Quo Vadis, Opus Magnum?

Vor über dreiundzwanzig Jahren, im Februar 2000, hatte ich die Idee für eine neue Geschichte – nein, nicht irgendeine neue Geschichte. Ein Großwerk. Mein Opus Magnum. Das klingt jetzt erst mal größer, als es in dem Moment wirklich war – schließlich hatte ich bereits das Buch, an dem ich damals eigentlich arbeitete, als  »Opus Magnum« bezeichnet. Das war die »Spinnwebstadt«, ich hing im vierten von vier Teilen, kam nicht voran, und immer, wenn es bei mir irgendwo klemmt, macht sich mein Hirn auf die Wanderung und sucht nach neuen Ideen. »Die Spinnwebstadt« sollte dann nach zähem Ringen drei Jahre später fertig werden, immerhin um die tausend Normseiten sind es am Ende geworden, und ich konnte stolz darauf sein – aber das ist nichts im Vergleich zu dieser neuen Idee. Tausend Seiten? Darüber können die »Chroniken der Elomaran« nur lachen. Und sieben Jahre, die ich an der »Spinnwebstadt« gearbeitet habe? Darüber erst recht. Dreiundzwanzig Jahre, Baby! Und noch kein Ende abzusehen …

Dabei war die Ausgangsidee erst einmal nicht übermäßig groß. Wenn ein König seine Krone verliert, und ein anderer findet die zufällig morgens in seinem Vorgarten und nimmt sie an sich – wer ist dann der rechtmäßige König? Das war alles, eine Idee, angelehnt an ein Referat über die Insignien des Heiligen Römischen Reichs, das ich ein paar Jahre davor während meines Studiums gehalten hatte. Dazu kam ein Traum: Ich, ganz allein, in einer leeren Bibliothek. Auch das kam nicht aus dem Nirgendwo: Während meiner Zeit als Schülerhilfskraft hatte ich mitgeholfen, die Stadtbücherei, in der ich jobbte, in einen Neubau umzuziehen, und hatte noch gut vor Augen, wie sich die Regale immer mehr gelehrt hatten. Eine verschwundene Krone und eine leere Bibliothek – ich hatte schon Geschichten aus weniger gesponnen. Aber nicht unbedingt so große.

 Mit neuen Ideen geht es üblicherweise schnell mit mir – das, oder ich lasse sie ebenso schnell wieder fallen – und so war es nur eine Frage von wenigen Tagen, bis ich, in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause, auf Höhe Barbarossaplatz, meinen Schreibblock zückte und anfing, die ersten Seiten des neuen Buches zu schreiben. Zu dem Zeitpunkt waren schon die Engel aufgetreten, und Halan und Alexander, von denen ich noch nichts wusste, als dass Alexander der jüngere der beiden ist, aber vom Verwandschaftsgrad her Halans Onkel und damit der rechtmäßige Erbe. Die erste Szene basierte ich noch auf diesem Traum. Der Rest machte sich selbständig. Und schnell entwickelte die Geschichte eine Eigendynamik.

Ich wohnte in einer WG, die wir gern als Künstlerkommune bezeichneten – natürlich hatten wir alle ganz mundäne Brotjobs, wie ich als Buchhandels-Azubi, aber wir waren alle künstlerisch aktiv: Ich mit meiner Schreiberei, während meine Mitbewohnerinnen talentierte Zeichnerinnen waren. Die beiden waren außerdem dunkelgotisch angehaucht, und ihnen ist zu verdanken, dass die neue Geschichte mehr als nur leichte Gothic-Vibes entwickelte. Abends erzählte ich, was sich für neue Plotwendungen ergeben hatten, manchmal habe ich auch in der Küche aus dem Buch vorgelesen, und als ich das Gefühl bekam, ich brauche noch viel mehr Feedback für diese tolle Geschichte, baute ich ihr eine eigene Webseite und stellte sie online.

