Tag Eins: Meine Lieblingswelt

Nirgendwo steht, dass die dreißig Tage, die man über das Schreiben bloggen soll, auch zusammenhängend sein müssen. Ich nehme mir darum die Freiheit raus, sie nach und nach zu beantworten – die Aussicht, plötzlich nur noch identisch aussehende Überschriften im Blog zu haben, sagt mir überhaupt nicht zu. Aber zumindest die vorgegebene Reihenfolge werde ich einhalten und beginne darum mit Frage Nummer Eins:
1. Erzähl uns von deinem Lieblingsschreibprojekt/der Lieblingswelt, mit der du gearbeitet hast, und warum?

Ich bin nicht der größte Weltenbauer, den die Menschheit jemals gesehen hat. Eher im Gegenteil. Meine Welten sind meistens so aufgebaut, dass man, sobald man einmal vom Weg abweicht, die Kulissen von hinten sieht und ansonsten von viel Weiß umgeben ist. Bei meiner Lieblingswelt ist das nicht der Fall. Zugegeben, sie ist sehr, sehr klein, und es ist vermessen, sie als »Welt« zu bezeichnen, ich tu es aber trotzdem. Die Rede ist von der Gauklerinsel, Heimat des gleichnamigen Romans. Ein Inselchen mit einer Stadt von vielleicht einigen zehntausend Menschen, in der Mitte eine große Zitadelle, und das ganze auf einer Insel, die sonst nichts nennenswertes zu bieten hat, das war’s dann auch schon. Aber in dieser Stadt kann ich spazierengehen, als hätte ich jahrelang dort gewohnt. Ich habe nie einen Plan gezeichnet, darin bin ich nicht gut, und mir fehlt die Geduld dafür, aber ich weiß, was ich wo finden kann, und vor allem, wo die besten Kneipen sind – mit einem Helden wie Roashan achtet man eben auf das Wesentliche.

Vom Namen her ist die Gauklerinsel älter als alles, was ich jemals an Welten gebaut hatte. Im fünften Schuljahr war ich vom Religionsunterricht befreit, und weil niemand daran gedacht hat, dass ein zehnjähriges Mädchen unter Aufsicht gehört, saß ich während dieser Stunden allein im Aufenthaltsraum und arbeitete an meinen Geschichten. Dabei kam mir die Idee zu dieser Insel, und ich versuchte, eine Landkarte von ihr zu zeichnen, was schon damals scheiterte. Ich habe aber nie ein Buch dort spielen lassen. In meinem ersten Fantasyroman, ein Fragment von 1993, als ich siebzehn oder achtzehn war, wurde sie zumindest am Rand erwähnt, damals noch ein pseudokeltisches Bardenparadies, in dem meine Helden magische Umhänge bekommen hatten, auf einer riesigen Harfe gewebt, die sie vor dem magischen Kulturschwund, der meinen Hauptplot ausmachte, geschützt wurden. Und das war’s dann auch schon. Exit Gauklerinsel.

Wieder rausgekramt habe ich sie dann 2006, und das auch nur aus einer Notlage heraus. Ich hatte beschlossen, die Geschichte von Roashan wiederaufzugreifen, die vier Jahre davor für ein Mailrollenspiel entstanden waren, und etwas richtiges draus zu machen. Aber die Inselstadt Silva, in der Roashan damals lebte, gehörte mir nicht – sie war das geistige Eigentum der Spielleiterinnen, Helen und Kim, und ich wollte mich nicht an etwas bedienen, das mir nicht zustand. In Silva waren die Menschen von den herrschenden Elfen unterdrückt und partiell versklavt, es war ein cooles Konzept, aber ich wollte etwas eigenes. Die Insel blieb. Die Stadt blieb. Die Elfen gingen. Statt dessen kamen die ominösen ‚Edlen‘ ins Spiel, die von der Zitadelle aus die Geschicke der Stadt bestimmten. Und weil das Ganze auch einen neuen Namen brauchte, besann ich mich wieder auf meine alte Gauklerinsel – auch wenn das Ganze mit Gauklern eigentlich nichts mehr zu tun hatte. Und dann machte sich das Ganze irgendwie selbständig…

Ich erschuf die Stadt um Roashan herum, und das hieß praktisch, mit einer Kneipe anzufangen und dann die Umgebung dazu passend zu machen. Und in der Stadt gibt es viele Kneipen. Der Schattenfuchs, der Schmatzende Ochse, der Lachende Anker, der Eiserne Eber, das Schwarze Pferd, der Alte Kater… Und so weiter. Jede Kneipe hat ihr Viertel, ihre Klientel, ihre Geschichte. Nicht zu vergessen noch die Schwarze Maske, das beste Bordell der Stadt. Und das Kaufmannsviertel, wo der schwerreiche Trosca lebt. Und der Hutmacher – wirklich, die Stadt ist um die Figuren herum entstanden, und darum ist sie letztlich so gut geworden. In ihrem Herzen die Zitadelle, die wiederum eine Welt für sich ist und mir viel Kopfzerbrechen bereitet hat, soviel, dass das Buch fast ein halbes Jahr gelegen hat, bis ich wusste, wie es in ihrem Inneren aussieht. Aber auf das Endergebnis kann ich stolz sein. Mitnichten ist es ein billiger Abklatsch der Stadt Silva geworden, und auch nicht die endloserste pseudomittelalterliche Siedlung, sondern etwas ganz eigenes. Nicht, dass ich gerne da leben würde. Aber ich könnte es.

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