Der Rest ist Blah

Übermorgen geht es los, und Lichtland besteht noch zu weiten Teilen aus Blah. „Blah“ ist die Zusammenfassung von Plot, der noch nicht ausgearbeitet ist. Es ist eigentlich nicht schlimm. Ich habe eine Grundidee und genug Szenen im Kopf, um damit die ersten paar Tage lang hinzukommen, und solange ich immer eine ungeschriebene Szene habe, bin ich auf der sicheren Seite. Aber als ich vorgestern auf dem Tintenzirkeltreffen den Anwesenden meinen Plot erzählte, war der Blah-Anteil doch irgendwie beängstigend.

Lichtland spielt in einer Welt, in der Licht und Dunkel absolut sind. Es gibt helle und dunkle Länder, angeordnet wie auf einem Schachbrett. Helle Länder sind immer hell, dunkle Länder sind immer dunkel, und verfeindet sind sie sowieso. Was noch dadurch erschwert wird, daß die Sha-Ura, die Schwarzen Reiter aus den dunklen Ländern, Raubzüge veranstalten und Heranwachsende aus den hellen Ländern rauben. Nicht als Sklaven, sondern um ihnen mit magischen Ritualen die Seele aus dem Körper zu ziehen und in eine Glaskugel zu bannen – diese Irrlichter sind die einzigen dauerhaften Lichtquellen, die es dort gibt. Je länger eine Seele noch zu leben gehabt hätte, desto heller und länger wird das Irrlicht leuchten. Kein Zweifel, die Leute aus den Dunklen Ländern sind böse, böse, böse Schwarzmagier und sowieso alles rechte Schweinebacken.

Relativiert wird das Ganze aber dadurch, daß die weißen Bannmagier der hellen Länder alles dafür tun, den Status Quo zu erhalten, sprich: Dafür sorgen, daß die dunklen Länder auch wirklich dunkel bleiben, denn nur so bleiben ihre eigenen Länder hell. Es ist auch ihr Verdienst, daß die dunklen Länder überhaupt erst dunkel geworden sind. Und so sind die Hellen – ohne Frage – keinen Deut besser als die Dunklen. Schweinebacken allesamt.
Nun gibt es eine Prophezeiung – kein Licht-gegen-Dunkel-Buch ohne Prophezeiung! – daß einer kommen wird, um diesen Kampf zu entscheiden und zu beenden. Wie bei solchen Prophezeiungen üblich, ist sie ein bißchen schwammig formuliert: Zwar bezeichnet sie den Auserwählten sehr liebevoll als den, „der an seiner eigenen Seite kämpft“, und spricht davon, daß er das Gläserne Schwert ergreifen wird, doch sie schweigt sich darüber aus, ob derjenige nun für das Licht oder für das Dunkel antritt…

Der Auserwählte ist Nomi. Er wächst in einem hellen Land auf, in einer hellen Familie, mit hellen Freunden, und er unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von allen anderen: Er hat einen Schatten. Niemand sonst hat einen, nicht in den hellen Ländern und nicht in den dunklen, nur Nomi. So war er auch sehr leicht als der Auserwählte zu identifizieren, und seit frühester Jugend wird er auf seinen Einsatz als Weltenretter und Held des Lichts vorbereitet, zusammen mit seinen handverlesenen Freunden, die als seine Gefährten fungieren sollen. Das einzige, was man versäumt hat, ist Nomi zu fragen, was er will. Und, ihm die Wahrheit zu sagen.

Nomi wurde in einem dunklen Land geboren. Als dies durch Spione in den hellen Ländern bekannt wurde, zog ein Elitetrupp los, um das Kind zu entführen. Sie töteten seine Familie und nahmen ihn mit, um ihn für ihre Seite zu erziehen und zu einem braven Krieger des Lichts zu machen, und löschten seine junge Erinnerung. Er bekam eine neue Familie, neue Freunde und eine neue Geschichte. Sie hießen ihn ein Talisman tragen, das seinen Schatten unterdrückt – nicht nur, um zu verhindern, daß seine dunklen Brüder ihn wiederfinden und zurückrauben, sondern auch, weil der schwarze Fleck ihnen große Angst macht. Was stört es da, daß Nomi von dem Talisman ständige Kopfschmerzen bekommt? Es geht hier nicht um sein Wohlergehen. Es geht um das Wohlergehen der Welt, nicht eines Werkzeugs.