Und ich war wirklich, wirklich, wirklich stolz auf dieses Buch. Endlich war es mir gelungen, etwas zu schreiben, das sprachlich genau so wurde, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dem vorausgegangen war anderthalb Jahre zuvor ein großer Frustmoment: Ich hatte Dostojewskis »Schuld und Sühne« gelesen, und es hatte mich absolut zerschmettert, erkennen zu müssen, dass ich niemals so etwas Brillantes zu Papier bringen würde – und als Ergebnis hatte ich dann über ein Jahr lang praktisch gar nichts mehr geschrieben. Nun also gab es mit »Engelsschatten« einen Neuanfang – und es war, als wäre in meinem Verstand eine Tür aufgestoßen worden, und ich konnte endlich so schreiben, dass ic selbst damit zufrieden war. Jeder Satz saß. Die Figuren, anstrengend, zerbrechlich, zornig, mussten keine Sympathieträger sein, aber das gleiche galt für den immer noch schwer bewunderten Raskolnikow. Ich wusste, ich war immer noch kein Dostojewski – aber ich war endlich ich.

Und das Buch sollte das werden, was ich immer schon mal schreiben wollte: Eine Sammelqueste. Ja, ich weiß, jetzt klinge ich wie eine kaputte Schallplatte. Ich wollte schon immer eine richtige Sammelqueste schreiben. Und nachdem ich da bei meiner »Flöte aus Eis« falsch abgebogen war, wollte ich es bei den »Elomaran« richtig machen. Statt vier magischer Musikinstrumente sollten diesmal die Gaben der Engel, acht an der Zahl, eingesammelt werden – angefangen mit der Krone, aber angelehnt an die Reichsinsignien kamen dann noch Schwert, Szepter, Horn und diverse andere Kleinodien dazu – bis ich, größenwahnsinnig, beschloss, dass es in Wirklichkeit nicht acht Engel sind, sondern sechzehn, und dementsprechend auch doppelt so viele Artefakte. Und spätestens da war dann klar, die Reihe wird episch.

Nichts gegen epische Fantasy. Ich hatte mit großem Vergnügen Robert Jordans »Wheel of Time« gelesen – zumindest die ersten sieben Bände. Auf den achten Band musste man nämlich so viele Jahre warten, dass ich in der Zwischenzeit das Interesse an der Reihe verlor. Und auch George R.R. Martins »Game of Thrones« hatte ich angefangen zu lesen – und dann abgebrochen, bevor ich mich zu sehr drin verlieren konnte, und beschlossen, die Reihe erst dann zu lesen, in einem Rutsch, wenn sie auch komplett vorlag. Beide Reihen können durchaus als mahnende Beispiele herhalten: Denn Jordan starb, ohne die Reihe jemals abgeschlossen zu haben, sie wurde dann von Brandon Sanderson fertiggestellt. Und was Martins »Song of Ice an Fire« angeht – da ist es ja inzwischen schon ein Running Gag, dass »Winds of Winter« niemals fertig wird.

Aber so wollte ich nicht enden. Ich schrieb, und schrieb, und schrieb, ganz und gar fleißig, ganz und gar verliebt. Der erste Band, »Engelsschatten«, wurde nach kaum mehr als einem halben Jahr fertig, und noch nie hatte ich ein ganzes Buch derart schnell runtergeschrieben. Das zweite Buch, »Schwanenkind«, hatte dann einen kleinen Durchhänger, so dass ich insgesamt bis 2004 dran schrieb, aber ich blieb am Ball, gab nicht auf, und schrieb weiter – immer per Hand, immer in den Collegeblöcken, die mein Ausbildungsladen als Werbegeschenke bereithielt, dann in den PC übertragen. Parallel zu Alexanders Geschichte begann ich, an Varyns Seite zu arbeiten, und so entstand von 2001 bis 2008 schon der dritte Band, »Dämmervogel«.

Jedes Mal, wenn ich ein neues Kapitel abgetippt hatte, lud ich es auf meine Webseite hoch – auf der dann auch Hintergrundmaterialien zu Buch und Welt veröffentlicht wurden, ein eigenes Blog zum Making Off, und in deren Webdesign noch mal so viel Arbeit floss wie in die eigentliche Schreiberei. Ich muss mir nicht vorwerfen, ich wäre, was die Elomaran angeht, faul gewesen. Sternchen. Dazu später mehr. Ich erhoffte mir über die Webseite tolles Leserfeedback, und manchmal bekam ich das auch, aber meistens dümpelte die Seite nur vor sich hin, und die wenigsten stolperten darüber, dass es da einen epischen Fantasyroman, drei Bände komplett, kostenlos zu lesen gab. Weswegen ich dann auch noch die ersten beiden Bücher im Selbstverlag herausgab, über einen Print-on-Demand-Anbieter, zu bestellen über die Webseite. Und ich verkaufte tatsächlich zwei Dutzend, oder so, Bücher. Immerhin. Seitdem weiß ich aber auch, dass ich zum Selbstverleger nicht wirklich tauge. Zwei Dutzend Bücher sind nicht viel, gemessen an der Arbeit, die ich da reingesteckt hatte. Auf eine Veröffentlichung des dritten Bandes verzichtete ich deswegen.

