsurium an geklauten Inhalten. Seit ich mit fünfzehn Jahren Marlowe, Lime & Co. aus allen Figuren, die der klassische Kriminalroman hergab, zusammengestoppelt habe, habe ich mich nicht mehr so großzügig an fertigen Charakteren bedient. Und ich kann zu meiner Verteidigung nur vorbringen, dass es immerhin alles meine eigenen Figuren sind bzw. schon waren, bevor sie in den Schattenklingen auftreten durften. Ich habe ja schon früher Figuren aus Rollenspielen für meine Romane ausgeborgt – so stammen sowohl Roashan als auch Shaun aus der Gauklerinsel ursprünglich aus einem Mailrollenspiel, und auch Byron und Jarvis aus dem seit einigen Jahren ruhenden Roman Klagende Flamme sind ganz am Anfang einmal ausgewürfelt worden, um ihre Abenteuer mit Dungeons & Dragons zu erleben. Aber noch nie, ich wiederhole: noch nie, habe ich mich derart schamlos beklaut.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen. Kael, der Elfensklave, hatte hier im Blog schon eine kleine Erwähnung, als er noch mein Held im Computerspiel Dragon Age: Origins war, und durfte sogar in meiner ersten und einzigen Fanfiction mitwirken. Tatsächlich aber ist er noch viel, viel älter. Kael, mit seinen türkisen Augen und frostfarbenen Haaren, wird nicht von ungefähr so ausgesprochen wie Keil – und der, mit seinen türkisfarbenen Augen und frostfarbenen Haaren, war der Held meines allerersten abgeschlossenen Romans Eine Flöte aus Eis. Dass der Zwilling des sanftmütigen, scheuen Barden ein alles andere als sanftmütiger, alkoholkranker Unsympath geworden ist … Ich bin bald zwanzig Jahre älter als damals, als ich die Flöte geschrieben habe. Irgendwo muss man das ja dran merken. Der türkisgraue Elf ist für mich jedenfalls soetwas wie ein Schönheitsideal: Wo immer ich die Möglichkeit habe, mir einen Elfen zu generieren, wird in es ein Kael werden (die Schreibweise Keil war mir doch zu sehr mit der Flöte verbunden und sieht nicht so elfisch aus, wie Kael es tut). Kael ist aber nicht das einzige Cameo aus meinem Erstling – auch Keils Begleiterin, die Jägerin Schwinge, hat es in den Roman geschafft. Allerdings nur namentlich: So hat Landras sein Schwert genannt.

Aber damit hört es nicht auf. Landras und Amadis, die beiden Hochelfen, haben ebenfalls eine lange Geschichte hinter sich und entstanden ursprünglich als Sidhe-NSCs für eine Changeling-Runde, die ich Mitte der Neunziger geleitet habe und die in Wien angesiedelt war. Amadis war schon damals ein rothaariger Hitzkopf mit einer flinken Klinge, Landras allerdings ein stummer Zauberer – von dem habe ich letztlich nur den Namen behalten. Lord Landras von der Schwarzen Brücke und Amadis Grünspan waren jedenfalls zwei tolle Figuren. Der NSC-Amadis wurde bei nächster Gelegenheit um zwanzig Jahre verjüngt zum Spielercharakter-Amadis, hatte eine Liasion mit einem Drachen und einen sehr intensiven Moment, als er versehentlich sein eigenes Herz aufspießte. Aus seiner Geschichte bastelte ich einige Jahre später einen D&D-Charakter, der gemeinsam mit einem Halbdämon buchstäblich plündernd und brandschatzend durch die Gegend ziehen durfte – was dann auch als Plotelement in die Schattenklingen Einzug halten durfte. Aus dem Halbdämon Liko habe ich dann Yelko, die Halbdämonin, gemacht, weil ich mich nicht an den Figuren anderer Spieler bedienen wollte und dringend eine weibliche Rolle zu vergeben hatte.