Nomi hat die Faxen dicke. Er rebelliert. Er will sich nicht mehr länger sein Leben bestimmen lassen. Es gibt für ihn nur einen Weg, aus diesem Leben auszubrechen: Indem er auszieht, das Gläserne Schwert zu finden. Oder zumindest vorgibt, es finden zu wollen. Hauptsache weg. Und das nach seinen eigenen Regeln. Er ist der Auserwählte. Er wählt seine Gefährten selber aus. Nicht seine sogenannten Freunde, die kein Interesse an ihm haben, nur an seinem Ruhm, und die ihm nur Lügen erzählen. Nomi wählt Shen aus, den rätselhaften Flötenspieler, der eines Tages vor seinem Hof auftaucht. Niemand weiß, wer Shen ist, und er schweigt sich über Herkunft und Motive aus. Niemand traut ihm. Eine gute Grundlage, findet Nomi. Wer nichts erzählt, der lügt wenigstens nicht.

Also brechen sie auf. Nomis Schatten weist ihm den Weg zu der Stelle, wo das Gläserne Schwert gehütet wird. Aber als sie zum ersten Mal eine Grenze zu einem dunklen Land überschreiten, geschieht etwas mit Nomi – seine zweite Persönlichkeit kommt zum Vorschein, Imon, die dunkle Seite. Imon ist ruhiger, weniger zornig als Nomi, und blah. Wannimmer sie eine Grenze überschreiten, wechselt Nomi/Imon zwischen seinen Persönlichkeiten. Das ganze Buch wird ausschließlich aus seiner Perspektive erzählt, so daß dies bestimmt sehr interessant rüberkommt, vor allem, weil nicht die Helle Seite gut ist und die Dunkle Seite böse.

Nomis Leute – seine „Freunde“ und „Familie“ sind natürlich nicht mit seiner Entscheidung einverstanden und noch weniger mit seiner Erklärung „mal sehen zu wollen, auf welcher Seite er am Ende kämpfen wird“. Sie verwanzen ihn und schicken ihm Spione nach – gute Spione, die er niemals finden wird, und mittelmäßige, die er bemerken darf, denn natürlich muß er damit rechnen, verfolgt zu werden…

Nach einigem Blah erlangt Nomi das Gläserne Schwert – und zerbricht es, absichtlich, um der ganzen Chose ein Ende zu bereiten. Er ahnt nicht, daß es völlig irrelevant ist, ob das Schwert nun zerbrochen ist oder an einem Stück. Niemand kann mit einem Schwert aus Glas kämpfen, und es ist auch nicht dafür gedacht. Es ist ein Prisma. Seine Aufgabe ist es, Licht zu schneiden, und das kann es und wird es immer können.
Schließlich entscheidet sich Nomi für Blah, und Blah. Ende.

Ziemlich viel Blah in dieser Geschichte. Das meiste, was ich hier jetzt aufgeschrieben habe, ist der Hintergrund – der eigentliche Plot dagegen ist noch ein Rudiment. Zwei Figuren, drei oder vier Szenen: Der November wird noch einiges von mir abverlangen. Aber das muß so sein. Wenn ich zuviel von einer Geschichte weiß, wenn alles, was ich noch zu tun habe, Schreiben ist und nicht mehr Denken, dann verliere ich die Lust, und dann macht es keinen Spaß mehr. Ich muß Denken und Schreiben gleichmäßig über den Monat verteilen können.

Und das hat im vergangenen Jahr auch gut geklappt: Da wußte ich nur, daß Nicolas in eine fremde Welt geht und nur seinen Schatten zurückläßt, ohne daß es jemand aus seiner Familie merkt, nur das Nachbarmädchen, das dann auszieht, um ihn zurückzuholen, aber Nicolas will nicht. Die fremde Welt dagegen, und alles, was dort passiert, war Blah. Und es auszudenken, im Kampf gegen den Kalender und den inneren Schweinehund, das war so ziemlich das Beste, was ich als Autorin je erlebt habe.

Und so freue ich mich schon jetzt darauf, das ganze Blah in Leben zu verwandeln.

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