Stattdessen passierte etwas anderes. Etwas Wunderbares. Micha und Klaus Gröner von der damals noch ganz neuen Literaturagentur erzähl:perspektive stießen auf die Webseite, lasen sich fest, und fragten an, ob ich an einer Vertretung interessiert wäre. Und so kam ich an meine Agentur, und deswegen hat sich die ganze Arbeit, die ich in die Webseite gesteckt habe, doch gelohnt. Obwohl ich die »Elomaran« eigentlich noch gar nicht bei Verlagen hatte anbieten wollen – das sollte erst passieren, wenn ich auch den letzten Band fertig hatte, damit ich alles noch mal en block überarbeiten konnte – machten sich die Elomaran ab Anfang 2009 also auf Verlagssuche. Und das schien genau der richtige Moment zu sein. Hatten in den Jahren davor noch Vampire den Fantasy-Buchmarkt bestimmt, kündigte sich der nächste große Trend an: Engel. Und ich, die ich Engel mit High Fantasy kombiniert hatte, hatte damit nicht nur ein großartiges Werk an der Hand, sondern innerhalb der ansonsten von Urban Fantasy-Engeln dominierten Szene, ein Alleinstellungsmerkmal.

Es wurde nichts draus. Zum einen konnten sich die Engel als Buchtrend dann doch nicht wirklich langfristig durchsetzen. Zum anderen stießen die »Elomaran« zwar auf durchaus großes Erstinteresse – aber dabei blieb es dann. Die Reihe war zu umfangreich mit geplanten acht Bänden, namentlich für eine unveröffentlichte Debütautorin. Die Figuren waren in ihrer Kaputtheit zu extrem. Und in mancher Hinsicht war die Reihe einfach ihrer Zeit voraus: Es gab keinen Platz für queere Figuren im Publikumsverlag. Von eimem Lektor kam allen Ernstes der Kommentar, es ginge doch nicht, dass beide Hauptfiguren schwul sind, sie wären einander dann doch zu ähnlich, und natürlich habe man nichts gegen Schwule, aber … Wir versuchten es zwei Jahre lang bei einer Vielzahl großer und später auch kleinerer Verlage, aber am Ende hat keiner davon angebissen, und wir schwenkten um und versuchten es mit etwas nicht ganz so episch-umfangreichen.

Ich schrieb derweil fleißig weiter, ließ auf »Dämmervogel« den vierten Band, »Falkenwinter« folgen, der als erster Teil der Reihe nicht mehr handschriftlich, sondern direkt am Computer entstand und 2010 fertig wurde, ich machte mich an die Arbeit des fünften Buches, »Zornesbraut«, wo erstmals die parallelen Handlungsstränge zusammenlaufen sollten – und dann passierte etwas, das ich so nicht hatte kommen sehen. Ich hörte auf, an der Geschichte zu schreiben. Mitten im siebten Kapitel von »Zornesbraut« hörte ich mit der Arbeit auf – und rührte das Buch nicht mehr an. Auf Jahre nicht. Viereinhalb Bände. Über 500.000 Wörter. Mein Opus Magnum. Und ich ließ es Rost ansetzen. Zwölf lange rostige Jahre lang.

Manchmal kam die Sprache auf die »Elomaran«. Meine liebe Agentin hat die Reihe nicht vergessen, gibt die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages doch noch die Stunde meiner Engel schlagen wird. Aber die letzten Jahre über musste ich sie immer enttäuschen. Diese Herzensgeschichte – plötzlich war sie mir so fern wie nur was. Ich schrieb andere Dinge, meine »Neraval-Sage«, abgeschlossen und veröffentlicht in drei Bänden. Drei Bände, das klingt nicht nach viel, aber wenn ein Fantasy-Mehrteiler kein großer Erfolg ist, sondern eher ein großer Misserfolg, dann sind drei Bände, von denen sich der zweite nicht so gut und der dritte richtig schlecht verkauft hat, viel. Die »Elomaran« können über drei Bände nur Lachen.

