Der Romanfriedhof: »Geistersaat«

Wenn man ein Buch fertig hat, gibt es nichts Schöneres, um einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, als die Erinnerung an ein Buch, das es nicht geschafft hat – das krachend vor der Wand gelandet ist oder still schlafend von uns gegangen. Ich bin immer noch mehr der große Romanruinierer denn der große Romanfertigsteller, und ausgerechnet dann, wenn ich was fertiges zu feiern habe, kommt das wieder hoch bei mir – vorzugsweise, wenn ich versuche, etwas zu finden, das die Lücke füllen soll, die das fertige Buch hinterlassen hat. Und was wäre ein besserer Kandidat für meinen Romanfriedhof als ein Buch, das nie etwas anderes sein sollte als ein Lückenbüßer?

Im Februar 2011 hatte ich ein Problem: Ich hatte ein Buch fertiggeschrieben, und es war das beste Buch der Welt. Selbst heute noch ist meine »Gauklerinsel« eines meiner absoluten Lieblingsbücher, und die sieben Jahre, die ich daran arbeiten durfte, waren eine wirklich schöne Zeit. Bei keinem anderen Buch war ich so dermaßen traurig, das Wort »Ende« unter die Geschichte zu setzen, bei keinem anderen hat es sich so angefühlt, als ginge mit Fertigstellung des Manuskripts eine Ära zu Ende. Und auch wenn ich andere, gute Bücher in Arbeit hatte – darunter das »Gefälschte Siegel« oder das ganz frisch geplante »Puppenzimmer« – wollte ich einen Ersatz für die »Gauklerinsel«, etwas, das diese Lücke in meinem Herzen füllen sollte.… Weiterlesen

Grosse Träume, langer Atem

Als ich meinen ersten Roman fertiggestellt hatte – ein erhebendes Gefühl nach all den Fragmenten, die ich in die Welt gesetzt hatte – wusste ich genau, was mit ihm passieren sollte. Natürlich, ich wollte, dass er veröffentlicht wird, und es war keine Frage, wo. Warum mich mit etwas Geringerem abfinden als dem renommiertesten Verlag für Fantasy und Phantastik, den ich mir nur vorstellen konnte? Ich wollte dahin, wo meine Lieblingsbücher erschienen: Das Letzte Einhorn. Die Brautprinzessin. Gormenghast. Dass der Verlag außerdem die deutschen Rechte an Tolkiens Werken hatte, interessierte mich in dem Moment weniger, aber beeindruckend war es schon – und ehrfurchtseinflößend genug, dass ich wusste, dass ich noch gut genug war. Das Buch musste erst überarbeitet werden, und das war ein Prozess, der sich zwei Jahre lang hinzog. Endlich, 1999, war Eine Flöte aus Eis fertig, überarbeitet, bis zum Glanz poliert, und mit einem Exposée versehen, bereit, nach Stuttgart geschickt zu werden. Die Adresse hatte ich aus dem Verlagsadressbuch Banger, auf das ich als Buchhandelsazubi Zugriff hatte, das Exposee nach bestem Wissen und Gewissen, aber mit wenig Können angefertigt, und dazu gab es das erste Kapitel als Leseprobe, weil in meinem Autorenratgeber stand, dass man nicht das ganze Manuskript schicken sollte.… Weiterlesen

Percy, wir müssen reden!

Eigentlich ist es mir fast schon peinlich. Dieser verteufelte Alkohol! Ich habe mir schon so oft vorgenommen, es nie wieder zu tun, aber was soll ich sagen? Es ist eben doch schon wieder passiert. Eigentlich sollte Felder, der Glücksritter, der sich in der Flöte aus Eis um Kopf, Kragen und Königreich trinkt, der einzige Vertreter seiner Zunft bleiben. Dann kam mit Mowsal aus der Spinnwebstadt ein feines Beispiel für einen alkoholgefährdeten Jugendlichen, und als ich mit den Chroniken der Elomaran anfing, hatte ich mit Jurik auf der einen Seite und Varyn auf der anderen gleich zwei Leute, die mit massiven Alkoholproblemen zu kämpfen haben. Und damit war noch lange nicht Schluss. In der Gauklerinsel ist Roashan derart weit fortgeschritten in seiner Sucht, dass er mit körperlichen Entzugserscheinungen zu kämpfen hat, und sein Freund Shaun ist nur deswegen trocken, weil er als Geist keine andere Wahl mehr hat, und das sollte dann wirklich die Krönung sein und das Ende einer schon viel zu langen Reihe von Alkoholikern in meinen Geschichten, aber dann kam das Gefälschte Siegel mit Kevron, der ohne Alkohol keinen Schlaf findet und sich ohne Aufputschmittel nicht wachhalten kann, und selbst im plotlosen Geistersaat ist Damon Rickard nie ohne Glas in der Hand anzutreffen, und ich stehe da und muss mich fragen, will ich wirklich der Charles Bukowski der Fantasyliteratur werden?… Weiterlesen

Tag Eins: Meine Lieblingswelt

Nirgendwo steht, dass die dreißig Tage, die man über das Schreiben bloggen soll, auch zusammenhängend sein müssen. Ich nehme mir darum die Freiheit raus, sie nach und nach zu beantworten – die Aussicht, plötzlich nur noch identisch aussehende Überschriften im Blog zu haben, sagt mir überhaupt nicht zu. Aber zumindest die vorgegebene Reihenfolge werde ich einhalten und beginne darum mit Frage Nummer Eins:
1. Erzähl uns von deinem Lieblingsschreibprojekt/der Lieblingswelt, mit der du gearbeitet hast, und warum?

