Eine gewichtige Angelegenheit

Ich schreibe keine Kurzgeschichten. Meine letzte habe ich irgendwann in der Mittelstufe geschrieben, seitdem sind aus allen meinen Ideen Romane geworden (oder gescheiterte Romane, was das betrifft), oder, wenn es mir wirklich mal gelingt, mich kurzzufassen, eine Ballade. Kurze Geschichten liegen mir einfach nicht, ich habe noch nie eine veröffentlicht und habe das eigentlich auch nicht vor. Nichts gegen Kurzgeschichten – aber meine Talente liegen anderswo.

Trotzdem bin ich letztes Jahr eingeladen worden, einen Beitrag für eine Kurzgeschichtenanthologie zu verfassen. Elea Brandt und Aşkın-Hayat Doğan sind die Herausgeber von »Urban Fantasy going Fat«, und das erklärte Ziel dieser Anthologie ist es, in Sachen Diversität einmal fette Figuren in den Mittelpunkt zu stellen und dafür, wie bei den anderen Bänden der »Urban Fantasy going …«-Reihe, Own Voice-Autor:innen zu Wort kommen zu lassen – hier also Menschen, die wissen, wie es sich mit lebt mit deutlichen Übergewicht, wie die Herausforderungen durch die Gesellschaft sind, und die nicht in Fettfetisch- und andere Klischeefallen reingeraten. »Laut! Bunt! Empowering!« lautet der Slogan des Buches, das im April gerade im Verlag ohneohren erscheinen wird. Ich bin darin nicht vertreten. Und der Grund, warum nicht, hat nur sekundär etwas damit zu tun, dass ich keine Kurzgeschichten schreibe.

Ich bin fett. Das sieht man mir an. Als ich meine Autorenfotos gemacht habe, lag ich bei 95 Kilo auf 1,65 Meter; als ich letztes Jahr im Februar die Einladung zu der Anthologie bekam, wog ich um die 100 Kilo und war damit sicherlich qualifiziert, an dieser Anthologie beteiligt zu sein. aber mein Gewicht ist etwas, über das ich nicht gerne spreche. Anders als meine schizophrene Erkrankung, mit der ich sehr offen umgehe und bei der ich aktiv darum kämpfe, Stigmata und Vorurteile abzubauen, ist mein Gewicht ein wunder Punkt, auf den ich nicht gern angesprochen werde, und ich bin nicht glücklich damit. Ich hätte gern ein positiveres Verhältnis zu meinen Körper. Aber ich sehe mich außerstande, Posterchild der Body Positivity-Bewegung zu sein oder andere zu empowern.

Zwar habe ich das Thema schon mal in meinem Blog angesprochen – aber zuletzt 2011. Da war ich erst seit zwei Jahren im übergewichtigen Bereich, da dachte ich noch, ich kriege die Kilos schnell wieder runter. Ich war mein Leben lang schlank. Mein Kampfgewicht, als ich noch Judo gemacht habe, lag bei 55 Kilo. Dann, Anfang 2009, bekam ich eine Psychose, wurde auf Quetiapin umgestellt, und ging buchstäblich auf wie ein Hefekloß. Innerhalb eines Vierteljahres nahm ich dreißig Kilo zu, und so fühlte ich mich auch – kraftlos, aufgedunsen, nicht mehr wie ich selbst.

Als Trans Mensch habe ich das Glück, nicht unter Body Dysphoria zu leiden – aber wo es um mein Gewicht geht, tue ich das. Auch zehn Jahre, nachdem ich zugenommen habe, und viele vergebliche Versuche später, das Gewicht wieder zu reduzieren, habe ich nicht das Gefühl, dass dieser Körper zu mir gehört. In meinem Selbstverständnis gehöre ich schlank. Ich bin es nicht, ich werde es wahrscheinlich nie – aber ich bin keine body-positive Empowerungsmaschine. Ich bin ein fettes, unglückliches Wrack. Und ich mag es nicht sein.

Elea und Aşkın sind zwei Menschen, auf die ich echt riesengroße Stücke halte, und die Idee für die Anthologie fand ich auch super – aber gerade weil ich sonst niemals Kurzgeschichten schreibe, wusste ich, der einzige Grund, warum ich diese Mail bekam, war, weil ich fett bin. Und das war in dem Moment auch alles, was in meinem Hirn ankam: Du bist fett. Du sprichst nicht darüber, aber he, man kann es sehen. Du bist so fett, dass wir dich gern in diesem Buchprojekt dabei hätten  … Nein, das stand da so nicht. Das stand da noch nicht mal so ähnlich. Die Mail war freundlich, professionell, überhaupt nicht beleidigend, und natürlich wollten sie mich nicht nur wegen meines Gewichts haben, fett allein reicht auch nicht, sondern weil sie mich außerdem als Schriftsteller schätzen. Und doch war ich wie vor den Kopf geschlagen, am Boden zerstört. Da war sie, die Body Dysphoria, mit aller Gewalt. Und es tat weh.

