Ein altes Versprechen

Heute will ich von Zita erzählen, und von dem Versprechen, das ich ihr damals gegeben habe. »Damals« ist inzwischen fast acht Jahre her, und Zita, die damals noch ein Mädchen war, ist längst eine junge Frau von Anfang zwanzig, und das ich das heute über sie sagen kann, ist eine Riesenmenge wert. Denn damals wäre Zita beinahe gestorben.

Sie abends war mit ihrem Fahrrad unterwegs, mit Wut im Bauch und im tarnfarbenen Parka ihrer großen Schwester – TheaEvanda, die später die Elomond-Schriftzeichen entwerfen sollte – als sie von einem Auto angefahren wurde. Ihr Fahrrad flog meterweit, und sie selbst auch, und als Thea die schlimme Nachricht über die Filk-Mailingliste schickte, sah es schlecht für Zita aus. Sie lag mit Schädel-Hirn-Trauma im künstlichen Koma, und es war fraglich, ob sie die nächsten Tage überleben würde.

Ich kannte Zita, als Musikern, als sehr lebendiges Mädchen, auf der FilkContinental im Jahr davor waren wir auf einem Zimmer, und ohne ihre Hilfe hätte ich meinen Auftritt dort kaum bewältigen können – und jetzt lag sie im Koma, vielleicht für immer… Ich war fassungslos. Wir waren es alle. Ich war Zita etwas schuldig, aber was sollte ich tun? Ich konnte sie nicht mal besuchen fahren, sie lag in Würzburg, ich wohnte in Köln – aber ich wollte sie retten, trotz alledem, so wie sie mich gerettet hatte.

Früher hatte ich begeistert die Xanth-Bücher von Piers Anthony verschlungen, und so kannte ich den Fall von Jenny, die im Koma lag, nachdem sie von einem Betrunkenen überfahren worden war, und der Anthony in Form einer jungen Elfe ein Denkmal gesetzt hat. Und das war doch auch das Mindeste, was ich für Zita tun konnte! In meiner Phantasie sollte Thea ihrer Schwester das Buch vorlesen, in dem sie selbst eine Rolle spielte, und dann würde Zita aufwachen, so wie auch Jenny irgendwann wieder aufgewacht war… Und weil ich sofort etwas tun mußte, schrieb ich an Thea:

Glaubst du, Zita hat Lust, in meinem Buch vorzukommen? Sie ist die ganzen letzten Tage, während ich versucht habe, an etwas anderes zu denken und zu schreiben, in meinem Kopf rumgespukt, daß sie jetzt schon halbwegs zum Inventar gehört, nur auftreten lasse ich sie natürlich nicht ohne ihre Erlaubnis. Hätte sie wohl Lust, ein Kind des Engels des Waldes zu sein? Das Buch widme ich ihr auf jeden Fall.

Thea meinte, daß Zita sicher damit einverstanden wäre. Sie las Zita Geschichten vor, Bücher von Tamora Pierce – und mir, was mich sehr ehrte, aber unter anderen Umständen wäre es mir lieber gewesen. Ich plante alles so schön im Kopf, suchte mir einen passenden Engel und zu Zita passende Umstände aus – nicht der Engel des Waldes sollte es sein, und auch nicht der Engel des Lichts, sondern der Engel der Träume: Dessen Kinder leben auch im Wald, und Zita sollte ihre Königin werden. Nur bis ich das schreiben konnte, sollte es noch ein wenig dauern: Zu dem Zeitpunkt schrieb ich gerade Schwanenkind. Aber ich ging davon aus, daß auch Piers Anthony für Isle of View mehr als drei Wochen gedauert hatte, und ich redete mir ein, daß Zita, solange ich an der Geschichte arbeitete, ganz sicher nicht sterben würde…

Zita tat noch mehr als das: Sie kam wieder zu sich. Nach einer guten Woche im Koma wurde sie vorsichtig geweckt und erlangte, langsam aber zielsicher, das Bewußtsein wieder. Sie wurde kein komatöses Zombiekind, sondern wieder ein richtiger, lebendiger Mensch. Thea weihte sie in meine Idee ein, und Zita war tatsächlich einverstanden, erlaubte mir sogar, ihren vollständigen Namen zu benutzen. Thea schrieb mir:

Ich war gestern bei Zita. Sie ist mittlerweile schon fast wieder „entcomputerisiert“ und bei der Sache, wenn auch noch sehr schwach. Sie kann auch richtig lesen, wenn die Schrift gross genug ist (so 5 cm). Sie hat dir aber höchstpersoenlich die Erlaubnis gegeben, ihre Person und ihren Namen (Felicitas Sibylla Franziska) zu verwenden. Sie hat sich darüber gefreut. Ihr jetziger Zustand (vollständig Bewegungsfähig, kann schon lesen etc.) lässt hoffen, dass sie sich vollstaendig erholt

Zita bekam ein Care-Paket, mit einem handgebundenen Exemplar meiner Flöte aus Eis, einem Bild von Silva und einer Kassette mit den allerersten Aufnahmen von Lord Landless (die später als Demo dazu führen sollten, daß wir unsere eigene CD produzieren durften), und sie erholte sich vollständig. Eine Geschichte mit Happy End, auch wenn ich Zita leider seit Jahren nicht mehr getroffen habe – zuletzt im Sommer 2002 – hoffe ich doch sehr, daß es ihr gutgeht, und daß sie nicht im Koma darauf gewartet hat, daß ich endlich ein Buch über sie schreibe. Denn dann hätte sie lange warten müssen: Bis gestern nämlich. Gestern ist ein Mädchen mit rotblondem Haar aufgetreten, das nun Alexander unverwandt anblickt. Das ist Zita.
Ich erinnere mich an meine Versprechen. Ich hoffe, sie tut es auch.

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