Für den Hintergrund des D&D-Amadis erfand ich die Geschichte seines Vetters Landras – jetzt als Kämpfer/Schurke und mit schwarzem Haar seinem späteren Romanpendant deutlich ähnlicher – den Amadis aus Eifersucht ermordet und im Sumpf versenkt hat. Bei D&D sind Wiederbelebungen ja nur eine Frage des nötigen Geldes, so dass ich auch Landras zu einem Spielercharakter ausbauen konnte. Dieser fand sich, von einem mysteriösen, um den Ausgleich bedachten Geheimnbund wiederbelebt, in einrt lichtlosen Welt unter der Erde wieder, von dem mein lieber Mann, der damals Spielleiter war, mir gnädig gestattet hat, ein paar Motive zu verwenden, woraus dann letztenendes die Schattenfeste wurde. Landras habe ich aber nur ein- oder zweimal überhaupt spielen können, und so wuchs der Wunsch, aus der Geschichte einmal einen Roman zu machen. Ganz ohne das Element der Zeitreisen, der Dämonen und der versklavten Elfen entstand so schon vor Jahren die Idee zu einer Geschichte, in der ein Ermordeter zu neuem Leben erweckt wird, um das aus den Fugen geratene Schicksal zu reparieren. Der entscheidende Funke kam dann mit Kael dazu, was dem Ganzen gut getan hat: Durch die Kombination der edlen Hochelfen und der schäbigen Sklavenelfen habe ich einen interessanten Kontrast, vor allem aber eine Geschichte, die sich nicht mehr von vorne bis hinten liest wie eine Dragon Age-Fanfiction – so wie ich seinerzeit Roashan von der Welt seiner Spielleiterinnen losgelöst habe, ohne die wesentichen Charaktermerkmale zu verlieren, habe ich das auch mit Kael machen können.

Es wäre schön, wenn der Klaudiebstahl da aufhören würde. Aber richtig massiv wird es erst durch die Hüter der Waage. Mit denen hatte ich nämlich ein Problem: Sie treten im Rudel auf, werden alle auf einen Schlag eingeführt, und doch sollte jeder von ihnen eine erkennbare Persönlichkeit mitbringen. Und dabei wusste ich als Autorin noch nicht einmal, was genau die Hüter jetzt überhaupt sind! An der Stelle brach der Schreibfluss weg, und der Roman begann, vor sich hin zu dümpeln, über ein Jahr lang sogar. Mit den Hütern kam ich einfach nicht weiter. Also bediente ich mich eines Schachzugs: Ich nahm die Zauberer, verpasste ihnen neue Namen und erklärte sie zu »Hütern der Waage«. Die Zauberer, mächtige, unsterbliche Wesen, die sie sind, hatte ich gemeinsam mit meiner Freundin Monica um 1995 herum für unser Romanprojekt Fenoriels Augen und die Welt, an der wir bastelten, entwickelt, und in allen Romanen, die in dieser Welt spielen – neben Fenoriels Augen sind das auch noch Eine Flöte aus Eis und die Fortsetzung Durch die Nebelpforte, Die Spinnwebstadt sowie das nur fragmentarisch erhaltene Buch Der Siegelstein – durften die Zauberer auftreten. Acht Stück waren das, aber weil sie so mächtig waren, kamen nie mehr als zwei von ihnen auf einmal vor. Jedem dieser Acht war eine Farbe zugeschrieben, und jeder dieser Acht hatte eine sehr klar ausgearbeitete Persönlichkeit.

Die Zauberer haben immer ihre Neutralität betont. Von dort zu den Hütern der Waage war es also nur ein kurzer Weg. Sie sind immer noch in Geschwisterpaaren organisiert, die jeweils in sich neutral sind – sprich, wenn einer von ihnen böse wird, muss der andere gut werden, damit es ausgeglichen ist – und sie haben immer noch Zauberkräfte und die Fähigkeiten, ihre Gestalt zu wandeln. Auch beim Aussehen habe ich mich an den Vorlagen orientiert. Nur die Namen sind neu – so neu, dass ich dauernd in meiner Liste nachschlagen muss, wie Morren jetzt heißt oder was ich aus Adramel gemacht habe. Und es kommt immer noch häufig genug vor, dass ich mich vertippe und den Namen eines Zauberers anstelle dem eines Hüters verwende. Aber anders als bei Kael/Keil oder den anderen Elfen werde ich hier an den geänderten Namen festhalten. Ich suche keinen Verlag mehr für die Flöte aus Eis, dafür ist mir das Buch nicht mehr gut genug, und ihre direkten Fortsetzungen sind nie fertiggeworden, aber da ist immer noch die Spinnwebstadt, auf die ich doch sehr stolz bin und die ich mir auf die Dauer auch verlegt vorstellen kann. Dabei treten in insgesamt vier Bänden nicht weniger als fünf Zauberer auf, die drei weiteren werden zumindest erwähnt, und ich möchte nicht, dass jemand auf die Idee kommt, die Schattenklingen spielten in der gleichen Welt, weil die gleichen Zauberer vorkommen. Hüter der Waage und Zauberer sind also jetzt offiziell zwei paar Schuhe. Dass sie eigentlich identisch sind, ist ein Osterei.

Das eigentlich erstaunliche ist aber, dass ich aus diesen vielen geborgten Versatzstücken tatsächich etwas zusammengesetzt habe, das ich in Sachen Fantasy für meinen komplexesten und originellsten Plot halte, vielleicht noch vor der Gauklerinsel. Das Beste ist eine gute Mischung: neue Ideen und ein paar gut abgehangene Figuren.

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