Tränen lügen nicht

Eben noch, keine zwei Wochen ist das her, da habe ich über dem Finale meiner Tränenjäger geschwitzt, und wäre es nicht April und Camp Nanowrimo, das ich gewinnen will, vielleicht hätte ich meinen Schwanz eingekniffen und das Buch auf Eis gelegt. Aber das wäre zu schade gewesen, nicht wahr? Nachdem ich seit Wochen konzentriert an dieser Geschichte gearbeitet habe … Und so habe ich mein Problem gelöst und weitergeschrieben, jeden Tag im Schnitt zweitausend Wörter – und nun, ein Finale später, bin ich fertig. Natürlich nicht mit den Tränenjägern. »Die neunte Träne« ist ein Mehrteiler, fertig ist nur der erste Band, der den Arbeitstitel »Das Lächeln des Mondes« trägt – aber der kann sich sehen lassen, mit rund 650 Seiten und über 170.000 Wörtern.

Das ist nicht das dickste Buch, das ich je geschrieben habe, die Ehre gebührt dem »Gefälschten Land«, und ich habe nicht vor, das noch mal zu übertreffen – das Buch ist aus dem Ruder gelaufen, und ich habe unter Schmerzen fast 20% des Textes wieder rauskürzen müssen, damit der Verlag es mir abgenommen hat. Das war kein Vergnügen, das mache ich so schnell nicht noch mal. Und auch dieses Buch jetzt wird noch Feder lassen müssen, wenn ich es überarbeite – aber das ist noch ein Weilchen hin. Am liebsten möchte ihr die fertige Reihe en block überarbeiten, damit ich mit dem letzten Band noch Änderungem an ersten vornehmen kann , und bis die Reihe fertig ist, geht noch einiges Wasser den Rhein runter. Aber ich habe Zeit. Auf diese Geschichte wartet kein Verlag, und ich möchte es auch am liebsten erst dann anbieten, wenn alle Bände abgeschlossen vorliegen.

Doch wo es noch nicht ans Überarbeiten geht, muss trotzdem Zeit sein für einen Rückblick, wie ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe in diesem Blog, wenn ich einen Roman fertig habe – von der ersten Idee bis hin zum abgeschlossenen Manuskript. Und die erste Idee zu den Tränenjägern hatte ich zur Unzeit. Es muss Februar 2019 gewesen sein, als ich Lust bekam, einen ganz klassischen Fantasy-Mehrteiler mit Sammelquest zu schreiben, und sich im gleichen Atemzug Andreu Madun als Nekro-Andi bei mir vorstellte. Nur schrieb ich zu der Zeit noch an meiner »Neraval-Sage«, war erst beim zweiten von drei Bänden, und hatte wirklich keine Kapazitäten für noch ein neues Buch, erst recht keinen Fantasy-Mehrteiler. Ich schob die Idee auf für wenn die Fälscher fertig wären, und beschloss, die Zeit bis dahin gewinnbringend zu nutzen für Plotten und Weltenbau – letzteres hatte sich bei den Fälschern als meine Achillesferse entpuppt, ein Fehler, den ich nicht noch einmal machen wollte.

Ich schrieb also meine Fälscher fertig – aber weil ich nicht so ganz die Hände von dieser neuen Idee lassen konnte, in die ich mich doch schon arg verliebt hatte, schrieb ich zumindest einen Prolog und ein erstes Kapitel, um die Idee wieder aus dem Kopf zu bekommen und weil man nie weiß, wofür man das nicht mal brauchen kann – und ich konnte es brauchen. Im Frühjahr 2021 schrieb das Phantastik-Autorennetzwerk PAN sein erstes Stipendium aus für in Arbeit befindliche Bücher. Mich stach der Hafer, ich bewarb mich mit meinen Tränenjägern, denen ich flugs den Titel »Die neunte Träne« geben musste, denn ein Buch mit dem Titel »Tränenjäger« gibt es bereits; ich erklärte im Exposé, wieso mein Buchprojekt die geilste Scheiße überhaupt ist, und ich muss wohl einen Nerv getroffen haben, denn wider mein Erwarten gewann ich tatsächlich das Stipendium.

