Zwölf Jahre später

Manchmal hat man ein Wiedersehen mit alten Freunden, und es ist, als wäre man nie weggewesen. Man umarmt sich und knüpft nahtlos an eine Unterhaltung an, die man 2011 geführt hat, man lacht viel und hat Spaß, und dann geht man wieder auseinander und sieht einander die nächsten acht Jahre lang nicht mehr. Und vom Schluss abgesehen, bin ich gerade genau da mit meinen »Chroniken der Elomaran«.

Seit dem ersten Juli schreibe ich wieder am fünften Buch, »Zornesbraut«. Der Einstieg verlief noch ein bisschen zäh. Ich hatte das Buch mitten in einer Szene stehenlassen, für deren Ausgang mir im Herbst 2011 der Plot fehlte, und als ich versuchte, da wiedereinzusteigen, hatte ich immer noch keinen Plot und musste überhaupt erst einmal rekonstruieren, was ich sonst noch für dieses Buch geplant hatte. Aber ich hatte einen Trumpf im Ärmel: Die Perspektive dieses Kapitel war die von Varyns Bruder Gaven, und Gaven hat wirklich den pflegeleichtesten POV der ganzen Reihe. Ich war in Null Komma Nix wieder in Gavens Erzählstimme, und dass ich sie dann zehn oder so Seiten lang nur für Landschaftsbeschreibungen genutzt habe, war eine Fingerübung, um wieder in die Geschichte reinzukommen.

Normalerweise schreibe ich nicht gern in dem Wissen, dass es für die Tonne ist, aber nach zwölf Jahren Pause, nachdem ich das Buch schon so gut wie aufgegeben hatte, streiche ich gern auch mal zwanzig Seiten weg, wenn ich dafür den Rest der Geschichte retten kann. Parallel zu den endlosen Bergen Elysirs versuchte ich, mein Plotproblem in den Griff zu bekommen. Da hat sich Varyn sinngemäß von der Inquisition verhaften lassen, begleitet Prinz Eslyn, Erbe des Engels des Lichts, in dessen Hauptstadt, wo er auf sein Engelsblut hin untersucht werden soll – und wie das aussehen sollte, wusste ich nicht, wusste ich zwölf lange Jahre nicht – und dann löste ich das Problem innerhalb einer Stunde intensiver Plotarbeit.

Meine Lösung ist dramatisch, actiongeladen, knüpft nahtlos an das an, was ich vor zwölf Jahren geschrieben habe, und nutzt doch alles, was ich in der Zwischenzeit alles dazugelernt habe. Die Szene schrieb sich quasi von selbst, und dass am Ende mein Kapitel stolze 59 Seiten lang war, bekümmerte mich nicht – ich wusste ja schon, dass ich diese exzessiven Landschaftsbeschreibungen wieder rauswerfen würde, und wahrscheinlich werde ich noch einen Schritt weitergehen und auch die Szene, mit der ich seinerzeit aufgehört hatte, komplett rauswerfen. Der zwölf Jahre alte Text ist durchaus überarbeitungsbedürftig, das streite ich gar nicht ab, aber ehe ich mich daran mache, schreibe ich das Buch erstmal zu Ende – und ich halte es für möglich, dass das noch in diesem Jahr passieren wird.

Nachdem also das monsterlange Kapitel mit Gaven und Varyn in Elysir fertig war, machte ich mich frohen Mutes ans nächste Kapitel. Dafür muss ich nur meinem Exposé folgen, mit dem ich das Buch bis zum Schluss durchgeplottet habe. So etwas tue ich normalerweise nicht, ich schreibe ins Blaue drauflos und schaue, wo ich lande. Aber weite Teile des Plots von »Zornesbraut« stehen seit einem Dutzend Jahren, ich hatte sie nur nirgendwo notiert, und den Fehler wollte ich nicht noch einmal machen. So habe ich also das Buch bis zum Ende durchgeplant, Perspektiven verteilt und für jedes Kapitel Stichpunkte gemacht, was dann passieren soll – und so werde ich auch mit den zukünftigen Elomaran-Bänden, acht Stück sollen es ja am Ende insgesamt werden, verfahren. Zwölf verschiedene Perspektiven lassen sich sonst nicht koordinieren – und manchmal muss ein bisschen Planung doch sein.

Für das nächste Kapitel, das achte, hatte ich also den Vermerk »Achtes Kapitel – Koristan (Roveen) – Um Blutvergießen zu vermeiden, flieht Aralee mit Roveen, Amra und der Krone aus Koristan nach Indiradin«. Und wusste sofort, dass ich ein Problem hatte. Von meinen zwölf Perspektiven ist Gaven der Pflegleleichteste – und umgekehrt Roveen die Sperrigste. In ihrem POV hatte ich überhaupt nur ein einziges Kapitel geschrieben, das war 2002, und ich hatte so große Probleme damit, dass ich ein ganzes Jahr daran gesessen habe und innerhalb des ganzen Jahres nur 33 Seiten geschrieben hatte. Und nun war ich, einundzwanzig Jahre später, wieder bei Roveen angekommen, und konnte nur hoffen, dass sie mir nach so einer langen Pause besser von der Hand gehen sollte.

Aber ich bin nicht nur älter und dicker geworden in diesen Jahren – Jahrzehnten, muss man ja schon sagen. Ich habe auch viel über mich gelernt. Und verstanden, dass mein Argument von damals, »Es fällt mir schwer, in einer weiblichen Perspektive zu schreiben, weil sie mir alle zu ähnlich sind«, Schwachfug ist. Seitdem ich mich nicht mehr als Frau sehe, seitdem ich weiß, dass ich das auch eigentlich schon früher nicht getan habe, kann ich an meine weiblichen Perspektiven genauso differenziert und abstrahiert rangehen wie an den männlichen, und das hat meiner Schreibe gutgetan.

