Stipenditastisch III

Seit einem guten Monat arbeite ich mich durch die Einsendungen in der Kategorie »Debut« beim PAN-Stipendium 2023 und habe in der Zeit gut die Hälfte geschafft. Zeit für ein kleines Zwischenfazit. Ich werde weder auf einzelne Einsendungen eingehen, noch konkrete Zahlen nennen, es bleibt also allgemein gehalten. Vielleicht ist es aber doch für den/die eine:n oder andere:n, der/die hibbelnd auf die Ergebnisse wartet, interessant.

Anfangen möchte ich mit der Feststellung, dass es wirklich sehr viele Einsendungen sind. Die Debut-Kategorie hatte schon letztes Jahr die meisten Einsendungen, und dieses Jahr sind es noch mal mehr Kandidat:innen als im letzten Jahr. Vielleicht hätte ich besser, statt sofort stürmisch-begeistert zuzusagen, gefragt »Wie viele sind es denn?«, aber ich denke nicht, dass das für meine Zusage noch einen Unterschied gemacht hätte. Ich habe sehr großen Spaß an dieser Arbeit – aber Arbeit ist es trotzdem. Ich will es richtig machen, und gründlich, und das heißt, dass ich jeden Tag im Schnitt zwei Stunden über meinen Einsendungen sitze.

Wie werden die Einsendungen gelesen? Ich denke, da hat jedes Jurymitglied seine eigene Technik. Ich kann also nur sagen, wie ich das selbst angehe: Ich wähle mir durch Zufall eine Einsendung aus, indem ich im Explorer blind rauf und runter scrolle und dann irgendwo reinklicke. Tadaa! Das wird jetzt gelesen. Ich fange immer mit der Leseprobe an, und zwar, ohne auch nur in das Exposé reinzuschauen. Das einzige, was ich sonst noch sehe, ist der Titel und die grobe Genre-Einordnung, denn die steht in dem Excel-Dokument, mit dem ich meine Punkte vergebe und das ich benutze, um mir Notizen zu den Texten zu machen.

Mit zwei, drei Ausnahmen, bei denen ich die Lektüre vorzeitig abgebrochen habe, weil sie mich wirklich überhaupt nicht begeistern konnten, lese ich alle Leseproben komplett bis zum Ende. Dabei schaue ich nicht nur auf Stil und Sprache, sondern auch auf die Erzähltechnik – was wird beschrieben und was nicht, was ist ausführlich und was wird zusammengefasst, sind da die Schwerpunkte gut gesetzt? Wie stark wirkt sich die Perspektive aus? Wie werden Hintergrundinformationen vermittelt? Es ist an der Stelle den Kandidat:innen freigestellt, ob sie den Anfang des Buches als Leseprobe auswählen oder eine spätere Stelle, aber mir persönlich ist es wirklich am liebsten, wenn ich den Buchanfang vorliegen habe: Dann schaue ich, wie in die Geschichte eingeführt wird, wie die Hauptfiguren vorstellt werden, und wie das Worldbuilding ausssieht.

Die allermeisten Einsendungen machen es mir da leicht und bieten mir wirklich den Anfang des Buches an. Ich werte niemanden ab, der/die einen späteren Einstieg gewählt hat – das ist völlig regelkonform und soll niemandem zum Nachteil gereichen, aber ich gewinne einen besseren Eindruck davon, wie jemand ein Buch strukturiert, wenn die Leseprobe mit dem Anfang einsetzt. Auch aus der Mitte können spannende, gut geschriebene Stellen kommen – da fehlt mir aber oft die Möglichkeit, die Hauptfiguren kennenzulernen. Wer es also ganz gut meint und eine Szene auswählt, in der die vierzehnköpfige Heldengruppe erfolgreich zusammengefunden hat, überfordert mich beim Lesen ein bisschen, weil ich die alle nicht kenne und es erstmal nur ein Berg an Namen sind. Aber ich fuchse mich, nach aller Möglichkeit, rein. Keine Abwertung deswegen.

Am schwersten habe ich es mit Texten, bei denen sich der/die Einsender:in nicht für eine Szene entscheiden konnte und bei denen die Leseproben aus diversen Ausschnitten zahlreicher Einzelszenen besteht. So eine Collage macht es mir schwer, der Geschichte zu folgen, ich muss von einer Situation zur oftmals deutlich später spielenden nächsten hüpfen, oft nur für ein paar Seiten, und dann weiß ich gar nicht mehr, um was es geht. Mir ist es lieber, ich kann mich richtig schön in einer Geschichte festlesen – ob die Leseprobe nun 15 Seiten hat oder 25, macht zum Beurteilen tatsächlich keinen so großen Unterschied, aber eine Szenen-Sammlung, die alle drei Seiten weiterspringt, macht es schwer, richtig darin einzutauchen. Fürs nächste Mal: nehmt wirklich lieber den Buchanfang oder sucht euch eine richtig starke Szene raus, die sich ohne zu großes Vorwissen lesen lässt. Wenn ich dann noch mal in der Jury sitze (Lust darauf hätte ich allemal) werde ich es euch danken.