»Retro-Fantasy« nannte ich dieses Konzept, für das ich alles auszuschlachten gedachte, was ich in den 80ern und 90ern in der Fantasy geliebt hatte: Sammelquesten, Meisterdiebe und mächtige Magier, verlorene Prinzen, Prophezeiungen, Küchenjungen, auserwählt, die Welt zu retten – nur modernisieren wollte ich das Ganze, divers machen und für heutige Leser:innen lesbar … Es war das Buch, das ich schon mein Leben lang schreiben wollte. Eine Sammelqueste ist für mich das höchste der Fantasy-Gefühle. Und es ist nicht so, dass ich noch nie vorher eine versucht hätte. Schon mein Erstling »Eine Flöte aus Eis« war eine Sammelqueste, zwei Elfen auf der Suche nach vier magischen Musikinstrumenten – nur schoss ich mir selbst ins Bein, als sich zwei davon als Instrumente nur im übertragenen Sinn entpuppten, eines davon ein Wald, das andere ein Berg, und wo sich die Artefakte nicht einsammeln lassen, hat es sich mit der Queste.

Motivations-Cover zum ersten Teil der »Neunten Träne«
Mit Canva gebastelt: Ein Motivations-Cover zum ersten Teil der »Neunten Träne«

Neues Spiel, neues Glück: Im Jahr 2000 begann die Arbeit an meinen »Chroniken der Elomaran«, und auch die sollten eine Sammelquest werden. Hatte ich erst acht Artefakte der Engel, walzte ich das mit Fortschreiten der Planung auf nicht weniger als sechzehn aus – und musste doch feststellen, dass ich das irgendwie falsch angegangen war, als ich im fünften Band angekommen war und meine verkrachten Hauptfiguren mit dem Sammeln überhaupt noch nicht angefangen hatten. Um eine Aussicht zu haben, die Reihe noch zu meinen Lebzeiten abzuschließen, verabschiedete ich mich von der Sammelquest – und stellte kurz darauf die Arbeit an der Reihe komplett ein. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, irgendwann wird es weitergehen bei den Elomaran, und vielleicht wird es dann doch eine Sammelqueste.

Aber noch ist es nicht soweit. Noch ist dieser Platz in meinem Herzen besetzt mit Andreu und Co., den Tränenjägern. Die haben sich, ich lerne ja aus meinen Fehlern, schon vom ersten Kapitel an ganz offen auf die Tränenjagd gemacht. Und im vierten Band, so der Plan, sollen sie dann auch die titelgebende neute finden. Nur hatte ich erst einmal andere Probleme. Das Stipendium gewonnen – das erste Mal, dass ich überhaupt etwas gewonnen habe mit meiner Schreiberei – und nichts ging mehr. Ich stand mir aufs Vortrefflichste selbst im Weg. Bin ich schon von Haus aus ziemlich perfektionistisch veranlagt, landete ich hier mit der Erwartungshaltung, dass die »Träne« das Beste zu werden hätte, was ich jemals zu Papier gebracht hätte – und an so einer Aufgabe kann man nur scheitern. Das Weltbeste passiert, das lässt sich nicht planen, ich aber versuchte es, und scheiterte daran.

Dabei hatte ich mich so auf die Arbeit gefreut! »Das gefälschte Land« abgegeben, zum weiteren Kürzen zurückbekommen, gekürzt und noch mal abgegeben, hatte ich endlich Zeit für meine Tränen. Ich hatte sogar genug Plot, um bis zur Mitte des ersten Bandes zu kommen – aber ich war nicht zufrieden mit meinem Weltenbau. Ich hatte Ideen, ich hatte ein Pantheon, ich hatte Orte und Dungeons und Landstriche – aber ich hatte etwas nicht, das ich fest eingeplant hatte: Eine Landkarte. Die Fälscher hatten keine, und das wurde bemängelt: Für meine »Tränenjäger« wollte ich doch alles besser machen, und wo eine Heldengruppe eine Rundreise durch die ganze Welt veranstaltet, braucht es eine Karte der Welt, so wie ich sie in meiner Lieblingsreihe, Geraldine Harris‘ »Sieben Zitadellen«, geliebt hatte. Zigmal hatte ich mir vorgenommen, eine Karte zu entwerfen und nie war etwas draus geworden. Und das blockierte mich beim Schreiben komplett.