Ich habe die Idee durchgespielt, die Geschichte auf eine Trilogie runterzubrechen, damit sie leichter verkäuflich wird: Es geht nicht. Dies ist mein Großwerk. Der fünfte Band, der in Arbeit ist, ist nicht der letzte Teil. So viel soll noch passieren. Ich weiß nicht, wie lang die Geschichte wirklich werden soll, aber ich rechne mit insgesamt acht Teilen. Acht, das ist die Zahl der Engel, das würde gut passen. Damit wäre ich immer noch kürzer als das »Rad der Zeit«. Und länger als alles, was auf dem deutschsprachigen Fantasy-Buchmarkt in den letzten Jahren veröffentlicht worden ist. ein größenwahnsinniges Unterfangen. Und weil mir das alles nicht mehr, realistisch betrachtet, umsetztbar erschien, ließ ich die Arbeit ruhen und blickte nicht zurück.

Natürlich, die »Elomaran« hatten immer noch einen Platz in meinem Herzen. Immerhin war ich einmal sehr stolz auf sie gewesen. Und sie hatten mich zu meiner Agentur gebracht. Aber zwölf Jahre lang schaute ich mir die Geschichte nicht mehr an, las nicht mehr rein, geschweige denn durch, und in meiner Vorstellung wurde die Reihe immer mehr zu etwas von früher, das meinem aktuellen Können nicht mehr entsprach. »Engelsschatten«, im Jahr 2000 entstanden, hat einige Holterdipolter-Wendungen, die ich so nicht mehr schreiben würde, und »Schwanenkind« steht dem nicht in viel nach. In »Dämmervogel« habe ich Bergbautechniken völlig falsch dargestellt, statt mich einmal hinzusetzen und zu recherchieren, wie es wirklich geht. Und, und, und – ich erinnerte mich nur noch an das, was an den Büchern nicht so gut gelungen war. Jetzt kann ich es besser. Jetzt schreibe ich andere Sachen. Aus den »Elomaran« bin ich rausgewachsen. Schade um das Opus Magnum. Ich hätte es fertigschreiben sollen, als ich noch konnte …

Und dann passierte etwas. Meine Mutter, die eine große Freundin meiner Geschichten ist, aber auch eine strenge Kritikerin, fing an, noch mal meine »Elomaran« zu lesen – die vier Bände, die fertig vorliegen. Sie fing also mit »Engelsschatten« an, und es war mir ein bisschen peinlich, dass sie sich noch mal dieses alte Machwerk vorgenommen hat, aber das schreckte sie nicht, sie las auch »Schwanenkind«, machte weiter mit »Dämmervogel«, und am Telefon erzählte sie mir, wie gut ihr diese alte Geschichte doch immer noch gefällt. Und ich, weil ich mich gerade durch die Leseproben meiner Debütant:innen beim PAN-Stipendium arbeite und dabei oft an meine eigene Entwicklung erinnert werde, nahm mir, aus Neugier und weil ich mich fragte, welche Chancen ich mir wohl selbst als Debütantin eingeräumt hätte, noch mal meine Engels-Chroniken vor. Und ich war, das kann ich nicht anders sagen, geflasht.

Die Schwächen an »Engelsschatten« und »Schwanekind« kann ich nicht wegdiskutieren, die beiden Bücher sind in höchstem Maße überarbeitungsbedürftig. Aber sie haben trotzdem ihre starkebn Momente, und ich empfinde sie immer noch als wirklich schön geschrieben. Dann aber! Mit Beginn des parallelen Handlungsbogen, mit »Dämmervogel« und »Falkenwinter«, wird es richtig stark. Mal abgesehen von den Schnitzern, wo es um den Bergbau geht: Das gehört zu dem Besten, was ich je geschrieben habe. Vieles erschien mir sogar besser als in späteren Büchern von mir: Tu ich mich doch sonst schwer, mehr als nur drei, vier Hauptfiguren agieren zu lassen, Action und Bewegung in die Handlung zu bringen: Diese beiden Bücher sind so actiongeladen und dramatisch, wie ich später oft gern gewesen wäre. Und das Jonglieren mit einer Vielzahl von Figuren ist mir ebenfalls so gut gelungen, dass ich mich jetzt frage, wann ich das eigentlich verloren habe.

Die Geschichte ist extrem, und ich denke nicht, dass sie für jeden was ist. Bei meinen Fälschern kam, vor allem beim »Gefälschten Siegel«, oft die Kritik, die Hauptfiguren wären zu unsympathisch: Wirklich, das ist kein Vergleich, wenn es um die Haupt- und Nebenfiguren bei den »Elomaran« geht. Sie waren auch nie darauf angelegt, sympathisch zu sein – interessant sollten sie sein, spannend, psychologisch plausibel. So habe ich eine Reihe menschlicher Wracks, die zu Gewaltausbrüchen neigen. Alexander ist ein Missbrauchsopfer mit unkontrollierbaren Wutausbrüchen. Varyn zeigt so deutlich Zeichen einer unbehandelten Psychose, dass ich mich frage, wie ich das schreiben konnte, Jahre, bevor ich selbst mit genau diesem Krankheitsbild diagnostifiziert wurde. Dannen schlägt seine Frau und verspielt damit wohl alles, was er jemals an Sympathiepunkten gesammelt haben mochte.

Und die Frauenfeindlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Ansichten mehrerer Hauptfiguren und auch durch den Weltenbau. Das ist kein empowerndes, queer-positves Setting. Die Welt ist lebendig und gut ausgefeilt, vor allem für meine Verhältnisse, aber sie ist echt der letzte Ort, an dem ich leben wollen würde. Frauen sind flächendeckend rechtlos. Kriege werden mit fingierten Begründungen vom Zaun gebrochen. Die Herrscherhäuser kann man in der Pfeife rauchen, allesamt, keiner dieser engelsgeborenen Landesherren taugt etwas, und das Volk leidet drunter. Wirklich, es ist keine schöne Welt. Das sind phantastische Settings oft nicht. Aber selbst im Vergleich kommt mir diese unerträglich vor. Und mittendrin die Töchter des Engels des Schicksals, die beschließen, die Welt nach einer Vorstellung – und nicht unbedingt zum Besseren – umzustricken.

Werden Leser:innen so eine Geschichte lesen wollen? Wo keiner meiner Protagonisten wirklich Herzen gewinnt und man sie um so öfter ungespitzt in den Boden rammen möchte? Ich denke, ja. Denn spannend ist es allemal. Ich habe diese Bücher verschlungen. Ich habe mitgefiebert, selbst mit Figuren, die ich in dem Moment noch nicht mal selbst, als ihre Erschafferin, ausstehen konnte, ich wollte wissen, wie es weitergeht, und habe mich lang nicht mehr so tief in einer eigenen Geschichte festgelesen. Da spielt natürlich auch mit rein, wie lang ich an dem Werk nicht mehr gearbeitet habe, und wie lang es zurückliegt, dass ich auch nur reingeschaut habe – vieles war völlig neu für mich, hatte ich in der Zwischenzeit vergessen, und ich konnte mitfiebern, als läse ich es zum ersten Mal. Un so bekam ich große Lust, nach all den Jahren doch wieder an den »Elomaran« zu arbeiten. Verdient hat die Reihe das allemal.

Ein Motivationscover für »Zornesbraut«

Und ich habe gerade Übung darin, mir meine alten Stoffe noch mal vorzunehmen. Eben erst habe ich aus zwei Textfassungen von »Lichtland«, einer von 2007-2011 und einer von 2015, einen zusammenhängenden Text gemacht und so ziemlich alles noch mal neu geschrieben. Aber »Lichtland« ist auch nicht so gut wie die »Elomaran«, kann ich sagen, nachdem ich gerade alles noch mal gelesen habe. Die alten Teile von »Lichtland« lasen sich so, wie ich es erwartet hatte von einem sechzehn Jahre alten Text. Das vergleichbar alte »Dämmervogel« hingegen und vor allem sein Folgeband »Falkenwinter« sind hingegen so gut, dass ich gar kein Bedürfnis habe, alles neu aufzuziehen. Ich will da weitermachen, wo ich  aufgehört habe, mit der zweiten Hälfte von »Zornesbraut«. Das Buch hat geduldig auf mich gewartet und schaut mich an, als wäre ich nie weggewesen.