Jetzt kenne ich also die Leseprobe. Ich habe einen Eindruck davon, wie jemand schreibt (sprachlich) und wie jemand erzählt – aber ich weiß noch nicht unbedingt, um was es in dem Buch überhaupt geht (mit Absicht, weil ich die Leseprobe mit Spannung und ohne Spoiler lesen können will). Darum kommt danach das Exposé ins Spiel. Das lese ich natürlich auch komplett, um einen Eindruck von der Gesamthandlung zu bekommen. Ich weiß, dass sich für viele Autor:innen – und in der Kategorie Debut gilt das erst recht – schwer damit tun, ein Exposé aufzusetzen. So viel Abstand zum Buch zu gewinnen, dass die Handlung, die Hauptfiguren, die Prämisse, die Besonderheiten des Buches auf drei Normseiten untergebracht sind – das ist eine Kunst für sich.

Als ich vor zwei Jahren selbst teilgenommen habe, und damals war ich schon eine erfahrene, veröffentlichte, Autorin, habe ich lang mit dem Exposé gekämpft, bis ich es so hatte, dass ich das Gefühl hatte, es passt und enthält alles wesentliche – und ich hatte zu dem Zeitpunkt schon einiges an Erfahrung im Aufsetzen von Exposés. Hier, in der Debüt-Kategorie, habe ich es mit Leuten zu tun, die vielleicht gerade ihr allererstes Exposé überhaupt abgefasst haben. Und an der Stelle bin ich bereit, Abstriche zu machen. Mir ist wirklich wichtiger, dass jemand toll schreiben kann und gut erzählen, als das perfekte Exposé aufsetzen. Als Leser hat man es hinterher auch nur mit dem Buch zu tun, das für sich selbst stehen können muss.

Wenn mich also eine Leseprobe begeistert hat, und das Exposé war nicht das Gelbe vom Ei, dann bleibt der gute Eindruck der Leseprobe trotzdem bestehen. Ich freue mich über gutgeschriebene, gut strukturierte Exposés, weil ich damit einen Eindruck vom Großen Ganzen bekomme. Und es waren auch richtig gute Exposés dabei, auf den Punkt, bei denen ich nur nicken konnte und sagen »Genau, so wird’s gemacht!«. Manche Exposés, im anderen Extrem, waren arg wirr, versuchen, jeden einzelnen Handlungsstrang mitzunehmen, statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und ein, zwei waren dabei, da hatte ich hinterher nur um so größere Fragezeichen vor Augen und wusste weniger als vorher, um was es in dem Buch nun überhaupt geht – vor allem, wenn die Figuren aus der Leseprobe im ganzen Exposé keine Erwähnung mehr finden und ich mich fragen muss, ob ich gerade den richtigen Text gelesen habe.

Noch ein Hinweis fürs nächste Mal: Formatiert eure Exposés nicht zu Tode. Ihr müsst nicht bei jeder Erwähnung eurer Hauptfigur den Namen fett und fabrig unterlegt formatieren. Erst recht nicht mit individuellen Farben für jede Haupt- und Nebenfigur sowie weiteren Farben für alle Schauplätze – das macht die Lektüre nicht einfacher, sondern erschwert sie, weil es dann optisch sehr unruhig wird. Lieber ist mir, ihr stellt mir eure Hauptfiguren mit ein, zwei kleinen Sätzen vor. Natürlich, dann bleibt von den drei Seiten, die ihr für das Exposé habt, weniger Platz, um die Geschichte unterzubringen – aber wenn ihr das abknapsen könnt und man dafür ein besseres Gefühl für die tragenden Figuren bekommt, macht ihr es euren Juror:innen leichter, einen Eindruck vom Ganzen zu bekommen, als wenn jede einzelne Plotwendung aufgezählt wird, dabei aber die Handlungsträger zu kurz kommen.

Und wie sind sie so, meine Einsendungen? Da habe ich mit einer großen Bandbreite gerechnet und bin nicht enttäuscht worden. Das macht die Kategorie Debüt so dermaßen spannend! Manchen merkt man ihre Erfahrungen an – bestimmte Erzähltechniken, die man beim ersten Buch einfach noch nicht so drauf hat, aber beim fünften, sechsten Buch den Kniff raus hat. Andere sind vielleicht wirklich das allererste Buch, das jemand geschrieben hat, haben aber instinktiv alles richtig gemacht und bringen ein super Sprachgefühl mit. Und, zugegeben, ein paar sind auch dabei, da habe ich beim Lesen schon das Gefühl, dass es für die noch ein bisschen früh ist. Auch inhaltlich ist alles dabei – von der ganz-ganz-ganz klassischen High Fantasy bis hin zu hochgradig experimentellen Science Fiction-Werken, und hier wie dort sind echt tolle Sachen dabei.