Warum sollte eine junge Konkubine mir ähnlicher sein als ein dreizehnjähriger Bergarbeiter? Beide haben Aspekte von mir geerbt, und beide haben Elemente, die mir an mir selbst fremd wären. Roveen ist bisexuell, aber sie ist nicht ich. Sie ist tatsächlich sehr anders als ich. Und jetzt, mit all dem zeitlichen Abstand zum Problemjahr 2002, fiel es mir alles sehr leicht. Der Einstieg in das neue Kapitel ist noch ein bisschen zerredet geraten, das werden Kapiteleinstiege bei mir leider gerne, und danach ging es Schlag auf Schlag. Ich traf die nächste große Plotentscheidung im Handumdrehen, besiegelte das Schicksal einer Figur, die mich seit dem Jahr 2000 begleitet hatte, und brachte eine völlig neue Dynamik in die Beziehung zwischen Roveen und der Königswitwe Aralee.

Und so zieht sich das seit zwei Wochen wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Ich schreibe, ich stoße auf ein Hindernis, ich überwinde es, ich schreibe weiter. Kein Plot mehr? Dann wird eben so lange geplottet, bis ich etwas habe. Auf diese Weise habe ich das siebte Kapitel zu Ende geschrieben, das achte Kapitel innerhalb von weniger als einer Woche im Kasten – kein Vergleich zu dem Jahr, das ich 2002 gebraucht habe! – und jetzt auch das neunte Kapitel beinahe fertig. Drei Kapitel innerhalb von zwei Wochen wären immer eine Leistung, auf die ich stolz sein kann, aber nach der langen, langen Pause bin ich noch mal so stolz wie sonst. Das waren jetzt über hundert Seiten seit Beginn des Monats, und selbst zu den Hochzeiten der Chroniken habe ich nicht so schnell so viel so guten Text produzieren können.

Als ich Ende Juni meine Elomaran wiederentdeckte, war ich erstaunt, wie viel in der Geschichte passiert – gerade weil meiner »Neraval-Sage« vorgeworfen worden war, zu statisch zu sein, zu wenig Handlung zu haben, war es eine unerwartete Wiederentdeckung, dass es bei mir früher anders war, dass ich dichte, handlungsreiche Texte geschrieben habe, und dass ich kein Problem damit hatte, zahlreiche Figuren zu koordinieren. Aber selbst da dachte ich noch, dass ich es verlernt hätte. Man entwickelt sich ja nicht nur zum Positiven. In diesen Jahren, seitdem ich mit der Arbeit an den Elomaran angefangen habe, hat sich meine psychische Erkrankung drastisch verschlechtert, ist aus einer eher milden Depression eine ausgewachsene schizophrene Erkrankung geworden, und damit einher geht oft das Gefühl, in meinem eigenen Kopf eingesperrt zu sein – etwas, das ich in meinen Geschichten oft wiedergefunden habe.

Aber bei den Elomaran – nichts davon. Und jetzt, bei den drei Kapiteln, die ich in diesem Juli geschrieben habe, merke ich auch nichts davon. Sie sind dicht, handlungsreich, ergreifend, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es eben doch nicht verlernt habe, sondern einfach nur die richtige Geschichte erzählen musste. Das heißt nicht, dass ich dieses Schnittmuster jetzt auf alles anwenden werde – bloß das nicht! Ich will nicht noch einen epischen Achtbänder mit zwölf verschiedenen Perspektiven. Aber wenn ich noch mal eine Geschichte derart groß werden lasse, dann muss sie auch durch und durch groß sein. Und das sind die Elomaran: Sie haben Größe. Sie sind nicht nur aufgebläht und breitgewalzt, sie haben sich ihre epische Länge redlich erarbeitet. Und ich habe großen Spaß damit, da weiterzumachen, wo ich aufgehört habe – mit einem guten Buch.

Ich weiß nicht, ob diese Arbeit jemals Früchte tragen wird. Meine Agentin gibt die Hoffnung nicht auf, dass wir irgendwann einmal einen Verlag für die Elomaran finden. Aber egal wie gut die Reihe ist, sie ist zu lang für eine Autorin, die noch nie einen Bestseller gelandet hat. Zwischenzeitlich hatte ich ja noch geplant, die Reihe einzudampfen auf maximal fünf Bände, aber das wird nicht funktionieren. Die Geschichte ist nicht unstraffbar, aber doch so dicht, dass ich nicht mal eben drei Bände rauskürzen kann – und selbst wenn, wären auch fünf Bände mehr, als zur Zeit irgendein Verlag von deutschsprachigen Autoren einkauft. Selbst für meine als Vierbänder angelegten »Tränenjäger« wird es schon sehr, sehr schwer. Für einen Achtbänder? Unmöglich.

Aber genau aus dieser mangelnden Perspektive ziehe ich gerade Freiheit. Ich schreibe den fünften Band der Elomaran so, wie ich den ersten geschrieben habe: Für mich allein und für alle, die ihn dann lesen wollen. Für meine Mutter, für meine Agentin, für alte und neue Freunde. Dann setzte ich mich hin und schreibe den sechsten Band, und so weiter, bis die Reihe abgeschlossen ist. Was sind schon zwölf Jahre Pause vor der Unendlichkeit? Wichtig ist, es zu einem Ende zu bringen. Nicht heute. Nicht morgen. Aber gut.

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