Ich schrieb ihnen zurück, ebenfalls ganz freundlich, lehnte die Teilnahme ab – und erklärte Elea auch, dass diese mail mich wirklich auf dem falschen Fuß erwischt hatte und warum, und dass ich über dieses Erlebnis, bei dem ich mich über mich und meine Reaktion in ihrer Heftigkeit sehr erschrocken hatte, gerne bloggen würde. Sie bat mich darum, dass ich das erst tue, wenn das Buch auch offiziell angekündigt ist – inzwischen ist es sogar erschienen, und ich denke, damit kann ich mich jetzt auch diesem Thema noch einmal stellen. Ich hatte über ein Jahr Zeit, die Mail zu verarbeiten, und unterm Strich hat sie mir sogar geholfen, mir über verschiedene Sachen klarer zu werden.

Ich wäre wirklich gerne mit mir und meinem Körper im Reinen. Ich sehe andere Dicke, die ihre Körper und ihre Kurven lieben, und ich sehe ihre Schönheit, ihre Ausstrahlung, finde sie attraktiv – und lehne gleichzeitig meinen eigenen Körper, der bei Licht betrachtet nicht mal fetter oder hässlicher ist, selbst ab. Ich weiß, dass das nicht zusammenpasst. Aber meinen Körper nehme ich ja nicht nur optisch war. Ehrlich, den größten Teil des Tages über sehe ich mich nicht. Ich fühle mich nur. Ich fühle, dass mir die Kraft fehlt, dass ich gleich außer Atem bin, ich habe Schmerzen in Hüfte und Knien, meine Knochen haben unter meinem Gewicht zu leiden, meine Blutwerte lassen zu wünschen übrig – ich bin ungesund, und mein Gewicht hat einen großen Anteil daran.

Letztes Jahr im April, bei meiner zweijährlichen Blutuntersuchung, war mein Zucker im prädiabetischen Bereich, das war der Arschtritt, den ich brauchte. Ich habe die Ernährung umgestellt und wieder mit dem Sport angefangen. Seitdem habe ich knapp fünfzehn Kilo verloren, und ich habe vor, damit weiterzumachen, bis dieser Körper fit ist, bis mein Blutzucker sich normalisiert hat, bis ich keine ständige Angst mehr haben muss, deutlich vor meiner Zeit an einem Herzinfarkt zu sterben. Ich lebe sehr gern, eigentlich. Und mein Verhältnis zu meinem Körper hat sich im letzten Jahr, mehr bedingt durch den Sport als durch das eigentliche Abnehmen, verbessert. Immer noch nicht toll, aber besser.

Ich möchte immer noch nicht die fette Own Voice-Autorin sein. Aber ich denke, wir brauchen sicherlich mehr fette Figuren in unseren Geschichten, weil es ein Teil der Wirklichkeit ist, dass nicht jeder Mensch Modelmaße hat. Völlig unabhängig von der Anthologie habe ich in meinem aktuellen Projekt, bei den Tränenjägern, eine fette Hauptfigur. Andreu Madun liegt bei gut 150 Kilo auf knappe zwei Meter (sein optisches Vorbild ist Orson Welles), und anders als ich selbst ist er mit sich im Reinen. Er ist nicht der lustige Dicke, der Comic Relief Guy, das Klößchen im TKKG der Heldengruppe – er ist der selbstbewusst Anführer, der mächtige Totenbeschwörer, der mal eben den Mond vom Himmel holt und hinterher doch bewusstlos zusammenklappt, weil er sich daran übernommen hat, er hat seine Stärken und Schwächen, Kanten und Rundungen, und er ist eine absolute Lieblingsfigur von mir. Laut, bunt, empowering – Andreu Madun ist es. Und ich bin sehr stolz auf ihn.

Da, jetzt habe ich doch über mein Gewicht gesprochen. Bitte nagelt mich nicht darauf fest, es fällt immer noch schwer, mich mit der Materie auseinanderzusetzen. Fragt mich lieber nach meiner schizophrenen Erkrankung, zu der kann ich etwas sagen, ohne dass es wehtut. Und auch wenn ich eigentlich keine Kurzgeschichten schreibe – solltet ihr mal eine Anthologie planen, »Urban Fantasy going Psycho« – meine Mailadresse habt ihr ja.

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