Diese Vielseitigkeit macht mir großen Spaß. Ich schnuppere hier in Genres innerhalb der Phantastik rein, die ich privat sonst eher nicht gelesen hätte, und musste mich schon von dem einen oder anderen Vorurteil verabschieden, weil Texte dann viel besser lesbar waren, als ich vom Genre her erwartet hätte. Bei meiner Bewertung mache ich keinen Unterschied, ob ich jetzt ein Genre privat auch lese oder (bislang) nicht – da kann der/die Kandidat:in nichts für meinen persönlichen Geschmack und soll den nicht ausbaden müssen. Und mich haben hier Bücher begeistert, von denen ich das nie erwartet hätte. Ich bin offen für alles und werde dafür belohnt. Es ist toll zu sehen, was für eine Bandbreite an Geschichten zusammenkommen, wie vielseitig die Phantastik ist, und was alles erzählt werden kann.

Ich bin kein Agent, kein Verlagslektor. Ich bewerte die Einsendungen nicht danach, wie gut sich, meiner Schätzung nach, das fertige Buch einmal verkaufen wird. Ich suche nicht den nächsten Bestseller. Ich suche das, aus meiner Warte, beste Buch. Das kann ein supertoller Nischentitel ebenso sein wie ein echt gut geschriebenes eher mainstreamiges Buch – ich will mitgerissen werden, ich will interessante, plausible Figuren treffen, ich will phantastisch unterhalten werden. Und auch wenn mich nicht jede Leseprobe überzeugen kann, auch wenn es bei mir unterm Strich mehr Daumen runter als Daumen rauf gibt: Es begeistert mich zu sehen, wie der literarische Nachwuchs die deutschsprachige Fantasy-Szene am Leben hält, auch für die Zukunft.

Ich mache mir bei der Lektüre der Leseproben sehr strenge Notizen. Auch bei Büchern, die mir eigentlich sehr gut gefallen, halte ich alle Kritikpunkte fest – wenn wir später in der Juryrunde anfangen, um unsere Favoriten zu schachern, will ich meine Argumente an der Hand haben, das Für und das Wider, auch um dann nachvollziehen zu können, was die anderen dazu zu sagen haben. Auch darauf bin ich schon sehr gespannt. Im Moment lesen wir alle noch im stillen Kämmerlein vor uns hin, und da es in unserer Kategorie wirklich sehr viele Einsendungen sind, bin ich froh, dass ich dafür noch ein paar Wochen zur Verfügung habe.

Ich berücksichtige immer, dass die Bücher noch nicht lektoriert sind, aber manchmal muss ich Abstriche machen, weil sich Sachen lesen, als wäre die Leseprobe überhaupt nicht überarbeitet worden. Das ist euer Aushängeschild, seht zu, dass es ein bisschen poliert wird, eh es rausgeht! Ich verzeihe den ein oder anderen Tippfehler, ich verzeihe falsche Wörter (ich weiß, wie leicht man die übersieht), aber wenn die Rechtschreib-, Zeichensetzungs- oder Zeitfehler überwiegen, mache ich mir eine Notiz dazu. Und gerade in Sachen Zeichensetzung, aber auch bei grammatikalischen Fragen (Wie bildet man einen Konjunktiv im Präteritum?) sehe ich zum Teil noch großes Ausbaupotenzial.

Was ich hingegen nicht abwerte: Wenn nicht jede Seite brav auf genau 30 Zeilen kommt. Ich weiß, wie tricky Word ist, wenn es versucht, Schusterjungen und Hurenkinder zu vermeiden, und wie schwer man »Absatz zusammenhalten« und Co. wieder wegbekommt, wenn man nicht weiß, wo das geht. Solange der Text ansonsten den Normseiten folgt, bin ich zufrieden. Und da PAN ja netterweise eine Dokumentvorlage zur Verfügung gestellt hat, ist alles schön einheitlich in der gut lesbaren Courier New – niemand, der sein Manuskript in Comic Sans oder einer Schnörkelschrift formatiert hat. Ich finde Normseiten, wenn ich am Rechner lese, wirklich am angenehmsten.

Nach der Hälfte der Einsendungen habe ich schon ein paar Favoriten, denen ich das Stipendium wirklich gönnen würde – bei denen ich am Ende der Leseprobe enttäuscht war, dass ich nicht weiterlesen konnte, so gut haben die mir gefallen, und deren Exposés mich darin bestätigt haben, dass auch der Rest der Geschichte vielversprechend klingt. Am Ende auf genau einen Siegertitel kommen – das wird schwer. Da bin ich wirklich froh, dass ich die Entscheidung nicht alleine zu treffen habe. Und hoffe inständig, dass meine Favoriten auch den anderen gut gefallen haben und dass ich umgekehrt die Titel, welche die anderen Juror:innen hoch bewertet haben, auch selbst mag.

Und nun: Auf die zweite Hälfte der Einsendungen! Mögen so viele tolle Sachen dabei sein, dass die Entscheidung am Ende richtig, richtig schwer wird. Ich kann jetzt schon sagen, dass gute Bücher leer ausgehen werden – eben weil es zu viele wirklich gute Einsendungen gibt. In dem Fall: Nehmt es nicht persönlich. Grämt euch nicht zu sehr. Schreibt das nächste Buch. Und versucht es im kommenden Jahr noch einmal.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert