Engel gucken

Heute war ich zum ersten Mal seit langem wieder draußen unterwegs – zum Engel gucken. Das heißt, ich war auf dem Friedhof, um mir Inspiration zu holen und Fotos zu machen. Ich fotographiere unheimlich gerne auf Friedhöfen, zum einen, weil die Ziele da schön stillhalten und nicht wackeln, während man die Kamera optimal ausrichtet, und zum anderen, weil ich einfach Friedhöfe unheimlich gerne mag. Ich habe Friedhofsengel erst belacht, dann bewundert, lange bevor ich angefangen habe, an den Elomaran zu schreiben – anfangs war das so ein Triumph, am Leben zu sein, während dort all die steinreichen Leute zwar einen Engel mit vier Meter hoher Stele auf ihrem Grab stehen haben, aber dafür tot sind. Der Schönheit dieser ganz besonderen Kunstform, der kühlen Ästhetik konnte ich mich aber von Anfang an nicht entziehen. Mit vierzehn habe ich angefangen, Engel auf Friedhöfen zu fotographieren und damit das Fundament für die Chroniken der Elomaran zu legen

Dabei war ich vor allem auf einem Friedhof aktiv: Dem alten Kölner Zentralfriedhof Melaten. Viele Filme habe ich dort über die Jahre verschossen, viele schöne Bilder gemacht, und wenn ich mal einen Scanner habe, werde ich eine schöne Webseite dazu ins Netz stellen – vorher nicht, denn ich fotographiere immer analog und habe meine Bilder auf dem Papier am liebsten. Andere Friedhöfe, auf denen ich mit der Kamera unterwegs war, sind der Berliner Südwest-Friedhof und der jüdische Friedhof Weißensee, ebenfalls Berlin, sowie der Wiener Zentralfriedhof, aber von letzterem sind die Bilder leider beim Entwickeln verschollen, ich habe also nur noch die Erinnerung an einen gar nicht so bemerkenswerten Friedhof – wenn man Melaten kennt, können viele Friedhöfe nur verlieren.

Aber heute war ich nicht in Köln. Ich war zu Fuß unterwegs, im schönen Aachen, wo ich innerhalb von zehn Minuten am Ostfriedhof bin, dem größten und mutmaßlich schönsten Friedhof Aachens. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit komme ich daran vorbei, und es ist eine Schande, daß ich nach einem Dreivierteljahr Aachen erst heute dagewesen bin. Ich hatte meine Spiegelreflexkamera dabei, drei Filme in Reserve, und einen leckeren Tee im Bauch, um nicht so schnell auszukühlen. Denn das Wetter war nicht so toll heute, dafür, daß für gestern Regen angesagt war, war es doch deutlich schöner und sonnig, daß ich besser gestern als heute gegangen wäre. Hinzu kamen schrecklich tränende Augen, weil ich zur Zeit auf irgend eine fliegende Polle hochgradig allergisch reagiere – ich mutmaße, daß es die Erlen sind, gegen die ich zur Zeit auch hyposensibilisiert werde, und damit hätte es sicher klügeres gegeben, als auf einen Friedhof mit altem und vielseitigem Baumbestand zu gehen. Trotzdem, ich hatte es mir vorgenommen, und das habe ich dann auch gemacht.

Der Friedhof ist vom Alter und Stil mit Melaten zu vergleichen, aber kleiner und mit nicht ganz so vielen überkandidelten Riesengrabmalen und Grüften. Aber noch etwas fehlt in Aachen, das es in Köln gibt, und das ist ein Toilettenhäuschen. Ich bin kreuz und quer über den Friedhof geeilt, der Tee wollte wieder raus, eigentlich kaum daß ich angekommen war, und als ich schließlich das passende Gebäude gefunden hatte, war es wegen Vandalismus geschlossen. Ich war also froh, innerhalb von zehn Minuten wieder meine Wohnung erreichen zu können. Bis dahin hatte ich nur einen Film verknipst, ein gutes Drittel des Friedhofs gesehen, und mich enttäuscht gezeigt wegen dem schlechten Zustand, in dem weite Teile des Friedhofs sind. Melaten hat Freunde und Förderer, es gibt Bildbände und Geschichtsbücher darüber, und niemand würde dort die alten Grabmale verfallen lassen. Der Aachener Ostfriedhof hat weniger Presse und dafür umso mehr gelbe Aufkleber, daß der Grabstein locker ist und dringend ausgebessert werden muß. Ich habe vermieden, mich gegen diese Steine anzulehnen, und vorsichtig um die gelben Klebis rumfotographiert. Die Bäume knospen, ein paar von ihnen beginnen zu blühen, und es war sehr schön. Jetzt bin ich gespannt, wie die Fotos geworden sind.

Aber erstmal bin ich im gestreckten Galopp nach Hause gehetzt. Und jetzt bin ich viel zu platt, um meine Inspiration auch umzusetzen. Aber ganz sicher war ich nicht das letzte Mal mit der Kamera auf dem Ostfriedhof. Nur, daß ich nächstes Mal auf den Tee vorher verzichten werde.

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