Ich bin nicht der größte Weltenbauer, den die Menschheit jemals gesehen hat. Eher im Gegenteil. Meine Welten sind meistens so aufgebaut, dass man, sobald man einmal vom Weg abweicht, die Kulissen von hinten sieht und ansonsten von viel Weiß umgeben ist. Bei meiner Lieblingswelt ist das nicht der Fall. Zugegeben, sie ist sehr, sehr klein, und es ist vermessen, sie als »Welt« zu bezeichnen, ich tu es aber trotzdem. Die Rede ist von der Gauklerinsel, Heimat des gleichnamigen Romans. Ein Inselchen mit einer Stadt von vielleicht einigen zehntausend Menschen, in der Mitte eine große Zitadelle, und das ganze auf einer Insel, die sonst nichts nennenswertes zu bieten hat, das war’s dann auch schon. Aber in dieser Stadt kann ich spazierengehen, als hätte ich jahrelang dort gewohnt.… Weiterlesen

Und dann war Sense

Das letzte Jahr hat mir eine Tour de Force beschert. Es ging auf und ab für die Elomaran – erst das Interesse mehrerer größerer Verlage, dann die Absagen dazu. Dann das Interesse eines kleineren Verlags, das soweit ging, dass der Verleger meinen Agenten schon nach einem Vertragsentwurf gefragt hat, und damit endete, dass der Verlag auf Tauchstation ging und keinerlei Mails, Anfragen oder sonstiges mehr beantwortet hat. Wir haben nie mehr davon gehört.

Zur guter Letzt das Interesse eines sehr netten, aber auch wirklich sehr kleinen Verlags, der die Elomaran gern genommen hätte – aber ob ich jetzt größenwahnsinnig bin oder nicht, ich möchte für diese Geschichte etwas größeres, nicht nur für mein Ego, sondern auch aus finanziellen Gründen. In den Chroniken steckt die Arbeit von inzwischen elf Jahren, und wenn ich schon einen Weltbestseller landen müsste, um mit einem halbwegs erträglichen Stundenlohn da rauszukommen, möchte ich doch zumindest ein bichen davon haben. Ich habe kein Problem damit, ein einzelnes Buch in einem kleinen Verlag zu veröffentlichen, aber mich mit einen Mindestens-Fünfbänder auf Jahre an Kleinstverlage binden, das ist für mich ein zu großer Schritt. Ich will auf die Dauer vom Schreiben leben können. So war es an der Stelle dann ich, die den Rückzieher gemacht hat.… Weiterlesen

Autorenstimmen

Worauf ich mich besonders freue am Irgendwann-doch-mal-veröffentlicht-sein, ist das Geld. Nicht mal das Geld, das ich dann damit verdiene – das kann ich auch jeden Tag als Bibliothekarin, und vermutlich mit einem besseren Stundenlohn – sondern das Geld, das andere Leute dann für meine Werke zu zahlen bereit sind. Was für ein Unterschied zu jetzt, wo ich mich und meine Geschichten anpreisen muß wie Sauer Bier, um ab und zu mal einen Leser zu finden! Aber veröffentlichte Autoren liest man für Geld, und man hört ihnen zu. Das ist vielleicht das Beste: Autorenlesungen. Andächtige Bewunderer füllen den Saal, alle Augen liegen auf dem Autor, ein letztes Räuspern, ein erster Applaus, und dann erhebt er die Stimme…

Letzten Donnerstag hatte ich das Vergnügen, die allererste Autorenlesung meiner Freundin Grey, die mit der Blutgabe, zu besuchen. Es war vielleicht ein bißchen wahnsinnig, an einem Donnerstagnachmittag nach der Arbeit von Aachen nach Bielefeld und zurpck zu fahren, und das auch noch mit einem Partner, der am anderen Morgen die Frühschicht hat, aber es hat sich allemal gelohnt. Schön, stimmungsvoll, und Gummivampire gab es auch noch – und die Lesung habe ich genossen, wenn es auch ein bißchen schade war, daß Grey eine Szene vorgelesen hat, die ich nicht nur schon kannte, sondern sogar schon mal vorgelesen bekommen hatte.… Weiterlesen

Roashans Eleven

Nach der Pflicht bin ich jetzt bei der Kür angelangt. Geigenzauber ist raus, ich konnte es zum Stichtag fertig überarbeitet bei der Agentur abgeben und habe danach drei Kreuze geschlagen, so wenig Spaß hatte ich am Überarbeiten selten. Je weiter ich vorgedrungen war, desto schlechter erschien mir das Buch, und selbst jetzt noch fällt es mir schwer, mir vorzustellen, daß irgend ein Verlag das drucken wollen könnte. Aber damit ist die Arbeit noch nicht getan, da ist immer noch die Gauklerinsel, und auch die will ich vor der Buchmesse noch aufhübschen. Natürlich, zum richtigen Überarbeiten reicht die Zeit nicht, das habe ich mit den ersten drei Kapiteln gemacht, um eine brauchbare Leseprobe zu haben, aber über den Rest soll doch zumindest schon mal die Rechtschreibkorrektur drübergelaufen sein.

Aber welch ein Unterschied! Jeder Satz, jede Zeile, die ich dabei lese, erfüllt mich mit Begeisterung. Ich brenne darauf, dieses Buch überarbeiten zu können, alle sechsunddreißig Kapitel, alle achthundertvierzehn Seiten; wenn ich könnte, würde ich es glatt nochmal schreiben, nicht weil es dann soviel besser würde, aber um nochmal diesen Spaß am Schreiben zu verspüren und diesen Stolz, was das Ergebnis angeht. Schon will ich alles Schreiben sein lassen für die Zukunft, ich habe das Gefühl, nichts von dem, was ich zur Zeit und auch zukünftig produziere reicht an dieses Meisterwerk heran.… Weiterlesen