Dazu kam, was ich erst viel später erkannte, eine Depression, die sich über on/off über ein ganzes Jahr hingezogen hat und mir beim Schreiben ins Getriebe kam. Ich gewann den Nanowrimo 2021 mit der »Neunten Träne«, doch ich konnte mich über meinen Sieg nicht freuen, ich hasste alles, was ich geschrieben hatte, mir fehlten die Ideen, und es fühlte sich an, als wäre die Quelle meiner Phantasie endgültig versiegt. Ich fühlte mich als Stipendiumsgewinner wie ein Hochstapler, der diesen Erfolg nicht verdient hatte, und tat alles, aber wirklich alles, um mir selbst im Weg zu stehen. Wahrscheinlich wäre es das Beste gewesen, einen Schritt zurück zu machen und etwas ganz anderes, weniger vorbelastetes, zu schreiben – aber durch das Stipendium hatte ich mich verpflichtet, bis einschließlich Februar 2022 an meinen »Tränenjägern« zu schreiben, und das tat ich, verbissen und unglücklich.

Voran kam ich mit dem Buch nicht, ich schrieb stattdessen wie im Leerlauf Kells Teil der Geschichte immer und immer und immer wieder neu, ich habe allein vom sechsten Kapitel so viele verworfene Versionen, dass es für einen gewonnenen Nanowrimo ausreichen würde, aber es wurde nicht besser davon, nur zäher. Der Februar ging, der Förderzeitraum endete, und ich schlug das unfertige Buch zu und fiel in ein Loch, aus dem ich erst im Herbst zu Beginn des Nanowrimos wieder rausgekrochen kam. Und nach gewonnenem Doppelnano und mit neuem Lebensmut nahm ich mir im Dezember die Bauruine vor, für die ich meine »Tränenjäger« hielt, um zu sondieren, wie viel von dem mutmaßlich missratenen Text ich noch würde neu schreiben müssen und wie viel ich vielleicht doch noch verwerten konnte: Und das Wunder geschah. Mitnichten war der Text missraten. Das Buch hatte seine Schwächen, vor allem Kells Teil der Geschichte ließ noch zu wünschen übrig, im Rest klafften Löcher – doch das meiste davon, das allermeiste, konnte ich benutzen.

So endete 2022 auf einer hoffnungsvollen Note. Und im Januar des neuen Jahres schrieb ich tapfer rund dreitausend neue Wörter an diesem Buch. Ich schreib auch an zig anderen Büchern. Der Januar, das war die Zeit des großen Ausprobierens, als ich auf alles irgendwie Lust hatte und für nichts so recht plot, die Tränenjäger eingeschlossen. Aber dann! Im März bekam ich eine Idee für die »Tränenjäger« – und schrieb zwei Szenen, die der vorhandenen Handlung so weit vorausgriffen, dass sie erst einmal geparkt wurden (und vor zwei Wochen, ohne dass sie jemals Teil der Handlung geworden wären, wieder verworfen) – aber damit war das Eis gebrochen. Ich fing an zu arbeiten, als wäre Kalva persönlich hinter meiner Seele her. Ich schloss meine Löcher, eines nach dem anderen, ich schrieb am hinteren Ende des Buches weiter, bis endlich ich einen geschmeidigen, kontinuierlichen Text hatte – und dann setzte ich mich hin und schrieb das Buch zuende.

Und da stehe ich jetzt. Für die Sammelqueste kann ich abhaken, dass sie tatsächlich die erste Träne gefunden haben. Eine von neunen – in den zukünftigen Bänden soll das Tempo schon ein bisschen anziehen, sollen sie zwei bis drei Tränen pro Band finden, aber im ersten Buch mussten sie überhaupt erst einmal einen Ansatzpunkt bekommen, wo die Tränen liegen, eine Schatzkarte, gemalt von niemand geringerem als dem Monddieb Siru persönlich, was mich schmerzlich darauf hinweist, das ich immer noch keine Karte der Welt habe. Und noch etwas habe ich nicht. Plot oder Plan für den zweiten Band. Aber der eilt nicht. Das kommt alles noch. Erst einmal habe ich jetzt den ersten Band fertig. Heute nacht lächelt der Mond für mich. Und ich lächle zurück.

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