Aber ich war weg. Zu lange. Und ebenso, wie ich vieles von dem, was ich in diesen Büchern geschrieben habe, über die Jahre wieder vergessen habe, weiß ich auch nicht mehr alles, was ich für die ungeschriebenen Teile der Reihe geplant habe. Und da komme ich jetzt an einer Stelle an, wo ich mit der Maja von 2010 sehr, sehr böse bin. Die hat sich nämlich keine Notizen gemacht. Mein Opus Magnum existiert nur in Form von viereinhalb Büchern. Pläne, Notizen, Hintergrundmaterialien? Fehlanzeige. Der Ordner »Notizen« enthält genau eine Datei, in der ich mir für »Falkenwinter« militärische Strategien für den Krieg zwischen Doubladir und Loringaril  – mein Mann hat mir damit sehr geholfen – notiert habe. Und sonst nichts. Im Ordner »Hintergrund« befinden sich drei Dateien: Eine Liste der Elomaran mit ihren Gaben, eine Liste der Länder samt Hauptstädten, und eine großspurig mit »Elomond« beschriftete Datei, die aber mitnichten alles enthält, was ich mir zu dieser selbst entwickelten Sprache ausgedacht habe, sondern nur die Beugeformen der Pronomen »ich« und »du«.

Über die elf Jahre, die ich aktiv an den »Chroniken der Elomaran« geschrieben habe, habe ich sehr viel Arbeit in die Entwicklung gesteckt – der Sprache, der Welt, des Plots. Ich habe nur, nach dem Motto »Hab ich ja alles im Kopf!« nichts davon aufgeschrieben. Das Schreiben der eigentlichen Texte erschien mir schon als Arbeit genug, dafür wollte ich mir meine Kräfte aufsparen – und so ist das, was ich dann schriftlich festgehalten habe, nicht für mich selbst niedergeschrieben worden, sondern als Begleitmaterial für die Besucher:innen meiner Webseite. Und da ist, muss ich zugeben, die Rubrik Weltenbau und Hintergrund immer noch sehr dürftig geraten. Aber es gibt mir zumindest ein bisschen an die Hand, um meine Geschichte zu rekonstruieren. Als Goldgrube für die Plotforensik hat sich dann ein langes Exposé, das ich damals für meine Agentur niedergeschrieben habe und das auch enthält, wie der fünfte Band ausgehen sollte und was, ganz grob, sonst noch geplant war.

Aber ich stehe da mit einem halben Buch, das mit einem halben Kapitel endet, mitten in der Szene, und wo ich vor zwölf Jahren noch nicht wusste, wie es mit Varyn und der Inquisition weitergehen soll, weiß ich das jetzt erst recht nicht. Aber es juckt mich unter den Fingern. Ich will diese Geschichte weiterschreiben. Ich will »Zornesbraut« zu einem Ende bringen und mich dann an den sechsten Band machen, für den ich den Arbeitstitel »Himmelsgrund«, aber sonst noch nicht viel, geplant habe. Meine Figuren sind mir wieder so nah, wie sie es mir damals waren. Mit zwei Tagen Zeit zum Überlegen sind mir eine ganze Reihe Wendungen, die ich eigentlich vergessen hatte, wieder eingefallen. Ich habe es nicht eilig. Aber im Februar 2025 wird diese Geschichte 25 Jahre alt. Und es wäre schön, wenn ich bis dahin ein, zwei weitere fertige Bände vorweisen kann.

Zwölf Jahre hatten die »Chroniken der Elomaran« jetzt Zeit zum Reifen. Zwölf Jahre, in denen ich mich weiterentwickelt habe, viel dazugelernt: Hätte ich diese Zeit nicht mit Schreiben verbracht, könnte ich mich jetzt ob der verlorenen Jahre grämen. So habe ich nur einen langen, langen Anlauf genommen. Und ich gedenke ihn zu nutzen, um einmal mit Schwung über den Abgrund zu springen. Ich habe mein Opus Magnum zurück. Und ich habe nicht vor, es noch mal wieder herzugeben.

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